Mülheim. Thomas Sass hat sein Haus schon komplett in Schwarz-Rot-Gold gehüllt, als es noch nicht cool war. Zur Heim-EM hat er nochmal alles rausgeholt.
Dieser Mann sieht schwarz-rot-gold. Über den gesamten Vorgarten verläuft eine Wand aneinandergenähter Fahnen, wie man sie sonst nur vom untersten Rang einer Stadiontribüne kennt. Wo ist denn hier die Klingel? Natürlich, unter einem Banner verborgen. Thomas Sass steht darauf. Ein bärtiger Mann, Ende 50 öffnet die Tür. Die Windspiele, die Aufsteller, das Fußballtor, die Trainerbank neben der Eingangstür, die Maskottchen überall und eben die Fahnen von Baum zu Baum, über den Fenstern, auf dem Boden, über der Nachbarsgarage, bis aufs Grundstück noch vom Nachbarsnachbarn: Es ist sein Werk.
Gezählt hat er sie nie, sagt Thomas Sass. Durchs Wohnzimmerfenster fällt der Blick auf den Garten. Da geht es weiter. Deutschland, Deutschland, überall. Auf dem Gartentisch sitz Goleo, das Maskottchen der Heim-WM 2006. Albärt muss Thomas Sass erst heraussuchen. „Ein dicker Kopf und kurze Beine.“ Thomas Sass schüttelt den Kopf; der Löwe gefällt ihm deutlich besser.
Schließlich holte RTL Thomas Sass in eine Sendung
2006, da hat alles angefangen. Zur Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land passierte Erstaunliches: Scham und Hemmung einer Nation, die es mit ihrer Nationalität nie so hatte, machten für kurze Zeit Euphorie und Gemeinschaftserleben Platz. Manch einer musste sich an die vielen geschminkten Gesichter, die Fans mit Fahne über der Schulter, die Beflaggung selbst von Pkws und Wohnzimmerfenstern erst noch gewöhnen. Nicht so Thomas Sass, was auch einen beruflichen Hintergrund hat.
Seinerzeit hat der 58-Jährige als Handelsvertreter lizenzierte Fußballfanartikel an die entsprechenden Shops verkauft. Sass hat also gewissermaßen an der Quelle gesessen. Von 2006 an wehten zu jeder großen Meisterschaft ein paar Fahnen und Wimpel mehr am Haus. Radio und Presse begannen zu berichten. Im Garten liefen die Spiele, bei Wind und Wetter auch im Zelt. „Früher waren hier 50 Leute, heute sind‘s weniger“, sagt Sass. „Man wird ja auch älter.“
Im Sommer 2010 klingelte das Telefon. Da fand die WM zum ersten Mal auf dem afrikanischen Kontinent statt. Am anderen Ende der Leitung war die Redaktion von Extra, dem RTL-Magazin mit Birgit Schrowange. Ob man mal vorbeikommen könne zum nächsten Deutschlandspiel. Er sagte zu. Um zehn Uhr morgens war Drehbeginn; Anpfiff war acht Uhr abends. „Ziemlich stressig“ sei das gewesen, sagt Sass. Aber auch eine Erfahrung fürs Leben. „Und jetzt nochmal den halben Liter auf Ex bitte“. So funktioniert Fernsehen.
Jogi trotzt dem Jahrhundertsturm, Deutschland wird Weltmeister
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2014, WM in Brasilien. Kurz vor Turnierbeginn erlebte NRW einen der verheerendsten Stürme der Geschichte. „Fast alles ist kaputtgegangen“, erinnert sich Sass. Jogi Löw und ein namenloser Brasilianer, zwei schwere Schaufensterpuppen, hielten Ela, aufrecht auf der Garage stehend, tapfer stand. Das deutsche Team schaffte es bis ins Finale und wurde am 13. Juli zum vierten Mal Weltmeister.
Nach der WM 2018 in Russland hatte Thomas Sass keine Lust mehr. Wegen der Austragungsorte, aber auch wegen der Teamleistung. „Das konnste dir ja nicht mehr angucken, wie die gespielt haben“, sagt er. Auch in diesem Jahr hatte er eigentlich nichts mehr geplant. Die Vorfreude im Gastgeberland hielt sich insgesamt in Grenzen.
„Man kann auch ohne Titelgewinn ein gutes Fazit ziehen“
Dann schaute er sich die Deutschlandspiele im Vorfeld des Turniers an und holte doch noch einmal die Fahnen aus den Schränken. Nach den zwei Siegen in der Vorrunde sieht man die auch andernorts wieder häufiger. „Dass die Stimmung so positiv wird, da konnte ja keiner mit rechnen“, sagt Sass. Überrascht seien davon auch die Geschäfte, die nun vergeblich versuchten, schnell noch Fan-Ware nachzuordern.
Thomas Sass sieht es realistisch und warnt vor zu hohen Erwartungen: „Die Euphorie schwappt jetzt über, alle reden vom Europameister, aber da kommen ja noch ganz andere Kaliber.“ Wenn das Team in der K.o.-Runde gegen Spanien oder England verlieren sollte, müsse man da einen Haken hinter machen. „Man kann auch ohne Titelgewinn ein gutes Fazit ziehen, wenn man sieht, dass die alles gegeben haben.“ Und momentan sei das ja eindeutig der Fall.
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