Mülheim. Seit Jahrzehnten schwinden Pflanzen und Insekten auch in der Mülheimer Natur: Doch am Auberg holt ein Projekt Artenvielfalt in die Region zurück.
Dass am Auberg inzwischen wieder der Neuntöter anzutreffen ist, hat seine guten, aber auch komplexen Gründe. Oliver König hält sie praktisch in seiner Hand: Hunderte Samen von heimischen Pflanzen. Der Landschaftsexperte des Regionalverbands Ruhr sät sie in diesen Tagen in „seinem Reich“ am Auberg aus, im Frühjahr wachsen sie und locken zahlreiche Insekten an. Die landen dann ab Mai im Schnabel des possierlichen Vogels mit dem brutal klingenden Namen.
Satte 100 Kilogramm Saatgut hat das Team um König in diesem Jahr mit dem Wiesefix - eine Art kleine Mähmaschine für Pflanzensamen - von den sogenannten Anreicherungsstreifen geerntet. Diese jeweils etwa zwei Meter breiten und gut 15 Meter langen Wildkräuterbahnen mitten in der Mülheimer Landwirtschaft sind an etlichen Stellen angelegt. Mittendrin, denn von hier aus sollen sich Bibernelle, Wiesen-Witwenblume, Gras-Sternmiere, Wiesen-Flockenblume, Margerite, und viele andere heimische Pflanzen in alle Himmelsrichtungen verbreiten.
Warum der Wiesefix gut für Insekten in Mülheim ist
Anfang Juni wird ein Teil der fertigen Samen von den gelben Bürsten des „Wiesefix“ quasi herausgestreichelt. Die Samen landen auf einem Gitter im Inneren, wo sich das Grobe von den feinen Samen, die darunter in einen Sack fallen, trennt. Die Erntetechnik ist auch gut für die Insekten, die den Eingriff überleben und wieder zurück in die Natur können. Nachhaltig.
Im September, also in diesen Tagen, fräst der RVR dann wieder Streifen in die Felder und nachdem 14 Tage später auf dem umgepflügten Streifen die letzte Graswurzel abgestorben ist, streut Oliver König wieder die Wildkräutersaat aus. Bis zu 15 Kilogramm reichen für 500 Quadratmeter. Der Zyklus startet von neuem.
Denn mit diesen Samen kann der Ruhrverband sicherstellen, dass gewünschte regionale Pflanzen, auf die viele Insekten angewiesen sind, nicht nur fortbestehen, sondern sich wieder ausbreiten. Und damit eben auch Insekten.
Wie der RVR gegen Mülheimer Monokulturen vorgeht
Denn die einst moderne Landwirtschaft mit ihren effizienten Monokulturen, mit Düngemittel und mit ihren Erntezyklen hat bestimmte wichtige Arten - besonders Magerpflanzen - auch auf dem Auberg verschwinden lassen, erläutert König. Mit ihrem Rückgang haben allerdings auch Insekten immer weniger Nahrung gefunden. Und ohne Insekten wird das Buffet für Vögel ebenfalls allmählich schmaler.
Problematischer noch: Weniger nützliche Wildkräuter bedeuten gleichzeitig auch weniger Samen, um diese Abwärtsspirale zu wenden, erklärt König. Und die gibt‘s eben nicht in den Wildblumenwiesen-Tütchen aus dem Baumarkt. So verrückt es sich anhören mag: Regionales Saatgut von heimischen Pflanzen muss inzwischen gezielt und teuer angebaut werden. Und nur wenige Betriebe in Deutschland sind darauf spezialisiert.
Von der intensiven zur extensiven Bewirtschaftung
Deshalb ist die stattliche Menge an Saatgut ein echter Erfolg, seit König vor gut vier Jahren damit begonnen hat, den Abwärtstrend am Auberg umzudrehen. Angefangen hat es übrigens damit, dass die Landwirte die hiesigen Flächen nicht mehr mit Gülle düngen - zuletzt 2019.
Zudem wird weniger häufig und auch nur abschnittsweise gemäht, „vor 150 Jahren haben viele Bauern das genauso gemacht“, erläutert König, denn man verbrauchte das Heu auch nur in solchen Mengen. Und so - wenn auch unbeabsichtigt - blieben Rückzugsräume für die Entwicklung von Pflanzen und Tieren. Experten sprechen dabei von einer extensiven statt der üblichen intensiven Nutzung.
Mehr als 40 Arten sind auf den rund 60 Hektar großen Auberger Grünflächen inzwischen zu finden. „In dieser Größe und Ausprägung gibt es im Ruhrgebiet kein Grünlandgebiet, dass vergleichbar wäre“, sagt König nicht ohne Stolz auf das bisher erreichte.
Was hat denn Mülheims Landwirtschaft davon?
Die Wiesen haben sich unter dieser Maßgabe mehr zu Biotopen für Insekten und Pflanzen entwickelt, die nicht nur den Artenreichtum fördern. Sondern auch den klimabedingt steigenden Temperaturen trotzen: Vielfältig bewachsene Böden sind bei Hitze im Durchschnitt fünf Grad kühler als unbewachsene Böden und immer noch drei Grad kühler als Monokulturen. Umgekehrt halten sie bei Frost die Wärme länger um 1,2 bis 1,5 Grad.
Und was hat die Landwirtschaft davon? Sie wird für die weniger wirtschaftliche extensive Bewirtschaftung entschädigt, das Heu aber wird dennoch genutzt. Pferde etwa bekommen die besondere Kost - das, weil es so stark mit Wildkräutern angereichert ist, unter einem besonderen Begriff firmiert: „Apotheker-Heu“, nennt es König mit feinsinnigem Lächeln.
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