Herne. Opernsängerin, Pianistin, Diva: Edith Hower liebte ihre Heimatstadt, widmete ihr sogar ein Gedicht. Nach Jahren taucht die „Ode an Herne“ auf.
„Als Kind habe ich dieses Ding geliebt. Ich konnte mir die Ballerina stundenlang ansehen.“ Alexander Hower hält eine flügelförmige Schmuckschatulle in der Hand und öffnet den Deckel. Über rotem Samt thronend dreht sich eine blasshäutige, dunkelhaarige Ballerina um die eigene Achse, bis die blecherne Musik langsam verstummt.
In der Schatulle liegt ein kleines Stück Zeitungspapier, es ist gefaltet: „Primadonna, was wären wir ohne Sie?! Das Licht geht aus im Opernhaus, wenn Sie schweigen.“ Eine Woche nach dem Tod seiner Oma Edith lässt Alexander 2017 diese schlichte Anzeige veröffentlichen. Eine kleine Hommage an eine große Persönlichkeit, Sopranistin und Pianistin. „Wenn sie einen Raum betrat, war sie eine imposante Erscheinung“, erinnert sich der 44-Jährige zurück. Dunkles Haar, helle Haut – „ein bisschen wie Schneewittchen“.
Ein Brief an WAZ-Lokalredaktion Herne
Als die Familie nach Ediths Tod ihren Besitz sichtet und sortiert, bringt Alexander es nicht übers Herz, die vielen Erinnerungsstücke zu entsorgen. Er behält Tagebücher, Noten, Fotos. Immer wieder schwelgt er in den Erinnerungen an seine geliebte Oma und stößt dabei unvermittelt auf einen Brief – adressiert an die WAZ-Lokalredaktion Herne. Darin drei handbeschriebene Seiten, unterzeichnet von Edith Hover, geborene Holtkamp.
Herne, mein Herne,
ich hatte Dich gerne.
Das Herne such ich,
wie’s früher mal war.
Es gleicht dem von heute
nicht auf ein Haar.
„Ode an Herne“ ist der Titel des Gedichts, das Edith zwar verfasst, aber nie abgesendet haben muss. „Wann sie es geschrieben hat, da kann ich nur spekulieren“, sagt Alexander. Ihrer Heimatstadt sei die 1930 geborene Edith immer sehr verbunden gewesen – jahrelang pendelte sie während eines Engagements als Sopranistin in Münster an den Wochenenden nach Herne. „Und das mit zwei Kindern zu Hause. In der damaligen Zeit war das nicht selbstverständlich“, sagt ihr Enkelsohn heute.
Man nannte sie „die Goldene“,
von rechts und links sie Freunde hat.
Die Kreuz, die Quer,
kam man von großen Städten her,
denn dort war man so gerne.
Andrea Jürgens ging bei den Howers ein und aus
Lebhaft erinnert Alexander sich etwa noch an die Begegnungen mit Andrea Jürgens, die Gesangsunterricht bei Oma Edith nahm. „Ich war noch ein kleiner Junge und habe mich jedes Mal so geschämt, wenn da plötzlich diese bekannte Sängerin bei Oma im Wohnzimmer stand.“ Heute lacht er darüber, denkt gerne an die Nachmittage bei seinen Großeltern zurück. „Es ging eigentlich immer um Musik. Das war schön.“ Der Großvater ein Bassist, die Großmutter eine Pianistin und Sopranistin: Auf dem ersten und einzigen Album Edith Howers sind beide verewigt. „So ganz ist das aber nicht meine Musik, das ist mir zu schwermütig“, sagt Alexander. „Dabei war Oma immer so lebhaft.“
Gassenhof, Jägerhof, Goldsaal, Schmidt,
da ging jeder gerne mit.
Doch das war nur die Bahnhofsstraße,
unsere liebe „Renne“.
Die Seitenstraße gleichermaßen,
damit ich’s nicht verpenne,
sie waren voller Leben,
das konnte es nur in Herne geben.
„Ihre Aura war so einnehmend, sie wirkte immer so groß, obwohl sie kleiner als 1,60 war.“ Opulente Kleidung, Schmuck und Make-Up waren für Edith unverzichtbar. „Eine Diva durch und durch“, beschreibt Alexander. Ihr Markenzeichen: Das Parfüm „Coco Noir“ von Chanel – pudrig, warm, edel.
man sah es auf einen Blick.
Die Restaurants, die waren toll,
man könnte sagen: „wundervoll“.
„Als Herne noch ein Dörflein war...“
Auf dem kreisrunden, massiven Marmortisch, „ein Erbstück von Oma“, breitet Alexander Erinnerungsstücke aus. Nach und nach verschwindet der glatte Marmor unter verblichenen Fotos, welligen Notenblättern und ausgeschnittenen Zeitungsartikeln. Mit einem hellblauen Deckblatt sticht ein Stoß zusammengehefteter Blätter hervor. „Editha Rhapsody“ steht in großen schwarzen Lettern auf blauem Grund. Seite für Seite zeigen sich Noten – für den Laien nicht mehr als ein geniales Chaos. „Auf der Arbeit“ – Alexander ist Eventmanager – „habe ich einen Pianisten gebeten, mir das vorzuspielen. Das war Wahnsinn.“
Als Herne noch ein Dörflein war,
da waren schon die Holtkamps da.
Sie hatten schöne Stimmen,
die ließen sie erklingen.
Schon spielten sie Klavier,
zu zwei Händ und zu vier.
In der Jugend war Alexander selbst Klavierschüler seiner Oma, verlor aber schnell das Interesse. „Schade eigentlich“, er runzelt die Stirn. „Meine Kreativität nimmt zwar andere Bahnen, aber ich habe sie definitiv von ihr. Und dafür danke ich Oma.“
>>> Zur Person
- Edith Hower, geborene Holtkamp, kommt 1930 in Herne zur Welt und stirbt im Alter von 86 Jahren an einer Krebserkrankung. Sie war die Tochter eines Zechenarbeiters und einer Schneiderin.
- Als Zehnjährige wird sie als Klavier-Studentin am Konservatorium aufgenommen, spielt Jahre später las Jugendliche im Salonorchester ihres Onkels. Ihre Gesangsausbildung absolvierte Edith Hower bei einem nicht näher bekannten Maestro, es folgten Engagements an mehreren deutschen Opernhäusern und Theatern.