Herne. Nach dem EM-Aus der Türkei geht es in Herne in die Verlängerung. Vorwurf: Das Verhalten gegenüber deutsch-türkischen Fans sei unterste Schublade.
Die Türkei ist gegen die Niederlande im EM-Viertelfinale nach großem Kampf mit 1:2 ausgeschieden. Der Herner Integrationsratsvorsitzende und Sozialdemokrat Ibrahim Baltaci ging anschließend in die Verlängerung und zum (verbalen) Angriff über: Er beklagte sich auf seiner Facebook-Seite über das Verhalten deutscher Fußballfans gegenüber türkischen Anhängern und warf ihnen unter anderem Rassismus, Provokationen und undemokratisches Verhalten vor.
Anlässlich des Türkei-Spiels gegen die Niederlande am Samstag erklärte Baltaci auf Facebook, dass er sich „bisher über die spürbare und sichtbare Doppelmoral nicht geäußert“ habe. Er finde es toll, dass es in Deutschland gelungen sei, alte Feindschaften in Freundschaften umzuwandeln. „Umso schlimmer finde ich, dass die traditionelle Freundschaft mit Türken von vielen verspielt wird.“
Einige Deutsche, die sich als Demokraten bezeichneten oder sogar in einer demokratischen Partei aktiv seien, hätten sich seit dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft auf „eine provokante Art bemerkbar gemacht“ und sich für die Niederlande und gegen die Türkei entschieden. Das sei „unterste Schublade“. Kurze Zeit später kündigt Baltaci in einem weiteren Post unter Verweis unter anderem auf Aussagen über „deutsches Blut“ an, „Rassisten“ von seiner Freundschaftsliste auf Facebook zu streichen.
Kommentar auf Facebook: „Viele Masken sind gefallen“
Für seine Beiträge erhält Baltaci im Netz viel Zustimmung von (dem Namen nach) Menschen aus der deutsch-türkischen Community. „Sehr gut erläutert“, heißt es beispielsweise in einem Kommentar, „leider wird man immer mehr fremd hier im Lande.“ Und ein anderer User kommentiert Baltacis Beitrag so: „Ganz einfach, viele Masken sind gefallen. Von wegen Integration, die wollen uns nicht und die wollten uns nie. Egal, was wir tun und machen.“
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Es gibt auf Facebook aber auch Einwände. Er könne Baltacis Statement verstehen, so ein (dem Namen nach biodeutscher) Kommentator. „Ich finde jedoch, dass von beiden Seiten derzeit ziemlich viel Porzellan zerschlagen wird.“ Ein weiterer Kommentar: „Wenn aber nicht wenige Türken, sogar Spieler im Stadion, diesen Wolfsgruß zeigen, dann darf man sich über eine gewisse Schadenfreude nicht wundern.“ Hintergrund: Der sogenannte Wolfsgruß gilt als Zeichen der rechtsextremistischen türkischen Ülkücü-Bewegung.
Auf Anfrage der WAZ zu seinen zum Teil sehr emotionalen Facebook-Beiträgen gab Ibrahim Baltaci eine ausführliche Stellungnahme ab: „Es gibt viele wertvolle Menschen in Deutschland, die sich nicht auf die Herkunft des Menschen konzentrieren, sondern auf ihre Taten und ihr Engagement.“ Besonders Menschen mit internationaler Familiengeschichte trügen durch ihre Erfahrungen und Perspektiven zur gesellschaftlichen Entwicklung bei und sehen Deutschland als ihre Heimat. Leider passiere es häufiger, dass bei manchen Diskussionen - vor allem im Kontext der Fußball-EM - die Zugehörigkeit zu Deutschland an das sogenannte „deutsche Blut“ geknüpft werde. „Das gesellschaftliche Zusammenwachsen kann nicht auf Basis von Blut oder Herkunft erfolgen, dies wäre rassistisch und angesichts des demografischen Wandels in einer globalisierten Welt auch gar nicht möglich“, so der 40-Jährige weiter.
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Erschreckend sei für ihn, dass gegen die Türkei gerichtete rassistische Posts auf Facebook auch von Personen ein „Like“ erhielten, die er persönlich und aus dem parteipolitischen Kontext kenne. „Woher die Feindseligkeit gegenüber den türkischstämmigen bzw. türkischen Fans herrührt, bleibt mir ein Rätsel, außer dass es Rassismus ist“, so Baltaci.