Mülheim. Ehrenamtliche servierten Mülheimer Obdachlosen am Hauptbahnhof ein Weihnachtsmahl. Mancher Besucher ist vom Leben auf der Straße gezeichnet.

Ein winziger Hauch von Weihnachten kommt am Freitagabend am Nordausgang des Hauptbahnhofes auf. Ehrenamtliche vom Verein Solidarität im Ruhrgebiet, Mitglieder des Marokkanischen Kultur- und Sportvereins und Mitarbeitende der Targo-Bank servieren Reis mit Hähnchengeschnitzeltem und verteilen Geschenktüten.

Auch warme und kalte nicht-alkoholische Getränke werden an rund 30 Gäste ausgeschenkt, die auf klassischen Bierzeltgarnituren unter einem Festzeltdach sitzen und es sich schmecken lassen. Autoscheinwerfer bringen etwas Licht ins Dezember-Dunkel. Auf der Motorhaube eines Transporters steht ein geschmückter Weihnachtsbaum. Doch frohe Feststimmung will so gar nicht aufkommen. Denn die Menschen, die sich für eine halbe Stunde mit einer warmen Mahlzeit und guten Worten ihrer Gastgeber aufwärmen können, sind vom und fürs Leben gezeichnet.

Meriam Benaini, Bahar Majid und Driss Benajem (v.l.) vom Marokkanischen Kultur- und Sportverein geben am Nordausgang des Hauptbahnhofs Mülheim eine warme Weihnachtsmahlzeit an Obdachlose aus.
Meriam Benaini, Bahar Majid und Driss Benajem (v.l.) vom Marokkanischen Kultur- und Sportverein geben am Nordausgang des Hauptbahnhofs Mülheim eine warme Weihnachtsmahlzeit an Obdachlose aus. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Mülheimer: „Im Gefängnis ging es mir besser als draußen.“

Einer von ihnen ist Volker (46). „Auf der Straße zu leben, ist echt die Hölle, vor allem im Winter. Im Gefängnis ging es mir besser als hier draußen“, sagt er. Sohn aus gutem Hause, arbeitet als Straßen- und Kanalbauer, dann als Maler und Lackierer. Dann kommen die falschen Freunde, Drogen und Alkohol in sein Leben. Die Folge: Erst arbeitslos, dann wohnungslos. Beschaffungskriminalität, Rausch, Ernüchterung, Haft. So lässt sich Volkers Lebensweg in Stichworten beschreiben. „Ich war noch nie so am Boden wie heute. Und ich hätte mir nie vorstellen können, einmal in so eine Situation zu kommen“, sagt der Mann in seinen besten Jahren, die es nicht gut mit ihm meinen.

„Ernüchterung, Entzug, Rausch, besoffen, Wohnplatz besorgen. Mein Kopf ist so voller Druck, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann“, beschreibt Volker seine Lebenswirklichkeit. Er weiß: „Ich muss mich selbst aus der Scheiße ziehen!“ Doch ganz ohne Hilfe geht es nicht. Volker hat Hoffnung, nicht nur wegen des Abendmahls am Hauptbahnhof. Er hat Kontakt zum Café Light der AWO und zum Sozialamt bekommen. Hier arbeitet man mit ihm daran, seinen Teufelskreis, mit dem Einzug in eine therapeutische Wohngruppe zu durchbrechen. 2025 soll es so weit sein.

Mülheimer sind aus ihrer bürgerlichen Lebensbahn geflogen

Ilka Zimmermann und Martina Justenhofen, zwei von 40 Aktiven des 2018 gegründeten Vereins Solidarität im Ruhrgebiet e.V. kennen „ihre Leute“ und deren Lebensgeschichten. Die hören sich so oder so ähnlich wie die von Volker an. Die beiden Frauen und ihre Helfer, zu denen an diesem Abend auch Mitglieder des Marokkanischen Kultur- und Sportvereins gehören, lernen beim werktäglichen Obdachlosen-Abendbrot an den Hauptbahnhöfen in Mülheim und Oberhausen Menschen kennen, die zum Beispiel durch eine Firmeninsolvenz, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit oder einen anderen Schicksalsschlag aus ihrer bürgerlichen Lebensbahn geflogen sind. Und die Zahl ihrer Gäste steigt.

Junge Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Targobank Duisburg verteilen am Nordausgang des Mülheimer Hauptbahnhofs Geschenketüten mit wärmender Kleidung und Schokolade an Obdachlose.
Junge Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Targobank Duisburg verteilen am Nordausgang des Mülheimer Hauptbahnhofs Geschenketüten mit wärmender Kleidung und Schokolade an Obdachlose. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

„Das kann jedem von uns passieren“, sind sich Martina Justenhofen und der Vorsitzende des Marokkanischen Kultur- und Sportvereins, Achmed Gassa, einig. „Wir alle sind Teil einer Gesellschaft und wenn jeder ein bisschen mithilft, kann es nur besser werden,“ erklärt Gassa seine Motivation. „Ich habe zu Hause einen vollen Kühlschrank und ein warmes Bett. Das reicht mir, um Menschen zu helfen, die das nicht haben“, betont Justenhofen, die sich als „Mädchen für alles“ vorstellt.

Mülheimer Ehrenamtliche verteilen Schokolade und Thermosocken

„Ich spüre hier Herzlichkeit und Wärme und ich habe hier das Erfolgserlebnis, dass man Menschen hilft, wenn man nur einige Stunden pro Woche investiert“, schildert Ilka Zimmermann, das, was sie in ihrem Ehrenamt antreibt. Targo-Bank-Mitarbeiter Enes Tekin, der mit Kollegen Geschenktüten mit Schokolade, Schals, Thermosocken und Winterjacken verteilt, sagt: „Ich bin froh, heute hier und damit ein Teil des Ganzen zu sein, weil ich hier sehe, dass wir zu wenig für die Menschen tun, die unsere Hilfe am dringendsten brauchen.“

Hühnerbrustfilet auf Reis gibt es als Hauptmahlzeit für die obdachlosen Menschen am Mülheimer Hauptbahnhof.
Hühnerbrustfilet auf Reis gibt es als Hauptmahlzeit für die obdachlosen Menschen am Mülheimer Hauptbahnhof. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Froh sind auch Ilka Zimmermann und Martina Justenhofen, dass ihr Verein und seine durch den Magen gehende Nächstenliebe durch private Spenden und Firmenspenden, vor allem in Form von Lebensmitteln, unterstützt wird. Schade finden sie, dass sie durch die Städte Mülheim und Oberhausen keine Unterstützung erfahren, zuletzt auch nicht in ihrem Anliegen, die leerstehenden Flüchtlingsunterkünfte am Klöttschen für Obdachlose zu öffnen.

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