Herne. Vikar Christian Schmidtke verlässt nach vier Jahren Herne und fängt in Hamm an. Warum er geht, was er an Herne vermissen wird – und was nicht.

Vikar Christian Schmidtke verlässt nach vier Jahren Herne. Warum er frühzeitig geht, was er aus seiner Zeit in der Stadt mitnimmt und wie er es schafft, bei all den Skandalen in der katholischen Kirche motiviert und positiv zu bleiben – darüber hat der 35-Jährige mit WAZ-Redakteurin Lea Wittor gesprochen.

Die Nachricht, dass Sie Herne verlassen werden, hat viele Hernerinnen und Herner überrascht. Warum gehen Sie?

Nächstes Jahr wäre sowieso die Regelversetzung gewesen nach fünf Jahren. In Hamm war schon jetzt eine Stelle frei, und ich wurde angefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Und ich kann mir das sehr gut vorstellen, weil ich gerne im Ruhrgebiet bleiben möchte. So bleibe ich wenigstens in der Nähe meiner sozialen Kontakte. Dieses Jahr konnte ich noch ein bisschen mitentscheiden, wo es hingeht. Im nächsten Jahr hätte ich nicht gewusst, wo es hingehen würde.

Wie haben die Gemeindemitglieder auf die Nachricht reagiert?

Ich habe von keinem gehört, dass er oder sie sich freut, dass ich gehe. Ich hätte auch noch Jahre länger gemacht, aber irgendwann ist bei der ersten Stelle klar, dass sie vorbei ist. Jeder, dem ich es erklärt habe, hat gesagt, dass es völlig verständlich sei. Ich habe aber schon das Gefühl, dass die Leute sich jetzt Sorgen machen, wie es weitergeht mit der Kirche hier vor Ort. Wir sind an manchen Stellen noch immer eine sehr priesterzentrierte Kirche.

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Ihre Stelle wird also nicht nachbesetzt?

Nein, das ist erstmal nicht vorgesehen.

Was werden Sie an Herne vermissen?

Es klingt banal, aber ich werde viele Menschen vermissen. In den vergangenen vier Jahren sind einfach sehr viele Kontakte entstanden. Menschen da zu lassen, wo man geht – das fällt mir schwer. Was mir auch fehlen wird, ist der gute Kontakt zu unseren evangelischen Kolleginnen und Kollegen. Es ist einfach Wahnsinn, wie wir hier die Ökumene leben. Es gibt Phasen, da telefoniere ich mehr mit der evangelischen Kollegin als mit meinem Team. Dass das so intensiv ist und daraus sogar Freundschaften entstehen, das werde ich bestimmt nicht noch einmal so erleben.

Ist das ein Ziel, das Sie mitnehmen nach Hamm?

Ich habe hier, als ich ankam, eine Mail an verschiedene Institutionen geschrieben, um mich vorzustellen. Eine der ersten Mails ging an den evangelischen Pfarrer Kornelius Heering von der Kreuzkirche. Ich nehme sicherlich mit, dass ich das auch in Hamm so machen werde.

Haben Sie neben der Ökumene noch andere Ziele, die Sie gerne in Hamm erreichen würden?

Der Tiersegnungsgottesdienst wird hoffentlich schon in diesem Jahr in Hamm stattfinden. Den gab es in Herne nun schon zwei Mal. Jetzt habe ich endlich auch selbst einen Hund und möchte das gerne in Hamm fortführen. Und ich hätte Lust, dass wir in Hamm Zeit haben für Innovatives. Ich möchte gucken, was die Leute bewegt und was für sie interessant sein könnte. Ich möchte schauen: Wo brauchen sie Kirche?

Zwei Mal hat der Tiersegnungsgottesdienst in Herne stattgefunden. Auch in Hamm will Christian Schmidtke solche Gottesdienste organisieren.
Zwei Mal hat der Tiersegnungsgottesdienst in Herne stattgefunden. Auch in Hamm will Christian Schmidtke solche Gottesdienste organisieren. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Gibt es etwas, was Sie an Herne nicht vermissen werden?

Ja. Die Trägheit der Kirche, das Zerren am eigenen Kirchturm und dass manche es nicht aushalten, dass die Kirche in ihrer Gestalt nicht mehr so ist, wie es manch einer gerne hätte. Aber das wird in Hamm genauso sein. Obwohl es manchmal ja auch gut ist, dass es so Leute gibt, die bewahren, die erden einen dann auch wieder. Wir müssen als Kirche näher zusammenrücken und den Leuten zeigen, hier ist der Ort, an dem ihr Kontakt zu uns haben könnt. Da sind wir in Herne schon auf einem guten Weg. In dieser Entwicklung habe ich gerne mitgearbeitet, aber ich merke, da muss noch eine Menge passieren. Das werde ich in Hamm bestimmt genauso erleben.

Sie setzen sich in der Öffentlichkeit für viele Themen ein, die in der katholischen Kirche kontrovers diskutiert werden: Frauen als Priesterinnen, Segnung von homosexuellen Paaren etc. Wurden Ihnen in Herne bei diesen Themen auch mal Steine in den Weg gelegt?

Nein. Da hier so viel im Umbruch ist, war auch immer der Mut da, kreativ zu denken. Zum Beispiel beim Hissen der Regenbogenflagge hat sich mir keiner in den Weg gestellt. Was es schon mal ab und zu gab, dass manch einer gesagt hat: Warum machen Sie das jetzt so? Das ist doch nicht katholisch. Aber das war immer konstruktive Kritik. Wir können ein träger Haufen sein, aber wir sind gerade hier auch sehr reformbereit. Allen ist klar: So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Ich kann mich hier hinstellen und fordern, dass ich eine Kollegin als Priesterin neben mir stehen haben möchte, und niemand wirft mir ein Gesangbuch an den Kopf.

Wie war das Verhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen aus Wanne-Eickel?

Wir sind im Dekanat zusammen, aber wir sind zwei Pfarreien. Man kennt sich und trifft sich auf Veranstaltungen. Ab und zu machen wir auch was zusammen, beim Friedensgebet waren sie ja auch dabei – es gibt schon einen Austausch, aber weniger enge Kontakte.

Haben Sie Ziele, die Sie schon nach der Station in Hamm im Blick haben?

Ich könnte mir vorstellen, irgendwann eine Leitung zu übernehmen und Pfarrer zu werden. Das muss nicht jetzt sofort sein, aber das könnte mir noch irgendwann Freude machen. Ich werde im nächsten Jahr meine zweite Dienstprüfung machen, dann hat man schon mal die Voraussetzung erfüllt. Alles andere interessiert mich nicht. Wer in der Kirche Karriere machen möchte, hat nicht verstanden, worum es geht. Ich brauche nicht Chef sein, um etwas anzuleiten.

Wie können Sie Ihre Motivation beibehalten bei all den negativen Schlagzeilen über die katholische Kirche?

Ich sage immer: Ich halte es in dieser Kirche aus, weil es an der Basis einfach zu schön ist, um wegzugehen. Weil ich einfach erlebe, wie Menschen versuchen, mit ihrem Glauben ihr Leben zu gestalten. Und das nicht im fernen Rom oder Paderborn, sondern vor Ort. Das habe ich hier vier Jahre lang wirklich mit ganz vielen Menschen leben können. Ich habe nur etwas Sorge, dass die Leute vor Ort langsam müde werden. Es treten Menschen aus der Kirche aus, die mal aktiv in der Kirche waren. Manchmal bin auch ich gefrustet, wenn ich wieder solche Nachrichten höre. Mir fehlt in der Öffentlichkeit häufig die Unterscheidung - dann ist es „die katholische Kirche“. Es sind einzelne Leute, die machen das Bild kaputt. Aber das, was ich den Leuten immer sage, ist: Entscheidet es vor Ort, macht es vor Ort. Wenn Rom sich nicht bewegt, bewegt ihr euch.

>>> ZUR PERSON

Christian Schmidtke ist 35 Jahre alt und kommt aus dem Sauerland. Bevor er nach Herne gekommen ist, hat er zwei Jahre als Diakon in Dortmund gearbeitet.

Am Sonntag, 19. Juni, feiert er in Herne seinen Abschiedsgottesdienst.