Herne. Die Strom- und Gaspreise steigen weiter. Auch für Bestandskunden der Stadtwerke Herne wird es teurer. Nachfrage nach Beratungen steigt extrem.

Erst Ende April kündigten die Herner Stadtwerke an, den Strompreis zum 1. Juli zu senken, da die EEG-Umlage auf Null gesenkt worden sei. Doch an eine Senkung ist angesichts der Entwicklung der Energiepreise nicht zu denken. Vor wenigen Tagen erhielten Stadtwerke-Kundinnen und Kunden, die Zwei-Jahres-Verträge für Strom und Gas haben, die Kündigung für ihren Vertrag - inklusive eines neuen Angebots. Das deutlich teurer ist. Wie die Verbraucherzentrale diesen Schritt beurteilt und was Energieberater in diesen Wochen erleben.

In dem Brief der Stadtwerke heißt es: „...schon seit Ende 2020 steigen aufgrund der weltweiten wirtschaftlichen Erholung nach der Coronakrise die Strompreise massiv an. Nun führt auch noch der Ukraine-Krieg zu drastischen Preissprüngen an den Energiemärkten. Auch die zum 1. Juli 2022 auf null gesetzte EEG-Umlage kann diese Entwicklung nicht auffangen.“

Silke Gerstler: Das Angebot der Stadtwerke ist noch „ganz günstig“

Silke Gerstler, bei der Herner Verbraucherzentrale Expertin für Energierecht, betont im Gespräch mit der Herner WAZ, dass Stadtwerke im gesetzlichen Rahmen handeln. Die Verträge liefen aus, und die Stadtwerke dürften neue Angebote machen. „Nimmt ein Kunde dieses Angebot nicht an, fällt er automatisch in die Grundversorgung“, so Gerstler. Die sei zwar zurzeit für Bestandskunden deutlich günstiger, doch die habe eine zweiwöchige Vertragslaufzeit, die sich automatisch verlängere. Da könnten regelmäßig Anpassungen vorgenommen werden.

Wenn man das Angebot für den neuen Zwei-Jahres-Vertrag mit anderen Anbietern vergleiche, seien die Herner Stadtwerke noch „ganz günstig“. Man könne nicht von Wucher sprechen, das habe viel mit der aktuellen politischen Lage zu tun. Gerstler: „Es wird bei allen Anbietern Erhöhungen geben.“ Und: Man müsse das Angebot ja nicht annehmen.

„Wer vor zwei Jahren unser Festpreisangebot Stadtwerke Fix² gesichert hat, hatte das Glück, dass sich der extreme Preisanstieg im Energiehandel nicht auf seinen Preis ausgewirkt hat. Das neue Festpreisangebot für die kommenden zwei Jahre spiegelt natürlich die aktuelle Marktsituation wider. Wer einen Blick in die bekannten Vergleichsportale wirft, wird sehen: Es ist ein fairer Preis, mit dem wir ganz weit vorne platziert sind“, teilen die Stadtwerke mit Blick auf das neue Angebot mit.

„Primastrom und Vox-Energie verhalten sich gegen jegliche Rechtsprechung“

Im Gegensatz zu den Stadtwerken muss sich Gerstler zurzeit mit Unternehmen auseinandersetzen, die sich gegen jegliche Rechtsprechung verhielten: Primastrom und Vox-Energie. Diese schickten den Verbrauchern alle vier bis sechs Wochen neue Preiserhöhungsschreiben, teilweise mit einer Frist von nur drei Tagen. „Teilweise hängen die Verbraucher vier bis fünf Jahre in einem Vertragsverhältnis“, so Gerstler. Wer Kunde bei einer dieser beiden Firmen sei und ein Preiserhöhungsschreiben erhalte, solle sich auf jeden Fall bei ihr melden, so Gerstler. Die Nachfrage sei aber jetzt schon enorm, die Wartezeiten könnten länger werden.

Daneben erreichen Gerstler sehr viele Anfragen von Menschen, die sowieso wenig Geld zur Verfügung hätten und nicht mehr wüssten, wie sie die gestiegenen Strom- und Gasrechnungen bezahlen sollen. Eine Verdreifachung beim Gas sei für manche Menschen „richtig bitter“. Gerstler hat die Befürchtung, dass gerade diese Menschen in der nächsten Heizperiode lieber frieren und dies später zu Schimmelschäden führe, weil in den Wohnungen zu wenig geheizt wurde.

Sparmaßnahmen werden Preiserhöhungen wohl nicht auffangen können

Zwar könne man mit verschiedenen Maßnahmen den Verbrauch begrenzen, doch angesichts des Ausmaßes der Preiserhöhungen sei dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Martin Grampp, Architekt und vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) sowie zertifizierter Energieberater, berichtet, dass die Nachfrage mit Ausbruch des Ukraine-Krieges extrem zugenommen habe. Habe er für das Produkt „Bafa-Vor-Ort-Beratung“ früher vielleicht eine Anfrage pro Woche gehabt, kämen diese Anfragen nun täglich. Die übergeordnete Frage, gerade bei Hausbesitzern: Was muss ich tun, damit ich weniger Energie verbrauche? Grampp führt aber auch im Auftrag der Verbraucherzentrale Energieberatungen durch, die nähmen in der Regel Mieter in Anspruch. Auch hier sei die Nachfrage in die Höhe geschnellt. Er sei quasi auf Monate ausgebucht.

Ähnliches gilt für die Stadtwerke: Beim Energiedienstleistungsangebot Smart Tec sei die Nachfrage noch einmal stark gestiegen; auch das Thema Unabhängigkeit vom Gas sei den Kunden sehr wichtig. „Das merken wir in der Heizungsberatung. Insbesondere zu Wärmepumpen und dem Anschluss an unser Fernwärmenetz beraten wir sehr intensiv“, so Stadtwerkesprechering Angelika Kurzawa. Große Nachfrage gibt es auch nach Solaranlagen. Die Stadtwerke planen eine deutliche Ausweitung der Beratungsangebote.

>>> UNERLAUBTE TELEFONWERBUNG

■ Nach Gerstlers Beobachtung wird zurzeit massiv Telefonwerbung für den Energiebereich gemach, auch unter der falschen Flagge der Stadtwerke.

■ Ihre Bitte: Sollte sich eine fremde Firma melden und behaupten, dass es ganz tolle Angebote gebe, sollte man einfach auflegen. „Man darf unhöflich sein.“ Man dürfe aber auch sagen, dass es sich um einen unerlaubten Werbeanruf handele, und man könne verlangen, dass der eigene Name sofort aus der Liste der Anrufer gestrichen wird.