Herne. Das Thema „Sexueller Missbrauch von Kindern“ rückt öffentlich zunehmend in den Fokus - auch in Herne. Wie die Stadt die Beratung ausbauen will.
Tausende Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern in Städten wie Lügde und Bergisch-Gladbach haben in der Öffentlichkeit große Erschütterung ausgelöst. Auch in Herne ist die Zahl der missbrauchten Kinder im vergangenen Jahr deutlich angestiegen. Bei der Stadt sollen nun neue Stellen geschaffen werden, um eine Lücke bei der Beratung von Opfern und deren Angehörigen zu schließen.
Der Ausschuss für Kinder-Jugend-Familie hat am Dienstag den einstimmigen Beschluss gefasst, bei der städtischen Familien- und Schulberatungsstelle bis zu zwei neue Stellen einzurichten. „2022 soll es losgehen“, sagte Sabine Bittner, Leiterin der Beratungsstelle. Die Landesregierung stelle zusätzliche Mittel zur Verfügung, um Angebotslücken bei der Versorgung von Opfern sexualisierter Gewalt zu schließen und Kinder und Jugendliche besser zu schützen.
Kein Angebot in Herne für Jungen und kleine Kinder
Die Beratungsstelle des Vereins Schattenlicht sei derzeit in Herne die einzige Einrichtung, die gezielt psychosoziale Angebote für Opfer von sexuell grenzverletzendem Verhaltungen und sexueller Gewalt mache. „Die Zielgruppe ist aber auf Frauen sowie Mädchen ab dem 14. Lebensjahr beschränkt“, so Sabine Bittner. Für Kinder bis zum 14. Lebensjahr und männliche Jugendliche gebe es deshalb derzeit vor Ort kein geeignetes Angebot.
Hier werde seit Jahren auf die Angebote der Caritas-Einrichtung „Neue Wege“ in Bochum zurückgegriffen. Da diese Beratungsstelle für Herner aber nicht kostenlos sei, müsse in Bedarfsfällen die Kostenübernahme durch die öffentliche Jugendhilfe in Herne bewilligt werden. Von niederschwellig könne deshalb keine Rede sein. Es sei davon auszugehen, so die Stadt, dass diese zusätzliche Hürde „die Inanspruchnahme der notwendigen Hilfen vielfach verhindert“.
Polizei: Anstieg von Fällen sexueller Gewalt in 2020
Der grundsätzliche Handlungsbedarf steht für Stadt und Politik außer Frage. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik für 2020 ist die Zahl der strafrechtlichen Ermittlungen bei sexuellem Missbrauch von Kindern in Herne von 17 auf 38 gestiegen. Und: Die Verwaltung führt an, dass laut einer Studie im Rahmen der sogenannten Dunkelfeldforschung etwa jeder siebte bis achte Erwachsene in seiner Kindheit Opfer von sexueller Gewalt gewesen sei. Und: Es werde davon ausgegangen, dass pro Klasse ein bis zwei Schülerinnen/Schüler von sexueller Gewalt betroffen seien.
Im Ausschuss zeigte sich die CDU-Stadtverordnete Andrea Oehler „entsetzt“ angesichts der aktuellen Lücke im Beratungsangebot und lobte deshalb wie SPD und Grüne die Pläne der Stadt. Auch die Beratungsstelle von Schattenlicht e.V. begrüßt auf Anfrage der WAZ das neue Angebot speziell für Jungen. So etwas fehle bisher in Herne, heißt es. Sie selbst könnten dieses Angebot gar nicht unterbreiten, weil die Landesförderung dies nicht beinhalte, so der Verein.
Ob die zu 80 Prozent vom Land finanzierten (und zunächst auf ein Jahr befristeten) neuen Stellen bei der Stadt aber tatsächlich wie gewünscht 2022 eingerichtet werden können, ist offen. Auf Nachfrage von Jörg Högemeier (SPD) räumte die Verwaltung im Ausschuss ein, dass es möglicherweise schwierig werden könnte, geeignetes Fachpersonal zu finden. Herne stehe hier in Konkurrenz zu anderen Städten, die ebenfalls die Förderung des Landes in Anspruch nähmen.
>> Geplante Beratungsschwerpunkte
- Zu den Aufgaben der beiden neuen Mitarbeiter - möglichst eine Frau und ein Mann - soll die psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen sowie von nicht missbrauchenden Eltern und Familien zählen.
- Außerdem sollen sie die Beratung von Kitas und des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) bei Verdacht auf sexuell grenzverletzendes Verhalten übernehmen und sich um eine Vernetzung kümmern.