Düsseldorf. Angelparadies in Breckerfeld soll Fassade für internationalen Mafia-Kokainhandel gewesen sein. Die meisten Angeklagten wollen gestehen.
Tränen ersticken die Stimme der Frau. Jener Frau, die im Jahr 2022 in Italien mit 38 Kilogramm Kokain im Auto festgenommen wurde und deswegen am Montagmorgen im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf sitzt. Terrorbunker wird dieser Ort landläufig genannt: Sicherheitsschleusen, Sicherheitsglas, fast 20 Justizbeamte im Gerichtssaal. Dort werden besondere Fälle verhandelt. Wie dieser, in dem es um ein mutmaßliches Drogenkurier-Netzwerk der kalabrischen Mafia-Organisation `Ndrangheta geht.
Zentrum der mutmaßlichen Kokain-Kurierfahrten: Breckerfeld
Im Zentrum dieses Netzwerks: ein Angelparadies in Breckerfeld (Ennepe-Ruhr-Kreis), dessen Besitzer Karl-Heinz E. (64) der Kopf der europaweiten Kurierfahrten gewesen sein soll. Insgesamt acht Angeklagte im Alter von 36 bis 64 Jahren sitzen an diesem Morgen mit ihren Verteidigern im Gerichtssaal. Die Angeklagten sind deutsche Staatsbürger und kommen aus Hattingen, Dortmund, Wuppertal, Remscheid und Castrop-Rauxel.
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Die Frau ringt um Fassung, als sie sich zurückerinnert an die Verhaftung auf dem Brenner kurz hinter der Grenze. Sie habe erst Wochen nach der Verhaftung erstmals mit ihrer Familie telefonieren können, ihr heute 18 Jahre alter Sohn, der mittlerweile bei der Oma lebe, habe nicht gewusst, wo sie sei. „Ich habe einen Fehler gemacht, dass ich mich in Italien nicht sofort eingelassen habe, aber ich hatte Angst, dass meiner Familie was passiert“, sagt sie bei dem Gedanken an die ersten Vernehmungen. Dann fügt sie an: „Ich will Wiedergutmachung und reinen Tisch machen.“ Damit beginnt sie an diesem Tag.
Der Hauptverdächtige indes schweigt vorerst. Der Hattinger Karl-Heinz E., ein Mann mit langem weißem Haar und langem weißem Bart, ließ sich am Montag kein Wort entlocken. Einen Deal mit verringerter Strafe, zu dem er mit einem Geständnis gekommen wäre, schlug er - anders als vier andere Angeklagte - aus. Staatsanwalt Julius Sterzel hatte bei einer vollumfänglichen Einlassung einen Strafrahmen von zwölf bis zwölfeinhalb Jahren für Karl-Heinz E. in Aussicht gestellt. „Eine Verständigung kommt auf Basis dieses Vorschlages nicht infrage“, teilte Verteidiger Christoph Wolf mit.
Hauptangeklagter lehnt einen „Deal“ ab
Er verwies auf das gesetzlich festgelegte Höchstmaß von 15 Jahren für die erhobenen Vorwürfe: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, bandenmäßiges Handeltreiben mit Drogen. Zwölf oder zwölfeinhalb Jahre seien nicht weit entfernt davon. Zuviel – wie der Verteidiger meint - für einen Mann, der ein vollständiges Geständnis ablegen solle und nicht vorbestraft sei. Karl-Heinz E. ließ über seinen Verteidiger ausrichten, sich am nächsten Prozesstag zu persönlichen Verhältnissen einlassen zu wollen, nicht aber zur Sache.
Das tat am Montag jene 45-jährige Dortmunderin, die in Italien verhaftet worden war. Verurteilt in Bozen sitzt sie mittlerweile in der Justizvollzugsanstalt in Köln. Zehn Kurierfahrten werden ihr zur Last gelegt. Die letzte, bei der sie verhaftet worden war, habe sie schon gar nicht mehr übernehmen wollen. „Den Gedanken, an den Fahrten nicht mehr teilzunehmen, hatte ich schon länger, aber ich wusste nicht, wie ich den Ausstieg finden sollte“, sagt sie vor Gericht.
Auch aus Angst sei sie dann doch gefahren. Wer welche Fahrt antrete, habe stets der Hauptangeklagte festgelegt. „Man hat zu mir gesagt: ,Wir wissen zu jeder Zeit, wo wir deinen Sohn finden‘“, berichtet sie. Wie mit jemandem umgegangen werde, der zur Last werde, habe sie in anderem Zusammenhang auch erfahren: Derjenige bekomme „italienische Schuhe angezogen“ und habe „schneller Beton an den Füßen als man gucken könnte“.
Kokain in den Einstiegsleisten der Autos
Die 45-Jährige und ihr damaliger Partner hätten den Hauptangeklagten über das Angelparadies kennengelernt. Später sei die gelernte Rechtsanwaltsgehilfin – zwischenzeitlich arbeitslos und in befristeten anderen Jobs tätig – als Aushilfskraft am Breckerfelder Fischteich angestellt worden.
Irgendwann sei sie von einem weiteren Mitangeklagten gefragt worden, ob sie sich durchs Autofahren etwas dazuverdienen wolle. „Frag nicht nach! Je weniger du weißt, desto besser für dich“, habe man ihr gesagt. „Natürlich habe ich mir meine Gedanken gemacht. Mir war bewusst, dass das nicht unbedingt was Legales ist, aber ich habe nicht weiter nachgefragt“, sagt sie. Erst im weiteren Verlauf habe sie gewusst, was sie da in den Einstiegsleisten eines Audi Q7, eines Audi Q5, eines VW Touareg und eines Audi A6 transportierte.
Sie seien stets zu zweit losgefahren. Die Be- und Entladung habe sie zumeist nicht mitbekommen. Sie sei lediglich Beifahrerin gewesen, jemand, der das Steuer des Autos übernimmt, wenn der eigentliche Fahrer müde geworden sei. Nie sei der Zielort schon bei der Abfahrt eingegeben worden, sondern man habe Etappenziele eingegeben. Wenige Kilometer vor der Ankunft habe sie stets aussteigen müssen und sei später wieder aufgenommen worden. Die Kommunikation über gesicherte Handys hätten ebenfalls die Fahrer übernommen. Trotzdem hätten sich die Fahrer eines Codes bedient: Es sei oft um Fische gegangen, wenn Kokain gemeint war. Neue Fische fürs Angelparadies.
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500 Euro pro Fahrt habe sie erhalten, 100 bis 150 Euro pro transportiertes Kilogramm hätte es für den Fahrer gegeben, je nachdem ob es „nach oben“ oder „nach unten“ gegangen sei. Insgesamt soll das Netzwerk 880 Kilogramm Kokain nach Dänemark, Schweden, Spanien und Italien transportiert haben. Beladung soll des Öfteren in Belgien gewesen sein.
Einmal habe sie eine Beladungsfahrt übernommen. Der Hauptangeklagte habe sie persönlich eingeweiht über den Ablauf. Sie habe sich an einen Ort in Belgien begeben, habe dann den mutmaßlichen Strippenzieher angerufen. Dann sei jemand zugestiegen, der sie in eine Tiefgarage gelotst habe. Zunächst seien 35 Päckchen verstaut worden, da aber noch Platz gewesen sei, seien weitere drei hinzugefügt worden. Es ist die Ladung, mit der sie am 28. November 2022 von der italienischen Polizei erwischt wird. Diese war dem Netzwerk mit Ortungs- und Abhörtechnik längst auf der Schliche.
Zwischen 2018 und 2022 soll die Gruppierung über 50 Fahrten in wechselnder Besetzung durchgeführt haben. 2,2 Millionen Euro soll der Hauptangeklagte damit verdient haben. Der dritte Verhandlungstag ist für kommenden Montag vorgesehen.