Düsseldorf. Prozess in Düsseldorf gegen mutmaßliches Drogen-Kurier-Netzwerk gestartet. Vater einer Angeklagten sorgt für emotionalen Moment.
Um 10:31 Uhr – und damit mit gut einstündiger Verspätung – geht die Tür im „Terror-Bunker“ schließlich auf. Als Letzter der acht Angeklagten tritt in den besonders gesicherten Gerichtssaal der optisch Auffälligste ein, der Hauptdarsteller, von einem Ermittler als „Weihnachtsmann“ beschrieben.
Lange, grau-weiße Haare, zu einem Zöpfchen gebunden, Bart: Der mutmaßliche Kopf eines Drogenkurier-Netzwerks, das für die Mafia Kokain im großen Stil durch Europa transportiert haben und dafür ein Angelparadies im Ennepe-Ruhr-Kreis als Zentrale genutzt haben soll, sticht hervor, zumal er sich nicht wie die meisten seiner Mitangeklagten eine Mappe oder Ähnliches vor das Gesicht hält, um sich vor den zahlreich anwesenden Fotografen und Kamerateams zu schützen.
Der 64-Jährige aus Hattingen, Besitzer des im Gegensatz zu ihm sehr unscheinbaren Angelparadieses in Breckerfeld, muss sich seit Montag mit sieben Mitangeklagten vor dem Landgericht Wuppertal verantworten. Vorwurf: Die Schmuggler sollen für die kalabrische `Ndrangheta und albanische Gruppierungen 880 Kilogramm Kokain durch Europa bewegt haben. Um mehr als 50 mutmaßliche Kurier-Fahrten geht es in dem Prozess, der im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts in Düsseldorf stattfindet – Personen- und Taschenkontrollen sowie Scanner inklusive, wie am Flughafen, dazu im Saal Handys vom Netz trennen, wie im Flugzeug.
Abgesehen vom Hauptangeklagten wirken die mutmaßlichen Profi-Schmuggler, die verschlüsselte Kommunikationsmittel und für den Drogen-Transport in Spanien umgebaute Autos verwendet haben sollen, äußerlich wie 0815-Bürger. Sie sind Deutsche, kommen aus Dortmund, Wuppertal, Remscheid und Castrop-Rauxel. Unter ihnen ist sogar ein Ehepaar, das zwei Kinder hat.
Der Großvater der Teenager ist zum Prozessauftakt nach Düsseldorf gekommen. Sichtlich mitgenommen äußert sich der Mann auf dem Flur vor dem Gerichtssaal über die Auswirkungen der mutmaßlich von seiner Tochter und seinem Schwiegersohn begangenen Verbrechen auf seine Familie, seine Enkel.
Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang für dieses ohnehin ungewöhnliche Mafia-Verfahren.
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20 Verteidiger, ein Ankläger
Rund 20 Justizbeamte sichern den Prozessauftakt am Montag, etwa ebenso viele Verteidiger kümmern sich um die Interessen der fünf männlichen und drei weiblichen Angeklagten. Staatsanwalt Julius Sterzel ist hingegen Einzelkämpfer, er sitzt alleine auf der Bank der Ankläger.
Sterzel hat gerade vor dem Landgericht Dortmund ein Verfahren gegen drei Italiener verloren, die eine Eisdiele in Siegen als Mafia-Stützpunkt betrieben haben sollen; das Trio wurde am Montag freigesprochen (siehe hier).
Gegen den „Weihnachtsmann“ und Co. rechnet sich Sterzel allerdings deutlich bessere Chancen aus, weil die Beweislage „sehr gut“ sei, teilweise wurden die mutmaßlichen Drogen-Kuriere auf frischer Tat ertappt. Die Zuversicht des Staatsanwaltes mag man am ersten Verhandlungstag in Düsseldorf auch am Strafrahmen ablesen, den Sterzel im Rahmen einer möglichen Verständigung (eines „Deals“) für die acht Angeklagten vorschlägt.

Staatsanwalt fordert lange Haftstrafen
„Irgendwas in Richtung zwölf, zwölfeinhalb Jahre“ Haft kann er sich beispielsweise für den Hauptangeklagten vorstellen, sagt Sterzel. Eine Ansage, die Karl-Heinz E. ohne erkennbare Regung hinnimmt, wie überhaupt die acht Angeklagten an diesem ersten Prozesstag meist schweigen. Die Mehrheit von ihnen, so kündigen es ihre Verteidiger an, will sich im weiteren Laufe des Prozesses zu den Vorwürfen äußern.
Den Mitangeklagten von E., der sie als Kopf des Kurier-Netzwerks kreuz und quer durch Europa geschickt haben soll, drohen Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren, je nach vorgeworfener Tatbeteiligung. Sie alle sitzen in Untersuchungshaft, nachdem das Angelparadies im Rahmen der europaweiten Anti-Mafia-Operation „Eureka“ im Mai 2023 durchsucht und stillgelegt wurde.

Seit einigen Tagen ist eine ARD-Produktion über die Ermittlungen, die `Ndrangheta, das Angelparadies und die Siegener Eisdiele zu sehen. Darin spielt LKA-Chefermittler Oliver Huth, der in dem Angelparadies-Prozess als Zeuge vorgesehen ist, eine prominente Rolle. Die Verteidiger des Hauptangeklagten äußerten am Montag die Befürchtung, dass die beiden Schöffen (Laienrichter) der fünfköpfigen Kammer von der Sendung beeinflusst werden könnten.
Kreis kümmert sich ums Angelparadies
Die Verhandlung gegen die acht Angeklagten wird zwar vom Landgericht Wuppertal geführt, die gerichtliche Auseinandersetzung findet jedoch unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen im Prozessgebäude des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf statt. Im Hochsicherheitstrakt am Kapellweg mussten sich in der Vergangenheit wiederholt Terrorverdächtige verantworten, unter anderem die sogenannte Sauerland-Gruppe. Der Boulevard bezeichnet das Gebäude als „Terrorbunker“ oder „Festung der Justiz“.
Um das Angelparadies in Breckerfeld, das im Zusammenhang mit den europaweiten Ermittlungen gegen die Mafia im Mai 2023 durchsucht und stillgelegt worden war, kümmert sich derweil der Ennepe-Ruhr-Kreis, genauer: das Veterinäramt. Dieses führe laut Auskunft des Kreises „in regelmäßigen Abständen Inspektionen der Anlage durch, um auf mögliche Änderungen des Status quo reagieren zu können. Die Anzahl der derzeit in der Anlage vorhandenen Fische ist von Seiten des Veterinäramtes aktuell nicht abschätzbar“.
Die Dokumentation lege nahe, „dass die Täterschaft meines Mandanten unumstößlich feststeht“ und dass „jede andere Entscheidung als eine Verurteilung einer Kapitulation Deutschlands gegen die Mafia gleichkäme“, sagt der Hauptverteidiger des Hauptangeklagten. Dr. Heiko Löw fordert von den Schöffen die Abgabe einer dienstlichen Stellungnahme, dass sie die fragliche Sendung nicht gesehen hätten. Erst nachdem diese Erklärung erfolgt ist, geht der Prozess weiter mit der Verlesung der Anklage durch Sterzel.
Bevor der Staatsanwalt in einem 39-minütigen Vortrag die einzelnen Taten, welche den Angeklagten jeweils zur Last gelegt werden, anführt, äußert sich vor dem Saal ein Angehöriger einer Angeklagten.
„Schuld werden sie haben, sie sind erwachsene Leute, die wussten, was sie tun.“
Vater einer Angeklagten äußert sich
Seine Tochter und ihr mitangeklagter Ehemann seien „irgendwie da reingerutscht, das war eine Dummheit, man kann es nicht anders nennen“, sagt der Wuppertaler. Die Mitangeklagten kenne er nicht, auch habe er nichts von den mutmaßlichen Verbrechen seiner Tochter (36) und des Schwiegersohnes (47) gewusst. Aber „Schuld werden sie haben, sie sind erwachsene Leute, die wussten, was sie tun“, sagt der 70-Jährige, der von der Verhaftung seiner Tochter vor fast zwei Jahren durch einen Anruf im Garten erfahren haben will. Seitdem ist wohl nichts mehr wie zuvor.
Seine Tochter und sein Schwiegersohn, welcher laut Anklage „die rechte Hand“ des Hauptangeklagten gewesen sein soll, hätten zwei heute 13 und 15 Jahre alte Kinder, seine Enkel. Vor allem die würden leiden, seitdem sie ohne ihre Eltern auskommen müssten. Die beiden Teenager seien nach der Verhaftung ihrer Eltern zwei Wochen in der Obhut des Jugendamtes gewesen, seitdem kümmerten sich die Großeltern und die Tante um die beiden.

150 Euro Lohn pro Kilo Kokain
Der Großvater der Kinder kritisiert die in seinen Augen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft für deren Eltern, hofft darauf, dass seine Tochter („Sie wird immer meine Tochter bleiben“) und sein Schwiegersohn auf Bewährung aus dem Gefängnis kommen. „Die werden bestraft, für das, was sie gemacht haben. Aber die sollen gemeinnützige Arbeit leisten“, sagt er.
Diese Forderung beißt sich allerdings mit dem, was sich die Staatsanwaltschaft im Zuge einer möglichen Verständigung vorstellt. Das Ehepaar soll zwischenzeitlich das Angelparadies geführt haben, die Mutter soll zudem als Kurierin im Einsatz gewesen sein. Sterzel fordert für die Mutter sieben bis acht Jahre Haft, für den Vater fünfeinhalb bis sechs Jahre. Wie bei allen Straferwartungen, die der Staatsanwalt nennt, gilt dies für den Fall eines vollständigen Geständnisses. Andernfalls könnten die Strafen noch härter ausfallen.
Verdient haben sollen die Kuriere, die stets als Fahrer-Beifahrer-Gespann unterwegs gewesen sein sollen, laut Anklage mindestens 150 Euro pro transportiertem Kilo für den Piloten beziehungsweise 500 Euro pro Tour für den Co-Piloten. Der Hauptangeklagte soll insgesamt 2,2 Millionen Euro Gewinn aus den angeklagten Taten erzielt haben.
Wie viel Geld es am Ende gewesen sei, ist dem Vater der angeklagten Tochter egal. „Das“, sagt der Wuppertaler, „hat sich für kein Geld gelohnt. Was sind zwei Millionen Euro, wenn ich im Knast sitze?“
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