Moers. Viele Afghanen in NRW haben den Messerangriff in Mannheim mit Entsetzen verfolgt - auch Behnaaz Jansen. Wieso sie Moscheen in der Pflicht sieht.
„Es ist schrecklich und traurig“, sagt Nahid Rahimi über den Vorfall in Mannheim, bei dem ein Mann aus Afghanistan den jungen Polizisten Rouven L. mit einem Messer tötete. Viele in NRW lebende Afghanen sind schockiert und verurteilen die Geschehnisse in Mannheim. „Meine Familie und ich fühlen uns sehr stark davon betroffen“, sagt die 51-Jährige Moerserin.
Vor mehr als 30 Jahren floh Rahimi mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland. Heute lebt und arbeitet sie in Moers. Seit dem Angriff in Mannheim diskutiert sie in ihrer Gemeinde über den Vorfall. „Dieser Mensch war auf jeden Fall krank, denn ein normaler Mensch macht so etwas nicht“, sagt sie.
Bundeskanzler Olaf Scholz will Abschiebung nach Afghanistan und Syrien ermöglichen
Nun will die Bundesregierung die Abschiebung von Schwerstkriminellen nach Afghanistan und Syrien wieder ermöglichen. „Solche Straftäter gehören abgeschoben - auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag, 6. Juni 2024, im Bundestag. Doch es bleibt offen, wie er das ermöglichen will.
Eine Aussage, die bei Behnaaz Jansen auf völliges Unverständnis stößt. „Politik muss seriös und nachhaltig sein und sich nicht von aktuellen Ereignissen, so tragisch sie auch sind, leiten lassen.“ Die deutsche Staatsbürgerin ist ebenfalls in den 80er-Jahren aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Sie habe vollen Respekt vor dem Rechtsstaat. „Deshalb müssen Straftäter hier zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt sie.
Weitere aktuelle Nachrichten aus Moers, Kamp-Lintfort und Neukirchen-Vluyn:
- Brücke in Moers fast ein Jahr gesperrt: Warum tut sich nichts?
- Unterwallstraße in Moers: Autofahrer sauer – „Katastrophe“
- Adventskranz selber machen: Floristin verrät Tricks und Trends
- Grüne in Neukirchen-Vluyn: „Sprache muss einfacher werden“
- Und hier bekommen Sie alle News im Überblick.
Afghanen in NRW kritisieren die Debatte um Abschiebungen nach Afghanistan
Rahimi und Jansen berichten, dass sich viele in der afghanischen Community in Moers von solchen Verbrechen distanzieren. „Wir leben hier in einer Demokratie, in der Selbstjustiz keinen Platz hat, sondern eine Kultur der Meinungsfreiheit herrscht“, sagt Jansen, die inzwischen bei der AWO im Kreis Wesel arbeitet. Sie bestätigt auch, dass sich viele Menschen in ihrer Community mit dem jungen Polizisten solidarisieren, der andere Menschen schützen wollte. „Wir in der Moerser Community wollten nach Mannheim fahren und unsere Solidarität und unser Mitgefühl zeigen, aber viele haben gesagt: Das können wir nicht machen, damit sie nicht denken, dass wir auch Angreifer sind“, so Jansen.
Diese Angst in der Community ist nach Meinung der beiden deutschen Staatsbürgerinnen auf die aktuelle Debatte zu diesem Thema zurückzuführen. Sie kritisieren daher den Umgang der Politik mit dem Thema und empfinden die Debatte um Abschiebungen nach Afghanistan als beängstigend. Denn „sie stellt vor allem alle Afghanen in Deutschland unter Generalverdacht“, sagt Jansen und ergänzt: „Man fühlt sich gedrängt, sich zu rechtfertigen oder Partei zu ergreifen.“
Afghanen aus Moers fordern mehr Aufklärungsarbeit gegen islamistischen Extremismus
Trotzdem finden die beiden Frauen, dass Gewalt keine Lösung ist. „Jeder muss die Meinung des anderen akzeptieren, auch wenn sie für ihn kritisch ist“, sagt Rahimi. Die Moerserin geht deshalb davon aus, dass Muslime besser mit Kritik umgehen müssen. „Politiker dürfen aber nicht alles über einen Kamm scheren, denn es gibt viele Menschen, die sich gegen islamistischen Extremismus stellen und damit nicht einverstanden sind“, sagt die 51-Jährige und ergänzt „Vor solchem islamistischen Extremismus sind viele Menschen aus Afghanistan geflüchtet“.
Die NRZ Moers auf WhatsApp
Unterdessen fordern die Moerserinnen, dass Moscheen und muslimische Kulturvereine mehr Aufklärungsarbeit für muslimische Jugendliche leisten, um einer Radikalisierung vorzubeugen. „Viele junge Muslime besuchen Moscheen. Diese müssen eine Rolle dabei spielen, das Demokratieverständnis dieser jungen Menschen zu stärken“, so Jansen.
Wer diesen Extremismus bekämpfen wolle, müsse wirksame Maßnahmen ergreifen. Denn: „Viele junge Asylbewerber bleiben jahrelang in Flüchtlingsunterkünften, ohne Perspektive. Sie wollen zum Beispiel arbeiten, dürfen es aber nicht, solange über ihren Asylantrag nicht entschieden wurde“, so die 53-Jährige. Das führe dazu, dass sich manche dieser Menschen radikalisieren. „Denn sie fühlen sich ausgeschlossen.“ Deshalb fordert sie, dass sich die Politik in diesen Prozess einmischt. „Es gibt zwar Projekte und Förderprogramme für viele Geflüchtete gegen islamistischen Extremismus, aber da ist noch Luft nach oben“, sagt Jansen.