Langenberg. Familie Zöller wohnt in Langenberg und hat vor Kurzem eine Überraschung erlebt: Ein Oldenburger Historiker meldete einen ungewöhnlichen Fund.

Es ist ein Tag im November, als das Telefon bei Angelika Zöller klingelt – eine unbekannte Nummer ruft an. Die Langenbergerin ignoriert den Anruf. Kurz darauf klingelt es erneut, wieder die unbekannte Nummer. Wieder ignoriert sie den Anruf. „Sonntags dann ein dritter Anruf“, erzählt Angelika Zöller. „Ich habe dann doch mal abgenommen.“

Eine gute Entscheidung, wie sich später zeigt. Am anderen Ende der Leitung „war ein sehr sympathischer junger Mann“, erzählt sie. Vincent de Boer heiße er, sei Geschichts- und Kunststudent, wohne und studiere in Oldenburg. Und er habe auf einem Trödelmarkt eine alte Kiste erstanden. Darin findet er viele alte Schwarzweiß-Fotos und einen Schriftzug: Langenberg/Rheinland.

Die Online-Recherche führt nach Velbert-Langenberg

Alte Langenberg-Fotos
Anhand dieser Ansicht hat der Oldenburger Historiker Vincent de Boer die Familie Zöller in Velbert-Langenberg ausfindig gemacht. Das Bild entstand um 1913 herum und zeigt das alte Krankenhaus, in dem sich heute die Suchtklinik befindet. © unbekannt/Repro Vincent de Boer | unbekannt/Repro Vincent de Boer

„Ich habe dann angefangen zu recherchieren“, berichtet der Oldenburger, der inzwischen als Historiker an der dortigen Universität arbeitet. Die Bildersuche einer Online-Suchmaschine zeigt ihm sehr schnell, dass auf einem der Bilder die heutige Suchtklinik in Velbert-Langenberg zu sehen ist.

„An diesem markanten Gebäude habe ich mich orientiert und konnte über Google Maps den Blickwinkel ganz gut rekonstruieren.“ So findet er die Adresse heraus, von welcher das Foto einst aufgenommen worden sein muss. Im Telefonbuch findet er dann die Nummer der Familie Zöller. Ein Glücksfall, „denn viele Leute stehen ja gar nicht mehr im Telefonbuch“.

Alte Langenberg-Fotos
Was da wohl los war? Jede Menge Langenbergerinnen und Langenberger haben sich vor dem (alten) Rathaus versammelt. Heute befindet sich hier das Servicebüro der Stadt Velbert. © unbekannt/Repro Vincent de Boer | unbekannt/Repro Vincent de Boer

Mehr als 100 historische Aufnahmen

Er habe dann einfach mal angerufen, „vielleicht wohnen dort ja sogar noch Nachfahren der Familie, die auf dem Foto zu sehen ist“, erzählt Vincent de Boer. Das sind Zöllers zwar nicht, interessiert sind sie dennoch. Angelika Zöller zieht ihre Tochter Pia hinzu, die kümmert sich ab dann um den Kontakt zu dem Oldenburger Historiker.

Sie recherchiert zunächst, nicht dass hinter dem Anruf doch ein Betrüger steckt. „Ich habe schnell ein Video von ihm im Internet gefunden, in dem er den Fachbereich seiner Uni vorstellt. Das hat mich überzeugt“, sagt Pia Zöller. Die beiden telefonieren, schließlich erhält sie einen Link, hinter dem mehr als hundert Fotos hinterlegt sind. Was darauf zu sehen ist, „ist ganz toll“, schwärmen Zöllers.

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Bürgerhaus Langenberg im Bau - und heute. © Funke | Anna Stais

Detailreiche Aufnahmen, zum Beispiel vom Bürgerhaus

Denn die Ansichten sind alt. Richtig alt. „Eins zeigt zum Beispiel das Richtfest vom Bürgerhaus“, sagt Pia Zöller. Ein anderes ein Haus, in dem offenbar ein Jubiläum gefeiert wird, ein Banner mit Jahreszahlen ist im Garten aufgespannt. Das alles legt nahe: Die Bilder sind um das Jahr 1913 herum entstanden. Und sie sind gestochen scharf.

Alte Fotos
Die Glas-Negative sind sehr detailreich. Das liegt auch an der Größe von 9 x 12 Zentimetern. © Vincent de Boer | Vincent de Boer

„Ja“, sagt Vincent de Boer, „die haben damals sehr schnell die Foto-Technik perfektioniert.“ Zudem sei der Bildträger recht groß, die Glas-Negative haben das Maß 9 x 12 Zentimeter. „Dadurch konnten schon damals sehr viele Details dargestellt werden.“ Trotzdem muss er sich um die Negative kümmern, bevor er die Fotos verschicken kann.

Einblicke in den Alltag von vor 100 Jahren

Alte Langenberg-Fotos
Stadtansicht mit Kirchen und Klippe. Heute führt die Straße „Klippe“ entlang von Wohnhäusern. © unbekannt/Repro Vincent de Boer | unbekannt/Repro Vincent de Boer

„Vincent hat sich richtig Mühe gegeben“, lobt Pia Zöller. Der junge Mann wiegelt ab: „Ich habe die Glas-Negative vorsichtig sauber gemacht und dann eingescannt.“ Die Originale behält der Historiker, archiviert sie. Die Scans lädt er in ein digitales Archiv und verschickt den Link dazu an Pia Zöller. „Er hat uns auch gewarnt, dass einige der Originale wohl nass geworden wären“, erzählt sie weiter. „Wir haben daher nicht viel Gutes erwartet.“ Doch das Ergebnis übertrifft alles.

„Die Fotos sind toll und geben einen wunderbaren Einblick in das alltägliche Leben von damals.“ Frauen in langen Kleidern, Männer im guten Anzug. Die Langenberger Hügel, kaum bebaut. Das Zentrum rund um die Alte Kirche samt Fabriken. Familienbilder im Garten oder auf Ausflügen - oder eine Gruppe kostümierter Frauen zu Karneval.

Drei Generationen Zöllers auf den Stufen zum Haus der Familie an der Kuhstraße (von links): Angelika und Karl-Heinz Zöller, Pia Zöller und ihr Sohn Jakob.
Drei Generationen Zöllers auf den Stufen zum Haus der Familie an der Kuhstraße (von links): Angelika und Karl-Heinz Zöller, Pia Zöller und ihr Sohn Jakob. © FUNKE Foto Services | Christof Koepsel

Hausbesitzerin als kleines Mädchen

„Das sind Bilder, die hat nicht mal das Stadtarchiv, glaube ich“, sagt Pia Zöller. Und freut sich, dass auf vielen Bildern auch ihr Elternhaus an der Kuhstraße zu sehen ist. Ihre Mutter Angelika hebt ein Bild hervor: Es zeigt eine Mutter mit zwei Kindern an den Händen - ein Junge, etwa zehn, elf Jahre alt und ein deutlich jüngeres Mädchen.

„Dieses Mädchen ist die Frau, von der wir vor 40 Jahren unser Haus gekauft haben“, sagt Angelika Zöller. Die Dame sei damals bereits um die 80 gewesen, habe alleine in dem Haus gewohnt und es einfach nicht mehr in Schuss halten können. „Sie ist uns sehr entgegengekommen und wir sind froh, dass wir auf ihr Angebot eingegangen sind.“ Und heute ist sie sicher: „Wir möchten hier nicht mehr weg. Erst recht nicht, nachdem wir die Bilder gesehen haben.“

Alte Langenberg-Fotos
Offenbar kein Phänomen der Neuzeit: Selfies. Der Vorname des jungen Fotografen ist nicht bekannt, aber er hieß wohl Meyer. Seine Schwester verkaufte Jahrzehnte nach diesem Foto das Haus an der Kuhstraße an Familie Zöller. © unbekannt/Repro Vincent de Boer | unbekannt/Repro Vincent de Boer

Ein kleines Dankeschön hat Vincent de Boer übrigens auch aus Langenberg bekommen: „Wir haben ihm einen Bildband der Tuchfühlung geschenkt, da ist ja beides drin, was ihn interessiert: Kunst und Geschichte.“ Dazu gab es eine Einladung: Wenn er mal in der Nähe sei, „würden wir ihm gerne zeigen, wie Langenberg heute aussieht“, sagt Angelika Zöller. Vincent de Boer hat sich über die Einladung gefreut, auch wenn er eher selten hier in der Gegend sei: „Aber wer weiß, wenn es mal passt ... Schauen wir mal.“

Alte Fotos
Viel Arbeit: Der Oldenburger Historiker hat die Glas-Negative vorsichtig gesäubert und anschließend eingescannt. © Vincent de Boer | Vincent de Boer
Alte Langenberg-Fotos
Sicher kein Bilderrätsel: Der Platz an der Alten Kirche ist auch heute beliebter Treffpunkt im Zentrum der Langenberger Altstadt. © unbekannt/Repro Vincent de Boer | unbekannt/Repro Vincent de Boer