Herne. 14 Millionen Euro sind beim evangelischen Kirchenkreis in Herne zu viel verbucht worden. Wie kann das rund zehn Jahre lang nicht auffallen?
Durch Buchungsfehler hat der Kirchenkreis in Herne rund 14 Millionen Euro weniger an Rücklagen als eigentlich gedacht. Mit dieser Nachricht ist die Evangelische Kirche in der vergangenen Woche an die Öffentlichkeit gegangen. Der Buchungsfehler sei zwar „unerfreulich“, aber ein „kritischer Schaden“ sei nicht entstanden, ließ sich der stellvertretende Verwaltungsleiter Marcus Horst zitieren. Dennoch blieben einige Fragen offen: Wie kann es über rund zehn Jahre unbemerkt bleiben, dass 14 Millionen Euro weniger auf dem Konto sind als in den Büchern stehen? Finden keine jährlichen Prüfungen statt? Die WAZ hat nachgefragt.
„Für uns ist es keine große Sache“, betont Pressesprecher Arnd Röbbelen gleich zu Beginn des Gespräches. „Es fehlen keine Millionen. Wir dachten nur, wir hätten mehr Geld.“ Es geht um 14 Millionen Euro an Rücklagen, die nun weniger auf der Haben-Seite des Kirchenkreises Herne/Castrop-Rauxel stehen. Die Höhe der Rücklagen schrumpft nach Angaben des Kirchenkreises von angenommenen rund 38 Millionen Euro auf etwa 24 Millionen Euro. Der Fehler habe sich bei der Umstellung der Buchführung 2010/2011 eingeschlichen und sich bis zum Jahr 2019 unbemerkt fortgesetzt.
Herner Kirchenkreis: Finanzsystem hatte keinen Gesamtüberblick
„Das ist nicht aufgefallen, weil es in der Kameralistik den Gesamtblick auf die Finanzsituation nicht gab“, sagt Röbbelen. Der Pressesprecher erklärt es so: Wenn eine Gemeinde beispielsweise eine Immobilie verkauft hat, sei das Geld auf das Konto des Kreiskirchenamtes eingegangen. Gleichzeitig habe die Gemeinde gegenüber dem Kirchenkreis eine Forderung. „Es wurde Geld als Rücklage verbucht, was dem Kirchenkreis im Grunde genommen gar nicht gehört, sondern eine Forderung der Gemeinde ist“, so Röbbelen. „Der Fehler ist beim Kreiskirchenamt gemacht worden.“ Aber keine Gemeinde sei dadurch zu Schaden gekommen, betont er. „Die jetzt Verantwortlichen haben das sozusagen geerbt. Die damals verantwortlich waren, sind alle im Ruhestand.“ Der Buchungsfehler habe sich vor zehn Jahren eingeschlichen.
Die zeitlichen Abläufe in diesen Jahren zu rekonstruieren fällt sowohl dem Kirchenkreis Herne als auch der Evangelischen Kirche von Westfalen auf WAZ-Anfrage schwer. Hat es jährliche Prüfungen gegeben und wann haben zwischen 2010 und 2020 Prüfungen der Landeskirche durch die unabhängige Gemeinsame Rechnungsprüfungsstelle stattgefunden?
Auch Rechnungsprüfungsstelle hat Buchungsfehler übersehen
„Die Gemeinsame Rechnungsprüfungsstelle führt anlassbezogen und risikoorientiert Prüfungen in den kirchlichen Körperschaften durch“, teilt Wolfram Scharenberg, Sprecher der Evangelischen Kirche von Westfalen, mit. Diese Rechnungsprüfungsstelle könne nicht jährlich aktiv werden, sondern prüfe immer mehrere Jahre rückwirkend zusammen. „Irgendwann wurde festgestellt, dass etwas nicht stimmt. Daraufhin wurde die Prüfung unterbrochen.“
Das kann aber erst 2019/2020 der Fall gewesen sein. Davor muss auch der Gemeinsamen Rechnungsprüfungsstelle der Fehler in den Bilanzen beim Kreiskirchenamt Herne nicht aufgefallen sein, bestätigt auch Scharenberg: „Es ist durchaus möglich, dass die ersten Fehlbuchungen trotz Prüfung nicht aufgefallen sind“, räumt er ein und weiter: „Es wurden Fehler sowohl beim Kirchenkreis als auch aufseiten der Gemeinsamen Rechnungsprüfungsstelle gemacht. Das kann man nicht wegwischen.“
Differenz fiel Kreiskirchenamt Herne bereits 2020 auf
„Die Kassenprüfungen der Kirchenkreiskasse durch die Gemeinsame Rechnungsprüfungsstelle (GRPS) der Landeskirche haben bis einschließlich 2019 stattgefunden“, teilt schließlich der Kirchenkreis mit. „Die Jahresabschlussprüfungen wurden ausgesetzt, als Ende 2020 im Kreiskirchenamt bei den vorbereitenden Arbeiten zur Erstellung der Eröffnungsbilanz 2020 die Differenz aufgefallen ist.“ Die GRPS und das externe Wirtschaftsprüfungsunternehmen Curacon hätten dann die Finanzbuchhaltung des Kirchenkreises bei der Aufarbeitung unterstützt – die bis 2022 dauerte.
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Dennoch teilt die Evangelische Kirche von Westfalen auf Anfrage mit, erst 2022 über die Buchungsfehler informiert worden zu sein: „Die Information erfolgte in der Sitzung des Kollegiums am 3. Mai dieses Jahres“, heißt es von Wolfram Scharenberg. „Die Landeskirche ist unmittelbar, nachdem alles aufgearbeitet wurde, informiert worden“, sagt Röbbelen. Wann das genau war, könne er nicht sagen. Ob schon vor 2022 inoffizielle Telefonate stattgefunden hätten, könne nicht nachvollzogen werden, sagen beide Seiten.
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„Dem Kirchenkreis ist de facto kein finanzieller Schaden entstanden“, sagt Scharenberg. „Eine weitergehende Prüfung, etwa durch staatliche Strafverfolgungsbehörden, ist deshalb nicht erforderlich.“ Derzeit befinde sich die Landeskirche noch in intensiven Gesprächen mit dem Kirchenkreis Herne, um den Vorgang aufzuarbeiten, heißt es von Scharenberg. Beim Kirchenkreis möchte man den Vorgang am liebsten schnell zu den Akten legen, da keine kriminelle Energie, sondern menschliche Fehler Auslöser gewesen seien. „Für den Kirchensteuerzahler ist wichtig: Es ist kein Geld abhandengekommen.“ Und mit dem neuen Buchungssystem, so hofft man, würden solche Fehler in Zukunft nicht mehr passieren.
>>>WEITERE INFORMATIONEN: Umstellung des Buchungssystems
- Aufgefallen ist der Buchungsfehler laut Kirchenkreis, weil nach 2019 sukzessive alle Kirchenkreise der Evangelischen Kirche von Westfalen ihr Finanzsystem umstellen. Dabei werden nicht wie zuvor Einzahlungen und Auszahlungen gegenübergestellt, sondern Erträge und Aufwendungen.
- Im Zusammenhang mit dieser Umstellung hatte auch die Finanzbuchhaltung des Kirchenkreises Herne eine Eröffnungsbilanz zu erstellen.
- Vergleichbar mit der Praxis bei Land und Kommunen überwacht die unabhängige Gemeinsame Rechnungsprüfungsstelle der Ev. Kirche von Westfalen die Haushalts- und Wirtschaftsführung der kirchlichen Körperschaften. Sie arbeitet im Auftrag der Landeskirche.