Hattingen / Sprockhövel. Sarahs Papa ist selten nüchtern, er ist Alkoholiker. Selina besorgte für ihre Mama Alkohol. Im Suchthilfezentrum wird diesen Kindern geholfen.

Wenn Mama oder Papa suchtkrank ist, dann hat das Auswirkungen auf die ganze Familie. Ihre Kinder sind durch die Alkohol- oder sonstige Abhängigkeit zumeist sehr stark belastet - doch sie stehen bislang selten im Fokus. Anders beim Caritas-Suchthilfezentrum Hattingen/Sprockhövel. Hier finden Jungen und Mädchen aus suchtbelastetem Umfeld Hilfe. Zum Beispiel Sarah (16) und Selina (15).

Ihren Papa liebt Sarah sehr, aus ihrem Zuhause weg will sie auf gar keinen Fall. Wenn ihr Vater nüchtern ist, erzählt sie, sei er der liebste Mensch auf Erden. Doch Sarahs Vater ist viel zu selten nüchtern, denn er ist alkoholkrank. Und das macht sein Verhalten unberechenbar.

„Zum Glück hat Sarah sich vor einigen Monaten bei uns Hilfe geholt.“

Sabine Niggemann vom Caritas-Suchthilfezentrum Hattingen / Sprockhövel

„Sarah belastet diese unberechenbare Situation zu Hause stark“, sagt Sabine Niggemann vom Caritas-Suchthilfezentrum. Auch Sarahs Mutter, die die Probleme verdränge, sei keine Unterstützung. Und der ältere Bruder, der sein Leiden an der Alkoholerkrankung des Vaters im eigenen Suchtkonsum zu ersticken versucht habe, sei sogar gestorben. „Zum Glück hat Sarah sich vor einigen Monaten bei uns Hilfe geholt.“

Lesen Sie auch:

Das Team der Einrichtung auf der Heggerstraße um Sabine Niggemann (32) und Einrichtungsleiterin Tanja Große Munkenbeck (52) hat jüngst sogar eine Zertifizierung für die Arbeit mit suchtbelasteten Familien erhalten - als Teilnehmende am „Fitkids“-Projekt der Drogenberatung Wesel. Diese engagiert sich seit Jahren für Kinder suchtbelasteter Eltern, ihr Projekt leistet einen wichtigen Beitrag, den Kreislauf aus Sucht und sozialer Benachteiligung zu durchbrechen.

Fitkids Hattingen
Das Caritas-Suchthilfezentrum in Hattingen ist jetzt „Fitkids“-zertifiziert. Bei der Übergabe des Zertifikats waren dabei (vl.): Ricarda Gaubatz und Sabine Niggemann vom Suchtberater-Team, Fitkids-Coach Melanie Clemens, Einrichtungsleiterin Tanja Große Munkenbeck, Caritasdirektor Dominik Spanke, Antje Meininghaus (Jugendamt Sprockhövel) sowie Caritas-Suchtberater Nils Johannböcke und Yvonne Hahn von der Hattinger Caritas-Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. © Claudia Kook | Claudia Kook

Nicht durch Suchtproblem der Mutter selbst Schaden nehmen

Auch bei Selina. Mit ihrer alkoholkranken Mutter konnte die 15-Jährige jahrelang nicht über deren Sucht sprechen. Selina habe dieser sogar immer dann, wenn diese mal wieder mit lähmenden körperlichen Entzugssymptomen - zitternd, unruhig, schwitzend - auf der Couch lag, weiteren Alkohol besorgen müssen, erzählt Sabine Niggemann. „Als sie sich an uns gewandt hat, haben wir dann darüber gesprochen, wie sie ihr Selbst stärken kann.“ Um nicht durch das Suchtproblem der Mutter selbst Schaden zu nehmen.

+++ Sie wollen keine Nachrichten mehr aus Hattingen verpassen? Dann können Sie hier unseren Newsletter abonnieren. Jeden Abend schicken wir Ihnen die Nachrichten aus der Stadt per Mail zu. +++

Sabine Niggemann vom Caritas-Suchthilfezentrum Hattingen/Sprockhövel.
Sabine Niggemann vom Caritas-Suchthilfezentrum Hattingen/Sprockhövel. © Sabine Kruse | Sabine Kruse

„Oft fühlen Kinder von suchtbelasteten Familien sich schuldig dafür, dass ihre Eltern abhängig sind“, weiß Sabine Niggemann. Wenn sie älter werden, so die Suchtberaterin, werde ihnen dann meist mehr und mehr bewusst, dass sie Teil des Systems aus Verheimlichung der Sucht gegenüber Außenstehenden und ihrer Verleugnung innerhalb der Familie sind.

Die Tabuisierung der Sucht durchbrechen

Betroffenen Kindern wie Sarah und Selina, die im wahren Leben anders heißen, rät die 32-Jährige dabei, derlei Tabuisierung zu durchbrechen. Sich Freunden anzuvertrauen - und mit dem suchtbelasteten Elternteil das Gespräch zu suchen. Der Mutter, dem Vater sagen, dass man sich Sorgen macht: „Ich habe das Gefühl, dass Du zu viel trinkst.“ Und wenn ein Austausch mit Mama oder Papa gerade gar nicht möglich ist, dann solle das Kind den Raum für den Moment am besten verlassen, rät die Suchtberaterin - und das zuvor artikulieren.

>>> Hier gibt es noch mehr Nachrichten aus Hattingen und Sprockhövel

Sabine Niggemann sagt, sich eigenständig Hilfe zu holen im Umgang mit suchtbelasteten Eltern, das könnten, wenn überhaupt, erst ältere Kinder. Daher versuchen sie und das Team des Suchthilfezentrums bei den Beratungsgesprächen auch, die suchtkranken Eltern zu überzeugen, sich für ihre Kinder Hilfe zu holen.

Bis heute lässt sich Ex-Amphetamin-Abhängige im Suchthilfezentrum beraten

Dies sei erst kürzlich bei einer Frau Anfang 30 gelungen. Sohn und Tochter im Kita-Alter, die mal bei ihr, mal beim Vater wohnten, waren lange Zeit reine Papa-Kinder, sagt Sabine Niggemann. Dann wurde das Jugendamt auf die häusliche Situation der Amphetamin-Abhängigen aufmerksam, die Kinder, schon verhaltensauffällig, kamen ganz zum Papa. Doch dann, so Sabine Niggemann, habe die junge Mutter erfolgreich eine Therapie gemacht, bis heute lässt sie sich bei Problemen von Mitarbeitenden des Caritas-Suchthilfezentrums und des Jugendamtes beraten. Ihre Kinder seien aufgeblüht: „Und sie leben nun sehr, sehr gern mit ihrer Mama zusammen.“

Das Suchthilfezentrum & „Fitkids“

Rund drei Millionen Kinder unter 18 Jahren in Deutschland leben nach aktuellen Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums mit suchterkrankten Eltern zusammen, das ist rund jedes fünfte Kind. Zu den Sorgen und Nöten, die den Alltag dieser Mädchen und Jungen belasten, kommt die Gefahr, dass sie selbst zu Frauen und Männern mit einem Suchtproblem heranwachsen.

Das Caritas-Suchthilfezentrum Hattingen unterstützt diese Heranwachsenden dabei mit dem Programm „Fitkids“, dafür ist es nun sogar zertifiziert.

„Fitkids“, eine Beratungsstelle in Wesel, beschäftigt sich dabei bereits seit 1996 mit Kindern aus suchtbelasteten Lebensgemeinschaften. Sie hat das Programm für die praktische Arbeit von Sucht- und Drogenberatungsstellen entwickelt, die das Thema „Kinder“ nachhaltig in ihre Arbeit integrieren möchten. In Hattingen, so Melanie Clemens von „Fitkids“, sei durch die Zusammenarbeit mit dem örtlichen Jugendamt sowie dem Jugendamt in Sprockhövel zudem „eine optimale Verzahnung von Jugend- und Suchthilfe zum Wohle der Kinder und damit die bestmögliche Hilfe erreicht worden“.

Kontakt zum Caritas-Suchthilfezentrum Hattingen, Heggerstraße 11: Telefon 02324-92560, E-Mail: shz-hattingen@caritas-ruhr-mitte.de. Offene Sprechstunden: Mo-Do, 9-12 Uhr + 13-16 Uhr; Freitag, 9-13 Uhr.

>>> Folgen Sie unserer Redaktion hier auf Instagram unter auf Facebook – hier finden Sie uns!