Herne/Bochum. Die Zahl der Polizisten sinkt in Herne stetig. Ein versprochenes klares Plus wird es im Herbst nicht geben. Warum es danach besser werden könnte.
Seit Jahren sinkt die Zahl der Polizeibeamten und -beamtinnen in den zum Polizeipräsidium Bochum (PP) zählenden Städten Herne, Witten und Bochum. Nun kündigt das von Herbert Reul (CDU) geführte Innenministerium „ein deutliches Personalplus“ für NRW im September an. Die Realität dürfte allerdings anders aussehen: Herne wird im Herbst wohl nicht mehr als ein oder zwei zusätzliche Polizei-Stellen erhalten. Trotzdem gibt es auch Lob fürs Land.
Zahl der Polizistinnen und Polizisten sinkt seit Jahren
In einem (nicht öffentlichen) Entwurf des Innenministeriums ist nach WAZ-Informationen von 6,09 zusätzlichen Planstellen zum 1. September die Rede – für alle drei Städte im Präsidiumsbezirk Bochum. Andere Präsidien wie Dortmund (2,42) Essen/Mülheim (1,66) oder Gelsenkirchen (1,82) liegen sogar noch unter diesem niedrigen Wert. Erst in den nächsten Wochen werde sich zeigen, ob die im Entwurf angeführten Stellen auch eingerichtet werden können, so Hernes Polizeisprecher Frank Lemanis auf Anfrage der WAZ. Aber: „Grundsätzlich geht der Trend in die richtige Richtung.“
Diese Aussage deckt sich auf den ersten Blick nicht mit den tatsächlichen Zahlen. Denn: Nach Übernahme der Landesregierung durch die CDU und der Aufstockung bei den Neueinstellungen ist die Zahl der Polizistinnen und Polizisten in Herne, Bochum und Witten weiterhin gesunken: Von 1609 am 1. Juli 2018, auf 1564 am 1. Juli 2022 (siehe Grafik).
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Geht man 10 bzw. 20 Jahre zurück, fällt der Stellenabbau noch mehr ins Gewicht. 2012 waren in Herne, Bochum und Witten 1709 Polizeibeamte im Einsatz und 2002 sogar noch 1816. Heißt: Die Zahl der Polizistinnen und Polizisten ist in den vergangenen 20 Jahren um 252 Stellen oder 13,9 Prozentpunkte gesunken - und dass, obwohl sich das Kriminalitätsbild in diesem Zeitraum stark verändert hat und die Anforderungen an die Polizei erheblich gestiegen sind. Zum Beispiel bei der Computer- und Clan-Kriminalität.
Herner Polizeiexperte wirft Innenministerium Schönfärberei
Eine spürbare Positiventwicklung gibt es aktuell allerdings bei den Angestellten im Polizeipräsidium. Es handelt sich dabei um Verwaltungsmitarbeitende und sogenannte Regierungsbeschäftigte, die die Arbeit der Polizeibeamtinnen und -beamten unterstützen. Deren Zahl im PP Bochum stieg von 238 im Jahr 2018 auf aktuell 297 (plus 24,8 Prozentpunkte).
Adi Plickert, früherer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei und amtierender Bezirksbürgermeister in Eickel, kritisiert das aktuelle politische Signal („deutliches Personalplus“) des Innenministeriums. „Das ist ein wenig Schönfärberei. Es gibt aktuell keine nennenswerte Verstärkung“, so der Polizeiexperte. Es sei falsch, der Bevölkerung zu signalisieren, dass nun Heerscharen von Polizisten zusätzlich in die Wachen kämen. Fakt sei, dass aktuell „nur“ der Personalabbau gestoppt werde und es ganz geringe Zuwächse gebe.
Herner Sozialdemokrat lobt den Kurs des CDU-Innenministers
Der Kurs von CDU-Innenminister Reul („er hat in den Reihen der Polizei ein Riesen-Standing“) sei aber der richtige, betont der Sozialdemokrat. Der seit Jahren zu beobachtende Stellenabbau sei vor allem auf die Entscheidung einer früheren rot-grünen Landesregierung zurückzuführen, die Zahl der Neueinstellungen für die Jahre 2004 bis 2007 auf jährlich 500 zu senken. Das sei zwar später – auch durch Rot-Grün unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft – korrigiert worden, habe aber bis heute Auswirkungen. Zurzeit werden rund 2500 neue Polizistinnen und Polizisten pro Jahr eingestellt; Schwarz-Grün hat im Koalitionsvertrag zudem das Ziel von bis zu 3000 Neueinstellungen ausgegeben.
Plickert sieht aber auch noch an anderer Stelle Handlungsbedarf: „Was wir brauchen, ist eine Polizeireform. Aber da traut sich niemand ran.“ NRW sei das einzige Bundesland, das sich bei der Polizei 50 Behörden in unterschiedlichster Form leiste. Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg hätten acht, neun Polizeibehörden.
>>> WEITERE INFORMATIONEN: Zahl der Pensionierungen sinkt ab 2024
Zusätzliche Probleme bereitete und bereitet der Polizei zurzeit die relativ hohe Zahl der Pensionierungen.
Diese wird nach Angaben des Bochumer Polizeipräsidiums 2024 mit 67 zwar einen neuen Höchststand erreichen, anschließend aber wieder deutlich sinken, konkret: auf 43 im Jahr 2027.
Das sagt das NRW-Innenministerium
Auf Anfrage betont die von Innenminister Herbert Reul (CDU) geführte Behörde, dass sich die Personalsituation der Polizei „durch die massiven Investitionen in zusätzliche Stellen“ bereits verbessert habe und dies in den kommenden Jahren weiter tun werde. Dies führe in Verbindung mit der Möglichkeit für Polizeibeamtinnen und -beamte, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, nun zu einem „voraussichtlichen Aufwuchs“ von rund 40.000 auf über 41.000 Polizistinnen und Polizisten bereits im Jahr 2024, so eine Sprecherin zur WAZ.
Zudem verweist das Ministerium auf die deutliche Erhöhung der Zahl von sogenannten tarifbeschäftigen Angestellten (sie arbeiten der Polizei zu). Betrachte man diese Angestellten und die Polizeibeamten zusammen, belaufe sich die Differenz für Herne, Bochum und Witten im Vergleich zu 2017 aktuell auf ein Plus von 83,05 Planstellen. Für den Herner Ex-Polizeigewerkschafter Adi Plickert ist dieser Ansatz aber nur beschränkt aussagekräftig, denn: Für die Menschen und ihr subjektives Sicherheitsgefühl sei vor allem wichtig, wie viele Polizistinnen und Polizisten vor Ort und auf der Straße seien, sagt er.
Stellenschlüssel errechnet sich aus Zahl der Straftaten und Verkehrsunfälle
Zurück zur Stellungnahme des Landes: Der Anstieg der Pensionierungen durch die geburtenstarken Jahrgänge 1960, 1961 und 1962 werde noch drei Jahre anhalten. „Die Entscheidungen der Landesregierung haben jedoch dazu geführt, dass sich die personelle Ausstattung der Polizei NRW deutlich verbessert hat und sich auch weiter und vor allem nachhaltig verbessern wird“, so die Sprecherin des Innenministeriums.
Durch die kontinuierliche Erhöhung der Einstellungszahlen in Verbindung mit der Möglichkeit zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit sei es gelungen, den Eintritt einer „demografischen Lücke“ erfolgreich abzuwenden. „Damit wurde der Grundstein dafür gelegt, dass die Polizei NRW auch künftig in der Lage sein wird, den kommenden Herausforderung wirkungsvoll zu begegnen.“
Und wie errechnen sich die Stellenzuweisungen an die einzelnen Kreispolizeibehörden? Diese erfolgten anhand der sogenannten belastungsbezogenen Kräfteverteilung (BKV), so das Ministerium. „Wesentliches Kriterium für die Personalzuteilung ist die Arbeitsbelastung vor Ort, die sich aus dem Kriminalitäts- und Verkehrsunfallgeschehen ergibt.“ Polizei solle sich dort konzentrieren, wo die größten Anforderungen bestünden.
Dieses Grundsystem der Personalverteilung bestehe seit 1995 und sei zuletzt 2018 zwischen dem NRW-Innenministerium und Vertreterinnen und Vertretern von Behörden, Personalvertretungen und Gewerkschaften überarbeitet. Die finale Stellenverteilung fürs Polizeipräsidium Bochum und die anderen Kreispolizeibehörden werde am 1. September feststehen, sobald die Kommissaranwärterinnen und -anwärter ihre Abschlussprüfungen absolviert haben und ihren Dienst in den Kreispolizeibehörden antreten.