Hattingen. Sie waren angesehen und beliebt in Hattingen - bis die Nazis gekommen sind. Schreckliche Wahrheiten über die Familie Blume aus Blankenstein.
Es ist schönstes Wetter, als Meta Blume im April 1942 am Hattinger Bahnhof in den Nahverkehrszug nach Dortmund steigt, um von dort aus weiterzureisen in Richtung Osten. Dem Mann ihrer Cousine, der sie zufällig im Zug sitzen sieht, winkt die 55-Jährige noch einmal zu, dann fährt sie ab aus Hattingen. Und kehrt nie mehr dorthin zurück. Der Nazi-Terror gegen die jüdischen Mitmenschen: An der Geschichte von Meta Blume und ihrer in Blankenstein lebenden Familie wird er deutlich sichtbar.
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Meta, eine gebürtige Hessin, lebt seit der Hochzeit mit Max Blume 1909 in Blankenstein, in der Hauptstraße 9. Ihr sieben Jahre älterer Mann ist Kaufmann, betreibt im Erdgeschoss des Hauses ein florierendes Manufakturwarengeschäft. Gegründet hatte dieses in den 1850er-Jahren sein Großvater: Meyer Blume. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges und mitten in diesem bekommt Meta 1914 und 1917 zwei Kinder: Ruth und Günter.
Die Blumes: Seit Generationen in Blankenstein ansässig
Angesehen sind die Blumes - einzige jüdisch Familie unter den rund 2000 Bewohnern - in Blankenstein über all die Jahre. Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ändert sich das. Mehr und mehr. Nicht wahrhaben will die Familie das anfangs. Max Blume, wie viele jüdische Deutsche patriotisch-national eingestellt, wähnt sich und seine Familie zunächst noch in Sicherheit. „Meine Eltern meinten immer, dass gegen sie nichts unternommen würde, nachdem die Familie seit vielen Generationen in Blankenstein ansässig war“, zitierte Stadtarchivar Thomas Weiß in seiner Dokumentation der Geschichte der Familie einmal Günter Blume.
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Und so bleiben die Blumes in Blankenstein wohnen – auch wenn frühere Freunde sich zurückziehen. Auch wenn SA-Männer vor ihrem Geschäft auftauchen, sich die Namen aller Bürger, die „beim Juden kauften“ notieren. Auch wenn die Nazis ihnen schließlich durch das Verbot des Betreibens ihres Einzelhandelsgeschäftes die Existenzgrundlage entziehen.
Jüdische Familie sieht sich zum Verkauf ihres Hauses gezwungen
Irgendwann können Meta und Max nicht mehr: Im November 1938 sehen sie sich zum Verkauf ihres Hauses gezwungen. Meta Blume, so Stadtarchivar Weiß, soll dabei dafür gesorgt haben, dass ein alter Freund, Carl Middelanis, zu ihrem in „Schutzhaft“ genommenen Ehemann ins Gefängnis geht, um den Kaufvertrag zu schließen. Der neue Besitzer bleibt den Blumes auch danach eine große Hilfe: Gegen den Willen der Nazis lässt er die Familie weiter in der Hauptstraße 9 wohnen, kümmert sich auch um Metas Mann, als der nach der „Schutzhaft“ schwer erkrankt. Und am 11. Juni 1939 mit nur 59 Jahren stirbt.
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Meta Blume, geborene Gutmann, lebt unterdessen weiter in der Hauptstraße 9 - die erste Zeit zusammen mit Ruth, deren Ehemann und ihrer im März 1939 geborenen Tochter Mathel. Doch während Günter bereits Anfang 1939 nach Argentinien ausgewandert ist, kann Ruth mit ihrer Familie Ende 1940 nach Paraguay fliehen - gerade noch rechtzeitig. Meta Blume aber bleibt - warum?
Judenstern stempelt sie gesellschaftlich ab
Im Sommer 1 941 dann ist auch ihre Zeit in Blankenstein zu Ende. Ein Polizeibeamter, ordnet der Bürgermeister an, soll in ihre Wohnung ziehen - und Meta Blume in die alte Gewehrfabrik an der Hattinger Ruhrbrücke, in der die Juden der Stadt nun ghettoisiert sind. Aber die inzwischen 54-Jährige hat Glück, kommt bei ihrer Cousine in Sprockhövel unter: der Jüdin Paula Oppel, mit einem Christen verheiratet und daher noch geschützt. Weitestgehend unsichtbar bleibt Meta Blume in Sprockhövel. Aus dem Haus, wo sie inzwischen stets den Judenstern tragen muss, der sie gesellschaftlich abstempelt, geht sie fast nie.
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Dann kommt die Todes-Post: Meta Blume solle sich in Hattingen stellen. Vermutlich verbringt sie noch einige Tage in der Gewehrfabrik, ehe sie am 28. April 1942 nach Dortmund, zwei Tage später per Zug weiter nach Polen deportiert wird. Der sogenannte Zamość-Transport mit Meta Blume und 14 weiteren Hattinger Juden, für den die Nazis insgesamt etwa 800 jüdische Frauen, Männer und Kinder aus der gesamten Region bestimmen, „war der einzige Transport, den kein einziger Verschleppter überlebt hat“, so Stadtarchivar Weiß. „Die meisten von ihnen haben es von dort vermutlich in ein Vernichtungslager gar nicht mehr geschafft.“
Meta Blume wird im August 1950 vom Amtsgericht Hattingen für tot erklärt. Wo und wann genau sie vernichtet worden ist, weiß niemand. Ihr einstiges Zuhause in Blankenstein ist bis heute erhalten. Zwei Stolpersteine davor erinnern an sie und ihren Mann Max.