Oberhausen. Wie fühlt es sich an, wenn man selbst gemeint ist mit den harten Politiker-Positionen im Wahlkampf? Paradoxe Meinungen, überraschende Antworten.
Es ist Wahlkampf in Deutschland und es scheint nur ein einziges Thema zu geben: Migration. Spezieller: die negativen Folgen für die Gesellschaft durch die Migration. Was macht das mit Menschen, die damit direkt oder indirekt gemeint sind? Die selbst zugewandert sind oder aus einer Zuwanderer-Familie stammen. Wer einen arabischen oder türkischen Namen hat oder ausländisch gelesene Frisuren und Gesichtszüge, kann sich der Debatte kaum entziehen. Die politischen Diskussionen werden heiß geführt, dagegen gehen Zigtausende für ein weltoffenes, tolerantes Deutschland auf die Straßen. In der Oberhausener Innenstadt sind wir mit Menschen ins Gespräch gekommen, die einen Migrationshintergrund haben. Ihre Meinungen waren nicht immer so, wie erwartet.
Remigration. Abschiebung. Grenzkontrollen. Entzug der Staatsangehörigkeit. Die Parteien, allen voran die AfD, kämpfen mit harten Bandagen, wenn es um das Thema geht. Die schrecklichen Attacken wie in Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg haben die Debatte um Zuwanderung noch einmal verschärft. Ebenso wie der Tabubruch von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik eingebracht hat, obwohl er wusste, dass dieser nur mit Stimmen der AfD bewilligt werden kann. Für viele bedeutet dies nicht nur einen Rechtsruck in den Positionen der christlich-konservativen Partei, sondern wenige Tage vor den Wahlen auch einen gesellschaftlichen Rechtsruck im ganzen Land. Macht das Oberhausenerinnen und Oberhausener mit Zuwanderungsgeschichte wütend oder traurig?
Geflüchteter in Oberhausen: „In Syrien habe ich kein Leben“
Wir treffen Aram Alou, der gerade aus einem kurdisch-syrischen Supermarkt kommt. „Ich habe Angst davor, meine Freunde zu verlieren“, sagt der 20-Jährige. Ein möglicher Wahlsieg der AfD macht diese Bedrohung für ihn real. Er ist mit elf Jahren zusammen mit seiner Familie aus Syrien geflüchtet. „Wir sprechen in diesen Tagen viel darüber, was wir machen würden, wenn wir zurück müssten“, sagt er. „Ich kann mir das nicht vorstellen.“ Alou ist in Deutschland aufgewachsen, hat hier die Realschule absolviert. „In Syrien habe ich kein Leben.“
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Der Sozialwissenschaftler und Integrationsforscher Aladin el-Mafaalani hat ein Buch über etwas geschrieben, das er das Integrations-Paradoxon nennt: Umso mehr man sich einer Gruppe zugehörig fühlt, desto höhere Ansprüche hat man an diese, anerkannt und gehört zu werden. Man möchte nicht nur mit am Tisch sitzen, so schreibt er, sondern auch ein Stück vom Kuchen abhaben, der serviert wird. In der Folge könne es zu Frust und Konflikten kommen. Eben, weil man bereits so gut integriert ist und sich nicht abspeisen lässt mit kleinen Zugeständnissen oder, um im Bild zu bleiben: kleinen Krümeln. Bei einigen Menschen mit Migrationshintergrund führt das Integrations-Paradoxon dazu, dass sie sich komplett identifizieren mit den Positionen der Mehrheitsgesellschaft.
Deutsch-Vietnamese in Oberhausen: „Zu viele kriminelle Ausländer“
So könnte man erklären, warum Marcel Tran, ein 25-jähriger Wirtschafts-Ingenieur, den wir auf einen Kaffee im „Tropical“ an der Marktstraße treffen, sagt: „Wenn ich ein waschechter Deutscher wäre, würde ich auch die AfD wählen.“ Marcels Eltern stammen aus Vietnam, womit er laut eigener Definition kein „waschechter“ Deutscher sein kann. Er ist ein Kind von Einwanderern und das mache es für ihn unmöglich, eine in Teilen rechtsradikale Partei zu wählen. Selbst die CDU komme für ihn nicht mehr infrage nach der Kooperation mit der AfD, die Friedrich Merz in Kauf genommen habe. Und trotzdem: „Ich kann es nachvollziehen, dass manche härtere Regeln für Migration fordern.“ Es gebe zu viele kriminelle Taten, die von Ausländern verübt worden seien.
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Auch Remzi Can Yiğit stammt von Einwanderern ab, ist jedoch selbst in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ihm gehört das kleine Geschäft „Südfrüchte Oberhausen“ auf der Marktstraße. Von hier aus habe er das ganze City-Geschehen im Blick, sagt er. Die Armut, die in diesem Stadtteil besonders hoch ist, und die vielen Menschen aus aller Welt. „Ich kriege hier alles mit.“ An seine Eltern, die einst aus der Türkei gekommen sind und denen ganz bestimmt auch mit Vorurteilen begegnet wurde, scheint er nicht zu denken, wenn er sagt: „Deutschland hat viel zu viele Ausländer ins Land geholt.“ Man hätte viel mehr differenzieren müssen, ist seine Meinung. Es müsse schärfere Kriterien geben.
Menschen mit Migrationshintergrund: Unsicherheit vor der Wahl
„Ich dachte, wenn die AfD das macht, die schlechten Leute rauszuwerfen und die guten zu behalten, dann würde ich sie wählen“, sagt Remzi Can Yiğit. Mit „schlechte Leute“ meint der 32-Jährige kriminelle Ausländer. Seitdem er Vater sei, würde er sich viel mehr Gedanken über Sicherheit machen. Aber dann hätte er ein wenig recherchiert, sich Videos auf AfD-Kanälen angeschaut und Chat-Verläufe gelesen, die publik wurden. Danach sei es nicht mehr mit seinem moralischen Kompass vereinbar gewesen. Jetzt weiß er nicht, wen er wählen soll.
Neben gut gebildeten Migranten, deren Kinder und Enkel mit den nationalistischen Parolen der AfD sympathisieren, weil sie keinen Unterschied mehr empfinden zwischen sich und den „alteingesessenen“ Deutschen, gibt es auch jene, die sich sozial und finanziell abgehängt fühlen und der Erzählung der AfD auf den Leim gehen, dass die Migration für ihre Probleme verantwortlich ist. Im Gespräch mit der WAZ erklärt Dr. Conrad Ziller vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen dies folgendermaßen: „Der Zuwachs an Verbesserung durch eine mögliche linke Regierung ist aus Sicht vieler Betroffener zu gering, sie würden am unteren Ende der Gesellschaft bleiben. Durch eine migrationsfeindliche Partei erhoffen sie eine Aufwertung des eigenen Status.“ So würden auch Zugewanderte der ersten Generationen gegen Neuankömmlinge ausgespielt.
Deutschlandweit ist ein Anstieg der AfD-Wähler und -Mitglieder im migrantischen Milieu zu beobachten. Bei den beiden Oberhausenern Marcel Tran und Remzi Can Yiğit haben sie sich letztendlich doch nicht verfangen, die menschenverachtenden Parolen und Pläne der Rechten.