Oberhausen. Trotz ihres Schicksals ist das Klima für ukrainische Flüchtlinge in Deutschland rauer geworden. Viele sind noch immer ohne Job. Das hat Gründe.
Diese Zahl hat nicht nur Fachleute aufgeschreckt: Zum ersten Mal seit acht Jahren lag die Arbeitslosenquote mit 11,1 Prozent in Oberhausen im Juli 2024 wieder über der 11-Prozent-Marke - ein trauriger Wert. 12.300 Oberhausenerinnen und Oberhausen suchen einen Job - und das wird jetzt schwieriger. Denn die Wirtschaft schwächelt - seit anderthalb Jahren verzeichnen die Statistiker eine Stagnation. Und das spürt auch Oberhausen.
„Auf dem Oberhausener Arbeitsmarkt beobachten wir einen Mangel an Bewegungen. Wer jetzt einen Arbeitsplatz hat, der verliert ihn in der Regel nicht, weil die Unternehmen versuchen, ihre Kräfte zu halten“, beschreibt Jürgen Koch, Geschäftsführer der hiesigen Arbeitsagentur die Lage. „Aber die Betriebe sind bei Einstellungen sehr vorsichtig geworden. Auch die Rufe nach Fachkräften sind nur noch verhalten zu hören.“
Neue Zuwanderer sind erst einmal schwer in den Arbeitsmarkt zu integrieren
Trotz des jahrelangen Beschäftigtenbedarfs stagnierte die Zahl der Arbeitslosen im Ruhrgebiet immer noch auf recht hohem Niveau. Ein wichtiger Grund dafür ist nach Angaben der Arbeitsagentur die anhaltende Zuwanderung. Neue Zuwanderer aber sind nach den Erfahrungen der Arbeitsagenturen erst einmal schwer in den Arbeitsmarkt zu integrieren - selbst die relativ gut ausgebildeten Ukrainer, die zu 40 Prozent einen akademischen Abschluss nachweisen können. Bei den Langzeitarbeitslosen beträgt diese Quote nur 5 Prozent.
„Entscheidend ist, wie gut der Arbeitnehmer die deutsche Sprache beherrscht“, ist die Erfahrung von Georg Talian, Geschäftsführer der SfS Schulungsgesellschaft, die in Oberhausen Integrationskurse anbietet und selbst Flüchtlinge beschäftigt. „Es ist schwierig, jemanden einzustellen, der sich nicht artikulieren kann. Wenn der neue Arbeitnehmer in einer Firma Erläuterungen zu seinen Aufgaben kaum versteht und einen so hohen Betreuungsbedarf intern hat, dann macht er mehr Arbeit, als er der Firma einbringt.“ Ob Elektriker, Pfleger oder gar Verkäufer - man benötige oft Deutschkenntnisse auf B2-Niveau - die Integrationskurse streben aber nurl B1 an. „Das reicht in der Praxis Arbeitgebern dann oft doch nicht.“
Die Zuwanderung von Menschen beeinflusst in hohem Maße den Arbeitsmarkt. Das kann man am Beispiel Oberhausen aus den Statistiken der örtlichen Arbeitsbehörden gut erkennen. Rund 4500 der über 12.000 Arbeitslosen stammen aus neun Staaten - aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan, Pakistan, Iran, Irak, Eritrea, Somalia und Nigeria. Aus diesen Staaten hat Oberhausen fast 4000 Menschen in den beiden Jahren 2022 und 2023 neu aufgenommen. Der Weg zum auskömmlichen Beruf ist für die Neuen schwierig, nicht nur, weil Deutschkenntnisse fehlen: lange Anerkennung von Abschlüssen, andere Arbeitskultur, andere Behördenwelt.
Rekordwert von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten fußt auf Zuwanderer
Dies ist die eine, problematische Seite der Medaille. Die andere Seite, die positive, sieht man an einem anderen Oberhausener Wert: mit über 70.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten hat die Stadt nach Jahrzehnten einen neuen Rekordwert an Arbeitskraft in der örtlichen Wirtschaft erreicht - mit steigender Kaufkraft und Wertschöpfung. „Dieser Aufwuchs an Beschäftigten ist maßgeblich durch die Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit erreicht worden“, analysiert Koch.
Doch warum sind so viele Ukrainerinnen und Ukrainer noch arbeitslos - gut ausgebildet und relativ jung müssten sie doch schnell vermittelt werden können? In Oberhausen tauchen rund 1800 beim Jobcenter auf. Andere Staaten erreichten schnell bessere Quoten an ukrainischen Beschäftigten. In der politischen Diskussion, vor allem von rechtspopulistischer Seite, weht den beschäftigungslosen Ukrainern trotz ihres schlimmen persönlichen Schicksals der Wind ins Gesicht. Ist der Anspruch auf Bürgergeld zu hoch? Ruht man sich auf ein finanzielles Polster vom Staat aus? Sind Ukrainer doch faul geworden?
Nein, versichert einhellig die Runde der Praktiker aus Arbeitsbehörden und Unternehmen. „Die Ukrainer und die Ukrainerinnen, viele von ihnen Mütter mit zu betreuenden Kindern, sind hoch motiviert. Es gibt immer mal problematische Einzelfälle, aber die große Masse will unbedingt arbeiten“, berichtet Valeska Hurraß, neue Geschäftsführerin des Oberhausener Jobcenters. „Wir erleben ein großes Interesse, die Ausfallquoten bei Gesprächsterminen sind sehr gering, die Teilnahmequoten an Treffen mit Unternehmern sehr hoch, bei unserem Speed-Dating mit 30 Betrieben und 400 Teilnehmerinnen lag sie bei 95 Prozent.“ Hürden aber seien die zuverlässige Betreuung der Kinder, die langsame Anerkennung von Abschlüssen und allen voran die Deutschkenntnisse. „Ukrainer sind pünktlich, zuverlässig, zielstrebig, halten durch“, erlebt Firmenchef Talian tagtäglich.
Koch und Hurraß loben den von der Bundesregierung im Herbst 2023 ausgerufenen Jobturbo für arbeitslose Ukrainer: Deutschkurse auch in den Abendstunden nach der Arbeit, bessere Kinderbetreuung, Konzentration der Arbeitsvermittler auf Ukrainer, mehr direkte Kontakte zu Unternehmen. Fast 30 Leute sind allein dafür beim „Integration-Point“ im Umweltzentrum TZU abgestellt. Zur Einordnung: Im Oberhausener Jobcenter arbeiten derzeit 360 Beschäftigte, in der Arbeitsagentur sind es für Oberhausen und Mülheim 120. Es gibt nun erste Erfolge des Jobturbos, aber sie passieren sehr langsam: von Oktober 2023 bis April 2024 wurden 117 Ukrainer auf sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vermittelt.
Praktiker Georg Tailian glaubt, dass derzeit zu viele Einheimische zu ungeduldig mit den Zuwanderern sind. „Ein guter Spracherwerb benötigt Zeit. Die Menschen bedeuten eine Riesenchance für Deutschland, sie werden uns total bereichern. Wir müssen aber Geduld mitbringen.“