Herne. 60 Kita-Kinder pro Erzieherin: Der Vorstoß sorgt für Entsetzen bei Eltern, Politik und Trägern. Was sie von den Plänen aus Düsseldorf halten.
Der Vorstoß von NRW-Familienministerin Josefine Paul, wonach eine ausgebildete Erzieherin in Verbindung mit Ergänzungskräften für 60 Kinder ausreichen soll, damit der Betrieb einer Kita weiterlaufen kann, sorgt in Herne bei Eltern, Politikern und Trägern gleichermaßen für einen Aufschrei des Entsetzens.
„Das ist eine Katastrophe“, sagt Ulrich Klonki, Vorsitzender des Ausschusses Kinder, Jugend und Familie in Herne zu den Plänen. „Ich bin fassungslos.“. Es gebe gar keine Gruppe, die 60 Kinder groß ist. „Ich dachte erst, ich hätte mich verhört.“ Derzeit seien zwei Fachkräfte pro 20-köpfiger Gruppe zuständig. Dann seien es drei Gruppen, für die eine Erzieherin verantwortlich sei. „Wie soll das rein praktisch gehen?“, fragt der SPD-Mann. „Ich weiß nicht, wer sich das überlegt hat. Die haben offenbar noch nie in einer Kita gearbeitet.“ Die Not sei groß, ja, aber die Not sei nicht neu und die Pläne aus Düsseldorf definitiv keine Lösung.
Die schwarz-grüne Landesregierung hatte eine Lockerung der Personalvorschriften für Kita-Gruppen mit über Dreijährigen angekündigt. Damit solle der zuletzt gestiegenen Zahl der Meldungen von Notbetreuungen und Gruppenschließungen entgegen gewirkt werden. Auch in Herne hatte es zuletzt in einigen Kitas über zum Teil sehr lange Phasen starke Einschränkungen bei der Betreuung gegeben, die vor allem für viel Frust bei den Eltern sorgten.
„Das ist ein kompletter Unfug.“
Dennoch ist die Vertretung der Kita-Eltern in Herne, der Jugendamtselternbeirat (JAEB), ebenfalls gegen die von Ministerin Paul vorgeschlagene Lockerung der Personalvorschriften. „Das ist ein kompletter Unfug“, sagt die Vorsitzende Karina Majer. Sie fragt sich, wie die Aufsichtspflicht eingehalten werden solle, wenn eine Erzieherin Kinder in drei Gruppen beaufsichtigen soll. „Ich würde mich nicht wohlfühlen, wenn mein Kind in einer Gruppe von 60 Kindern nur von einer Erzieherin betreut würde.“ Mit Kopfschütteln habe sie den Vorschlag aufgenommen und fragt sich, wie Kinder unter solchen Bedingungen überhaupt noch gefördert werden könnten.
Es müsse mehr ausgebildet werden und die Löhne erhöht werden, um den Job attraktiver zu machen, so Majer weiter. Weniger Personal für mehr Kinder sei hingegen auf keinen Fall die Lösung des derzeitigen Problems. „Wie man sowas überhaupt vorschlagen kann...“
Kita-Träger aus Herne hält Pläne für unrealistisch
Paul verteidigte ihre Pläne, die wie sie betont mit den Kommunalen Spitzenverbänden und den Kita-Trägern der Freien Wohlfahrtspflege einvernehmlich abgestimmt worden seien, gegen die unmittelbar aufflammende Kritik zuletzt so: „Wir reden hier über Notlösungen für akute Notsituationen.“ Demnach könne für höchstens sechs Wochen eine sozialpädagogische Fachkraft für eine Erzieherin einspringen.
Doch das stelle die Kita-Träger doch vor das nächste Problem, sagt Bettina Raatz, Geschäftsführerin der Kitas der Lebenshilfe in Herne. „Wenn wir einen Personalengpass haben, dann brauchen wir sofort Unterstützung“, sagt sie. Die Bedingungen, die erfüllt sein müssten, damit eine Person in einer Kita aushelfen könnte, seien umfangreich und dauerten in der Beantragung mehrere Wochen. Alleine das erweiterte Führungszeugnis erhalte man erst nach zwei bis vier Wochen, zudem müssten sie den Verhaltenskodex kennen und unterschrieben haben und mit dem Kinderschutzgesetz vertraut.
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„Wir müssten dann theoretisch einen Pool von Leuten haben, die ich anrufen kann, und die die entsprechenden Bedingungen schon erfüllen“, so Bettina Raatz weiter. „Ich sehe das sehr kritisch und schreie da wirklich auf.“ Bei er frühkindlichen Bildung zu sparen sei der falsche Bereich. Richtiger wäre es, in die Ausbildung und Weiterbildung zu investieren und den Job attraktiver zu gestalten. Dann gäbe es diese Personalnot gar nicht erst. Die Lebenshilfe fahre gerade eine Strategie zur Personalgewinnung und stelle jeden Auszubildenden und jede Auszubildende nach dem Ende der Ausbildung auch im Überhang ein. „Unser Ziel war es, in jeder Kita mindestens einen hausinternen Springer zu haben, der gegebenenfalls auch in anderen Einrichtungen aushelfen muss.“ So können bei der Lebenshilfe Notbetreuung und Gruppenschließungen verhindert werden.
400 Hernerinnen und Herner unterzeichnen bereits Online-Petition
Aufschreien tun aber nicht nur Kita-Träger, sondern auch viele Hernerinnen und Herner, die sich in einer Online-Petition gegen die Pläne der Landesregierung stellen. Während sich insgesamt bereits rund 100.000 Unterzeichner bei change.org der Petition „Wir lassen nicht zu, dass die Kitas in NRW zu Aufbewahrungsstätten werden!“ beteiligt haben, stammten bereits zur Wochenmitte rund 400 davon aus Herne. So kommentiert beispielsweise eine Erzieherin aus Herne: „Es kann nicht wahr sein, dass wir noch mehr verfeuert werden sollen!“
Ein anderer Unterzeichner sorgt sich: „Ich sehe unsere Bildung den Bach runter gehen.“ Weitere Unterzeichnerinnen und Unterzeichner aus Herne schreiben: „ Es sind unsere Kinder, die wehrlos diesen fürchterlichen Umständen ausgeliefert sind!“ „Kinder sind unsere Zukunft und keine Verwahrobjekte“, schreibt jemand anderes. Und eine Kita-Leiterin aus Herne lädt die Ministerin ein schreibt, dass sie die Petition unterzeichne „weil ich ab Dezember eine Stelle für Frau Paul (persönlich) in meiner Kita zur Verfügung stelle, da wir ja jetzt auch ungelernte Menschen unsere Kinder betreuen lassen können.“