Oberhausen. Ein 27-Jähriger soll eine junge Frau bei der Lebenshilfe Oberhausen getötet haben. Angehörige bemerkten zuvor eine Veränderung seines Wesens.
- Im Februar 2024 wird eine junge Frau bei der Lebenshilfe Oberhausen getötet
- Täter soll ein 27-Jähriger sein, der, wie auch das Opfer, in der Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung tätig war
- Angehörige erheben Vorwürfe: Gab es Warnsignale?
Eine schlimme Tat überschattet seit Ende Februar 2024 die Arbeit der Oberhausener Lebenshilfe. Im unmittelbaren Umfeld der Werkstatt im Stadtteil Königshardt, in der Menschen mit geistiger Behinderung unter Anleitung und Aufsicht einer Arbeit nachgehen können, ist eine junge Frau getötet worden. Erwürgt, mutmaßlich von einem 27-Jährigen, der, wie auch das Opfer, als Mitarbeiter mit Handicap in der Werkstatt tätig war.
Die Hintergründe der Tat sind bislang unklar. Der mutmaßliche Täter ist in einer psychiatrischen Klinik untergebracht, Anklage wurde bislang noch nicht erhoben.
Bei Onkel und Tante fand er ein zweites Zuhause
Doch was ist über den 27-Jährigen überhaupt bekannt? Persönliche Einblicke in das Leben des jungen Mannes geben dessen Tante und Onkel im persönlichen Gespräch mit der Redaktion. Sie kennen ihren Neffen seit der Geburt. Nach dem Tod der Mutter fand er bei Onkel und Tante ein zweites Zuhause. Die Vormundschaft haben sie allerdings nicht, der 27-Jährige hat einen gesetzlichen Betreuer.
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In den ersten Lebensjahren habe sich der Junge „ganz normal“ entwickelt, erzählen die beiden Oberhausener. „Wie jedes andere gesunde Kind auch.“ Doch nach einer schweren Krankheit im Alter von drei oder vier Jahren wurde alles anders. „Er blieb in der Entwicklung zurück, hat den Anschluss an Gleichaltrige mehr und mehr verloren.“
„Das Kind hatte in so einem Heim nichts zu suchen“
Weil auch sein Verhalten auffällig war, habe man seinen Eltern dann irgendwann geraten, den Jungen in ein Heim für schwer erziehbare Kinder zu geben. Doch geholfen habe dies nicht, die Familie habe man mit ihren Sorgen allein gelassen. „Ist doch auch klar, das Kind hatte in so einem Heim nichts zu suchen. Er war nicht schwer erziehbar, er hatte Entwicklungsstörungen“, meint seine Tante heute.
Später, als Jugendlicher, besuchte er eine Förderschule. „Dort muss etwas passiert sein“, mutmaßt der Onkel. „Er verhielt sich plötzlich noch auffälliger, bekam immer Angst, wenn jemand über die Schule sprach.“ Der Onkel habe ihm immer wieder versprechen müssen, nie wieder in diese Schule gehen zu müssen. „Wir wissen bis heute nicht, warum.“
Mutmaßlicher Täter seit 2017 bei der Lebenshilfe
Seit 2017 war der heute 27-Jährige dann Teil der Lebenshilfe. Nach zwei Jahren in der Berufsbildung wechselte er 2019 in die Königshardter Werkstatt. Seine damals diagnostizierten Handicaps: eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), eine verzögerte geistige Entwicklung und Autismus.
Dann rollte die Corona-Pandemie auch über Oberhausen, was den jungen Mann aus der Bahn geworfen zu haben scheint. Sie seien immer schwieriger an ihren Neffen herangekommen, erinnern sich Onkel und Tante. Der junge Mann lief oft weg, verletzte sich selbst. Seine Tante suchte mit ihm Hilfe bei einer Psychologin, aber Erfolg hatte dies nicht.
Wesensveränderungen nach der Corona-Pandemie
Sie schlugen Alarm, versichern Tante und Onkel: Sie hätten den gesetzlichen Betreuer des jungen Mannes kontaktiert und nach eigener Aussage sehr deutlich gemacht, dass mit dem Neffen etwas nicht stimme, dass er Hilfe benötige. Sie hätten allerdings nicht den Eindruck gehabt, dass hier irgendetwas geschehen sei.
Auch den Angestellten der Lebenshilfe sei die deutliche Wesensveränderung bei dem jungen Mann aufgefallen. „Das wurde gemeldet“, versichert ein Angestellter im Gespräch mit der Redaktion. „Ich habe mir den Mund fusselig geredet, aber niemand hat geholfen.“ Der junge Mann sei nicht mehr zugänglich gewesen, man sei kaum noch zu ihm durchgedrungen. Zudem habe er immer wieder sexuell anzügliche Bemerkungen gemacht. Die Tante des Mannes schüttelt mit dem Kopf, als sie das hört. „Das hätte man uns doch auch sagen müssen.“ Und ihr Mann ergänzt: „Zum Schutz der anderen hätte man auf meinen Neffen gucken müssen.“
Lebenshilfe Oberhausen bestreitet Vorwurf
Auch außerhalb der Lebenshilfe seien dem persönlichen Umfeld des jungen Mannes die Veränderungen aufgefallen. Auch dies sei der Geschäftsführung der Lebenshilfe mitgeteilt worden, versichert ein Bekannter des jungen Mannes, der namentlich ebenfalls nicht öffentlich in Erscheinung treten möchte.
Die Lebenshilfe bestreitet dies. Sie sei „nicht von Angestellten über deutliche Wesensveränderungen beim mutmaßlichen Täter oder besondere Vorkommnisse informiert worden“.
Jetzt ist der junge Mann in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Seine Tante hat ihn mehrfach besucht, jeden Abend mit ihm telefoniert. Er wirke sehr gefasst, sei sich der schlimmen Lage durchaus bewusst. „Er hadert mit sich, er hat immer gewusst, dass er ,anders‘ ist, wie er es immer nannte. Das hat ihn gestört, er hatte oft Selbstzweifel“, erinnert sich die Tante. Im Frühjahr habe er gesagt, die junge Frau nicht umgebracht zu haben. Licht ins Dunkel zu bringen, ist nun Aufgabe des Gerichts.