Herne. Die Posse um das Shoah-Mahnmal in Herne geht weiter. Noch immer lassen sich die Schutztore kaum bewegen. Nun macht die Stadt einen neuen Anlauf.

An diesem Donnerstag, 27. Januar, ist Holocaust-Gedenktag, und der findet in Herne wie in jedem Jahr am Shoah-Mahnmal statt. An einem Monument, das seit Jahren unvollendet ist: Nachdem es mehrfach geschändet wurde, erhielt es Schutztore, die aber lassen sich kaum bewegen. So bleibt die Betonwand mit den Namen der jüdischen Nazi-Opfer verhüllt. Ein Ende? Ist nicht absehbar.

Aber der Reihe nach. Feierlich eröffnet wurde das Shoah-Mahnmal 2010. Charlotte Knobloch, damalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, sprach das Grußwort. Eine dunkle Rampe, die auf die Selektionsrampen in den Konzentrationslagern verweist, führt zur Betonwand. Auf der Rampe sind die Ghettos und Lager genannt, in denen die Herner und Wanne-Eickeler ermordet wurden. Oben auf der gelb-eingefärbten Betonwand ist ein goldener Davidstern eingelassen, darunter sind 401 Okulare aus Glas – mit den Namen, Geburts- und Todesdaten der Opfer.

Herne: Stadt kündigte Wiedereröffnung mehrfach an

Schon bald begannen die Anschläge. Erst wurden Farbbeutel, dann Kleber gegen die Betonwand geschmissen und ruinierten sie, dann wurden Okulare zerstört, und die Rampe wurde bekritzelt. Die Stadt Herne reagierte und verhüllte das beschädigte Mahnmal 2014 provisorisch mit Holz. Nun war klar: Die Gedenkstätte braucht einen Schutz.

Dafür wurden Ideen gesammelt, und 2017 entschied sich der Rat für eine künstlerische Erweiterung: Vier Tore aus Bronze-Platten, zwei vorne und zwei hinten, sollen die Betonplatte in der Nacht umhüllen. Per Knopfdruck sollten sie sich dazu abends vor die Platte schieben, morgens sollten sie wieder zur Seite rücken. Eine Werkstatt aus dem nördlichen Ruhrgebiet wurde beauftragt und baute die Schiebe-Konstruktion. Allein: Die Firma war dem Auftrag nicht gewachsen. Ihr Trägersystem funktioniert nicht. Immer wieder gingen bei Testläufen Aufhängungen, Lager und Rädchen kaputt. Die tonnenschweren Tore ließen sich einfach nicht störungsfrei bewegen.

Die Stadt wollte das lange nicht wahrhaben. Dreimal kündigte sie die Wiedereröffnung des Monuments, das längst die Tore und eine sanierte Betonplatte erhalten hatte, an. Am 27. Januar 2020, am Holocaust-Gedenktag, war es dann soweit: Zehn Jahre nach der Eröffnung wurde das „neue“ Shoah-Mahnmal präsentiert. Wieder war es feierlich. Der OB war da, ein Minister, der Regierungspräsident und eine Zeitzeugin. Was die Gäste an diesem Tag nicht ahnten: Die Technik funktionierte noch immer nicht, nur mühsam, per Hand, konnten die Tore neben die Platte mit den Okularen geschoben werden. Als die WAZ ein paar Tage später nachfragte, warum die Tore die Betonwand wieder dauerhaft verschließen, wiegelte die Stadt ab. „Nur noch Feinjustierungen“ seien nötig. Monate später, bei einer weiteren Anfrage, sprach die Stadt dann von „technischen Problemen“. Schließlich kam ein Gutachter, und spätestens da war klar: Die Mechanik funktioniert einfach nicht.

Schöpfer des Mahnmal sind nicht begeistert von neuem Entwurf

Und nun? Die Stadt macht jetzt einen neuen Anlauf. Ein neues Konzept für die Schutztore sei erarbeitet worden, sagt Stadtsprecher Christoph Hüsken. Der Plan: Über die Betonplatte soll jetzt ein Träger kommen, an dem die Tore aufgehängt und bewegt werden. Derzeit stimme eine Metallbaufirma ihre Planung mit einem Hersteller von Rollenlagern ab. Sobald die Ergebnisse vorliegen, sollen sie noch mal von einem Gutachter geprüft werden. Sicher ist sicher. Dann soll das System gebaut werden. Und funktionieren.

Die Wuppertaler Industriedesigner Winfried Venne und Gabriele Graffunder, die das Shoah-Mahnmal entworfen und seinerzeit den bundesweiten Ideenwettbewerb gewonnen hatten, sind nicht begeistert vom neusten Konzept. Die geplante „klassische Scheunentor-Öffnung“ bereite ihm Bauchschmerzen, sagt Venne. Oben soll ein Davidstern stehen, ein T-Träger habe da nichts zu suchen. Der sei ein „Störfaktor“. Ihre Zustimmung zum Umbau haben die Künstlerin und der Künstler der Stadt dennoch gegeben: „Das muss jetzt endlich wieder geöffnet werden.“ Es sei wichtig, dass das Mahnmal wieder „im Wind“ stehe, vor allem jetzt, da „Spaziergänger“ unterwegs seien und eine Herner Pfarrerin, die deswegen Friedensgebete veranstaltet, Morddrohungen erhalte. Auf die Stadt Herne ist der Industriedesigner deshalb nicht gut zu sprechen. Es sei unfassbar, dass das Mahnmal seit fünf Jahren verhüllt sei: „Man hat das Gefühl, dass das Thema der Stadt nicht so wichtig ist.“

Ein Ende der Posse um das Herner Shoah-Mahnmal ist noch nicht in Sicht. Im Herner Rathaus spricht man längst von „Unserem Berliner Flughafen“. Nach Auskunft mehrerer Beteiligter gegenüber der WAZ sind die Kosten für die Schutzhülle längst explodiert. Demnach haben die Tore aus Baubronze inklusive der misslungenen Technik bereits jetzt mehr als doppelt so viel verschlungen wie das ursprüngliche Mahnmal selbst, das rund 90.000 Euro gekostet hat. Die Stadt will auf Anfrage keine Zahlen nennen. Wer am Ende die Zeche für den nicht funktionierende Schließ-Mechanismus zahlt, ist offensichtlich auch noch nicht klar. Ziel sei ein „gütliches Übereinkommen“ mit der Firma, die ihn hergestellt hat, sagt Stadtsprecher Hüsken.

Und wann die neue Aufhängung fertig sein könnte? „Da gibt es keinen belastbaren Zeitplan“, sagt er.

>> WEITERE INFORMATIONEN: Holocaust-Gedenktag

Zu sehen sein wird die Betonplatte mit den Nazi-Opfern am kommenden Donnerstag, 27. Januar, einmal kurz: Am Holocaust-Gedenktag, an dem corona-bedingt nur geladene Gäste, aber keine Bürgerinnen und Bürger teilnehmen können. Für den Festakt werden die Schutztore händisch zur Seite geschoben.

Eingeladen sind die ehrenamtlichen Bürgermeister und die Vorsitzenden der Ratsfraktionen. Vertreter von Jüdischer Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen, katholischer und der evangelischer Kirche sowie Islamischer Gemeinde sprechen am Shoah-Mahnmal Gebete.