Oberhausen/Duisburg/Essen.. Staatsanwaltschaft legt Berufung gegen Bewährungsstrafe für Schausteller ein. Drei Zivilklagen vor dem Landgericht. Streitwert bei rund 150.000 Euro.
Der schwere Unfall auf der Fronleichnamskirmes, bei dem im vergangenen Jahr fünf Menschen teils schwerstverletzt worden sind, wird die Justiz noch für längere Zeit beschäftigen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Entscheidung des Oberhausener Amtsgerichts, das am vorvergangenen Donnerstag gegen einen 42-jährigen Schausteller aus Duisburg eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verhängt hatte, Berufung eingelegt. Das Urteil ist damit noch nicht rechtskräftig und wird nun vor die nächste Instanz kommen: das Duisburger Landgericht. Dort sind bereits drei Klagen von Opfern anhängig, die Schmerzensgeld und Schadenersatz verlangen.
Die Verfahren richten sich gegen die Betreiberfirma des Fahrgeschäfts „Love Express“, deren zwei Gesellschafter, unter denen auch der in erster Instanz verurteilte Schausteller ist, und gegen die Stadt Oberhausen als Veranstalter des Rummels. Über die Zivilklagen entscheidet das Landgericht unabhängig vom bisherigen Verlauf und einem möglichen Ausgang des Strafverfahrens. Insgesamt geht um einen Streitwert von rund 150.000 Euro, den die Opfer, drei Frauen aus Oberhausen, Essen und Heiden unabhängig voneinander von den Beklagten fordern. Dass die Stadt Oberhausen am Ende eines Prozesses zahlen müsste, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Für sie gilt eine sogenannte nachrangige Haftung, primär prüft das Gericht die Ansprüche der Kläger gegen die Betreiber.
Metallteile lösten sich von Deckenkonstruktion
Am weitesten fortgeschritten ist derzeit der Fall einer 44-jährigen Oberhausenerin. Sie klagt auf 50.000 Euro Schmerzensgeld, rund 8000 Euro Schadenersatz und auf die Feststellung seitens des Gerichts, dass die Beklagten auch für weitere derzeit noch nicht bezifferbare Schäden oder Kosten in der Folgezeit aufkommen. Das Gericht geht für diesen Fall von weiteren rund 10.000 Euro aus. Die Frau saß am 6. Juni 2015 im „Love Express“, als sich bei voller Fahrt Metallteile der Deckenkonstruktion lösten und die Fahrgäste trafen. Die 44-Jährige habe einen Nasenbeinbruch und schwerste Kieferverletzungen erlitten, mehrere Zähne verloren, musste künstlich beatmet werden, behalte dauerhafte Narben zurück und leide seit dem Vorfall unter einer Angststörung, so ihre Klage. Das Landgericht hat inzwischen für Mitte November einen Termin für eine mündliche Verhandlung angesetzt.
Mit der Zustimmung beider Parteien wurde eine weitere Klage einer 20-Jährigen aus Heiden so lange ausgesetzt, bis ein Urteil im Fall der Oberhausenerin rechtskräftig geworden ist. Die junge Frau aus dem Münsterland fordert rund 8000 Euro. Sie habe bei dem Unfall Wunden im Gesicht erlitten, die genäht werden mussten und erhebliche Schmerzen nach sich zogen.
Auf rund 70.000 Euro klagt auch eine 22-Jährige aus Essen. Auch sie gibt an, sie habe bei dem Unglück schwere Verletzungen im Gesicht davon getragen, sei bewusstlos gewesen und habe extreme Schmerzen erlitten, nachdem die Metallteile und Scheinwerfer auf die Fahrgäste gestürzt waren. In diesem Fall tauschen die Parteien derzeit noch Schriftsätze aus, um eine mündliche Verhandlung vorzubereiten. Einen Termin dafür hat das Landgericht noch nicht bestimmt.
Opfer vermuten Schlamperei, Beklagter vermutet Manipulation
Die Argumentationslinien von Kläger- und Beklagten-Seite in den Zivilverfahren weisen Parallelen zum Strafprozess auf. Die Opfer gehen wie schon die Staatsanwaltschaft davon aus, dass beim Aufbau und der anschließenden Kontrolle massiv geschlampt worden sei. So sollen Sicherungssplinte „vergessen“ worden sein, weshalb sich die Elemente der Dachkonstruktion schließlich lösten. Bei einer ordnungsgemäßen Kontrolle durch den verantwortlichen Betreiber hätte das auffallen müssen. Der Schausteller selbst und die Betreibergesellschaft bestreiten dagegen, dass sie eine Schuld an dem Unfall trifft. Der 44-jährige Duisburger hatte mehrfach den Verdacht geäußert, dass Unbekannte sein Fahrgeschäft manipuliert hätten. Ehemalige Mitarbeiter oder Konkurrenten könnten dafür in Frage kommen.
Diese These hatte das Oberhausener Amtsgericht bei seinem Urteil abgewiesen und „fernliegend“ genannt und dem Schausteller die Missachtung etlicher Vorschriften vorgehalten. Im Schlusswort hatte sich der Angeklagte bei den Opfern entschuldigt. Im Strafprozess hatte die Verteidigung auf Freispruch plädiert. Die Staatsanwaltschaft forderte dagegen zwei Jahre und drei Monate Haft. Sie kann ihre Berufung nun noch schriftlich begründen. Die Verteidigung des Schaustellers hat bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist darauf verzichtet, Rechtsmittel einzulegen.
Update: Mehr als fünf Jahre nach dem Unfall sind die beiden Zivilverfahren der Frauen aus Essen und Oberhausen abgeschlossen. Die beiden Betroffenen schlossen im November 2019 beziehungsweise Juli 2020 Vergleiche mit der Betreiberfirma des Fahrgeschäfts. Die Beklagten zahlen nach Angaben eines Sprechers des Duisburger Landgerichts jeweils rund 70.000 Euro. In den Vergleichen enthalten ist demnach auch ein sogenannter "Freisteller", der die Versicherung verpflichtet, auch für derzeit noch nicht absehbare künftige medizinische Behandlungen aufzukommen. Die Frage, wie der Fall der Frau aus Heiden ausgegangen ist, vermochte das Landgericht nicht zu beantworten.