Sprockhövel. Ylvi hat mit Poetry Slam eigentlich nichts am Hut. Und trotzdem gewinnt sie total überraschend einen Wettbewerb. Dabei hat sie ganz andere Ziele.

Ylvi Bergener ist unterwegs, in jeder Hinsicht. Die 16-jährige Haßlinghauserin schuftet für die Schule, nächstes Jahr ist Abi. Sie kalkuliert, um ein möglichst sehr gutes Abschlussergebnis zu erreichen. Denn dann will sie Medizin studieren. Und plötzlich kam die Sache mit dem Poetry Slam wie ein Gewitter über sie, ein beispielloser Erfolg. Und eben überhaupt nicht geplant.

Deutsch zählt nicht zu ihren Lieblingsfächern

„Deutsch“, bekennt die Sprockhövelerin, sei nicht ihr Lieblingsfach. „Da hängt der Erfolg auch sehr stark davon ab, wie gut ich mit der Lehrerin oder dem Lehrer zurecht komme.“ Das sei bei Mathe und Bio, ihren Leistungskursen, ganz anders: diese Disziplinen beherrscht die blonde Jugendliche mit den wasserklaren Augen aus dem effeff, weil es exakte Wissenschaften sind, da sind keine Interpretationen möglich.

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Poetry Slam, der Name deutet darauf hin, kommt aus den USA. Grundlage sind Gedichte, nicht unbedingt in Reimform, aber gut durchkomponierte Texte mit einer Botschaft und in einer Form, die auf einer Bühne vor Publikum vogetragen, neudeutsch: performed, werden. „Ich kannte das überhaupt nicht, bis wir das am Ende einer Unterrichtsreihe vor einem Jahr in Deutsch auf dem Plan hatten“, sagt Ylvi.

Aufgabenstellung einfach überhört

Vielleicht war es Ylvis mäßiges Interesse, dass sie die Forderung ihrer Lehrerin an die Schülerinnen und Schüler, nun selbst auch ein solches Gedicht zu schreiben, schlicht überhörte. „Doch dann eines Abends rief sie mich an und machte darauf aufmerksam, mein Beitrag sei noch nicht bei ihr eingetroffen.“ Bis zum nächsten Morgen müsse es vorliegen, da die Lehrerin die Schülerwerke bei einem Wettbewerb einreichen wollte.

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„Das kam aus heiterem Himmel, und ich hatte doch gar keine Idee, was ich da zu Papier bringen sollte“, sagt Ylvi. Nun wohnt genug Kreativität in der 16-Jährigen, dass sie eine solche Aufgabe erledigen kann. Hier kam aber Druck dazu, Zeitdruck. „Ich habe meine Freundin Sarina alarmiert, und wir haben bis tief in die Nacht zusammen an einem Gedicht für den Poetry Slam gearbeitet.“

Ylvi (Mitte) mit ihrer Freundin und Mitautorin Sarina aus Sprockhövel mit einem der Organisatoren der Wettbewerbsaufführung.
Ylvi (Mitte) mit ihrer Freundin und Mitautorin Sarina aus Sprockhövel mit einem der Organisatoren der Wettbewerbsaufführung.

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Eine knappe Seite umfasst das Gedicht, dass die beiden Schülerinnen am Folgetag abgaben, und sie haben ihre nächtliche Situation als Ausgangspunkt fürs Thema gewählt: Druck als Phänomen in der Physik, so nähern sie sich, Druck aber eben auch Alltagserfahrung, der aufs Gemüt drückt durch Nachrichtenschwemme, Bilder, Videos, „innerlicher Terror“ und all die Gefühle, die den Menschen in der aktuellen Zeit zu schaffen machen: Zweifel, Enttäuschungen, Erwartungen.

„Der Auftritt war nicht ganz so schlimm, wir haben vorher Sprechschulungen durchlaufen.““

Ylvi Bergener
Schülerin und Poetry-Slam-Gewinnerin

Lehrerin Lisa Czerwinski schickte „Druck“ wie auch die anderen Texte zum Wettbewerb an die Professionale School of Education der Ruhr-Universität Bocheum. Unter dem Titel „#meine.deine.unsere.werte: Deine Stimme - Deine Zukunft“ waren Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 bis 12 aus dem Ruhrgebiet aufgefordert, Poetry Slam-Texte zu verfassen rund um die Fragen: Wie könnte unsere Zukunft aussehen? Welche Themen werden für uns in Zukunft Bedeutung haben? Was sind unsere Werte in Zukunft?

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Die Überraschung: Ylvi und ihre Freundin Sarina waren erfolgreich, teilen sich den ersten Platz mit zwei Schülern eines Gymnasiums in Wetter. Schirmherr der Aufführung war in der vergangenen Woche Frank Goosen, Bochumer Autor und Kabarettist. Die Auszeichnung galt natürlich dem Text, doch „Druck“ musste bei der Preisverleihung im Anneliese Brost Musikforum Ruhr als Poetry Slam auch aufgeführt werden. Wieder so eine Druck-Situation: „Nicht ganz so schlimm, wir haben vorher Sprechschulungen durchlaufen“, sagt Ylvi. Absprachen waren erfolgt, wer welche Passagen vorträgt, dann noch Feilen an der Körpersprache, um „Druck“ auch gut herüberbringen zu können.

Keine Auswirkung auf Berufswunsch

Dann der Augenblick auf der Bühne: „Man war nervös“, formliert es Ylvi ein bisschen distanziert. Die Beine zitterten etwas, aber dann gelang eine konzentrierte Aufführung. Applaus, die Botschaft war am anderen Ende des Raums angekommen. „Eine sehr aufregende Erfahrung“, sagt Ylvi. Doch unterwegs, daran lässt sie keinen Zweifel, ist sie weiterhin in Richtung Medizinstudium.