Mülheim. 38 Jahre lang war der Mülheimer Jacques Marx Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde. Jetzt wird er Ehrenbürger. Seine Lebensgeschichte ist spannend.

Das Leben von Jacques Marx könnte der Stoff für einen Roman sein, es spiegelt deutsch-französische und jüdische Geschichte. Politische Ereignisse, persönliche Beziehungen, aber auch Zufälle prägten 83 Jahre. In Mülheim ist der Saarner als langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Mülheim/Duisburg/Oberhausen bekannt. Im September soll er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt werden, weil er „jüdisches Leben wieder in den Alltag unserer Stadt integriert hat“.

Im Wald vor den Deutschen versteckt

Der Lebensweg von Jacques Marx beginnt kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in Paris - als Sohn deutscher Juden, die dort im Exil leben. Nachdem der Krieg begonnen hat und die Deutschen vor der französischen Hauptstadt stehen, fliehen Mutter und Sohn in ein Dorf in Südfrankreich. Der Vater – zu jener Zeit interniert – kommt nach. 1942 besetzen SS-Einheiten auch das Perigord - auf der Suche nach Mitgliedern der Résistance. „Wir sind dann in den Wald geflohen, mein Vater hat dort eine Hütte gebaut, dort haben wir zwei Jahre lang gehaust“, erinnert sich Marx.

Nach dem Krieg zieht die Familie nach Saarbrücken zurück, Jacques macht das Abitur in Straßburg, fängt an, dort Pharmazie zu studieren. Politisch aktiv wird er auch - als Maoist. Was ihm Ärger mit der Universität einbringt, er muss das Studium abbrechen und in Freiburg fortführen. „Die erste Zeit war schlimm. Wenn man in der Straßenbahn jemandem gegenübersaß, fragte man sich: War der jetzt Nazi?“ Nicht alle Juden heißen es gut, dass ihre Glaubensgenossen zurück nach Deutschland ziehen.

Intensive Gespräche mit dem Militärrabbiner

Während des Militärdienstes in der französischen Besatzungszone wird Marx Sekretär und Fahrer des Militärrabbiners. „Das war ein toller Mann, wir haben intensive Gespräche geführt, er war auch nicht orthodox, sondern hat mir die Philosophie des Glaubens nahe gebracht. Von der Religion war ich bis dahin weit weg. Meine Familie führte zwar ein jüdisches Leben, aber war nicht streng gläubig“, erzählt er.

Durch Zufall verschlägt es den jungen Apotheker 1966 nach Mülheim, wo er - ebenfalls nicht geplant - zur Jüdischen Gemeinde stößt. „Die bestand damals vorwiegend aus alten Leuten, die nach dem Krieg zurückgekommen waren. Sie haben mich gleich zum zweiten Vorsitzenden gewählt“, berichtet Marx. Nur wenige Jahre später wird er zum ersten Vorsitzenden der nun zusammengeschlossenen Gemeinde Duisburg/Mülheim/Oberhausen - und bleibt es 38 Jahre lang.

Bau einer neuen Synagoge gelingt

Zählt man zu Beginn nur etwa 60 Gemeindemitglieder, wächst die Zahl in den 70ern auf rund 150 an. „Das kleine Gemeindezentrum an der Kampstraße reichte nicht mehr aus“, so Marx. Seine Vision: eine neue Synagoge bauen. Möglichst in Mülheim. Er verhandelt mit OB Eleonore Güllenstern und den Stadtoberen aus Duisburg und Oberhausen. „Duisburg hat uns schließlich einen Superplatz angeboten, der Bau wurde zu je einem Drittel von Stadt, Land und Gemeinde finanziert“, berichtet der 83-Jährige. Die Gemeinde wächst weiter an - zwischenzeitlich auf über 2500 Mitglieder.

Marx setzt sich auch dafür ein, dass der Platz vor der Alten Post in Synagogenplatz umbenannt wird. Ein Ehrenmal wird auf dem alten jüdischen Friedhof an der Gracht aufgestellt. Großes Engagement gilt den Kindern. „Wir haben in Duisburg einen Kindergarten gebaut. Die vielen Familien, die um 1990 aus der UDSSR und anderen östlichen Ländern zuwanderten, konnten kein Deutsch, waren zwar Juden, aber hatten wenig Ahnung vom Judentum. Wir wollten ihnen helfen, anzukommen.“ Viel Wert legte der Gemeindevorsitzende aber auch darauf, den interreligiösen Dialog zu pflegen und die Gemeinde nach außen zu öffnen. „Mit christlichen und muslimischen Gemeinden gab es immer gute Kontakte“, sagt er. Unermüdlich arbeitete er an der Versöhnung zwischen Menschen und Religionen.

Keine „bösen Erfahrungen“ in Mülheim

Antisemitismus und Rassismus habe er seit dem Krieg bisher nicht erfahren, obwohl er über 40 Jahre lang als Vertreter der Juden in der Öffentlichkeit gestanden habe. „Ich laufe aber auch nicht mit der Kippa auf dem Kopf durch die Stadt. Da bin ich vorsichtig“, sagt er. Möglich sei, dass in den vergangenen Jahren mehr Zugewanderte mit judenfeindlicher Gesinnung nach Deutschland gekommen sind. „In Mülheim spürt man das gottlob bislang nicht.“

Für die jüdischen Menschen in Deutschland hat Marx sich eingesetzt – auch im Landesverband der Jüdischen Gemeinden, in der Deutsch-Jüdischen Gesellschaft und auch im Präsidium des Zentralrates der Juden. Schon vor Jahren hat er die Ehrenringe der Städte Mülheim, Duisburg und Oberhausen erhalten.

Die Ehrenbürgerschaft der Stadt haben vor ihm noch gar nicht so viele Personen erhalten. Einer war aber dabei, der es nach Meinung von Jacques Marx und vieler anderer Bürger wahrlich nicht verdient hatte: Hitler. „Ich habe protestiert und es geschafft, dass ihm die Ehrenbürgerschaft aberkannt wurde“, berichtet er. Dass er selbst nun ausgewählt wurde für die Auszeichnung, habe ihn überrascht. Und „emotional sehr ergriffen“.