Hattingen. Haltungswoche in Hattingen: Autor Jakob Matthiessen spricht über die ersten europaweiten Pogrome gegen Juden. Und über besondere Erfahrungen.

Es ist schon einige Jahre her, da hat Jakob Matthiessen sich ziemlich erschrocken: Weil bei einer seiner Lesungen plötzlich Polizisten den Saal sicherten. Für den 59-Jährigen, der in Hattingen aufgewachsen ist, war das ein sichtbares Zeichen dafür, dass Judenfeindlichkeit in Deutschland längst wieder zum Thema geworden ist. „Man muss“, sagt er, „Antisemitismus so gut es geht durch Wissen vorbeugen.“ So auch jetzt - bei der Aktions- und Gedenkwoche „Hattingen hat Haltung“. Dort hält er eine Lesung über die ersten globalen Pogrome gegen Juden in Europa.

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Jakob Matthiessen, der im wahren Leben anders heißt, hat sich über Jahre hinweg intensivst mit der Geschichte des europäischen Judentums beschäftigt, genauer gesagt: mit dessen „Urkatastrophe“. Als solche bezeichnet Matthiesen die Vorgänge im Vorfeld des ersten Kreuzzuges, als es zu den ersten europaweiten Angriffen auf Jüdinnen und Juden kommt  - unter anderem in den sogenannten SchUM-Gemeinden am Rhein. SchUM steht dabei für den Verbund der jüdischen Gemeinden Speyer, Worms und Mainz, im Mittelalter Hochburgen jüdischer Kultur in Europa. Matthiesens historischer Roman „Tod oder Taufe. Die Kreuzfahrer am Rhein“ beleuchtet diese Ereignisse, bei denen christliche Fanatiker die Existenz der jüdischen Gemeinden bedroht haben.

Gewalttätigkeit gegen die andersgläubigen Juden

Sein Werk - fiktiv zwar, aber eine gründlich recherchierte Darstellung historischer Ereignisse mit Bezug zu Gegenwartsfragen - spielt im Jahre 1096 in der Bischofsstadt Mainz. Ein mächtiges Kreuzfahrerheer steht vor den Toren der Stadt, aufgehetzt von einem fanatischen Priester, will es gegen die Juden zu Felde ziehen. Den Kreuzfahrern gehört auch Peter, ein 14-jähriger Bauernjunge, an. Angesichts der Gewalttätigkeit gegen die andersgläubigen Juden, die schließlich vor die Alternative gestellt wurden, sich taufen oder töten zu lassen, distanziert er sich zunehmend mehr von der Idee des christlichen Kriegszuges.

„Die jüdisch-christliche Geschichte hat mich schon immer interessiert“, sagt Jakob Matthiessen, selbst Christ, auf die Frage, wie er als Wissenschaftler im Bereich Künstliche Intelligenz zum Schreiben von „Tod oder Taufe“ gekommen ist. Für ihn als Deutschen sei der Holocaust zudem ein Ereignis, von dem er schon immer habe wissen wollen, was dahintersteckt.

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In der Bibliothek seiner Universität in Dänemark, wo er seit über 20 Jahren lebt, sei er dann vor einiger Zeit auf historische Quellen gestoßen über jene Juden-Pogrome des Jahres 1096. Und nicht zuletzt dank der gründlichen wissenschaftlichen Begleitung von Dr. Michael Rosenkranz von der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen „habe ich mich schließlich daran gewagt, mich einem so komplexen Thema ernsthaft anzunähern“. Und seinen historischen Roman über die „Urkatastrophe des europäischen Judentums“ zu schreiben.

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In diesem wird deutlich gemacht, wie auf dem Boden christlicher Theologie antijüdische Vorurteile gewachsen sind und zu Judenhass geführt haben. Daher wurden auch Szenen von „Tod oder Taufe“ bereits an Schulen in Deutschland, Österreich und Dänemark im Religions- und Geschichtsunterricht eingesetzt - zur Antisemitismus-Vorbeugung. 

„Der Antisemitismus taucht leider gerade in letzter Zeit in Deutschland, Europa und in vielfältiger Weise in der ganzen Welt wieder auf.“

 Jakob Matthiessen

An die Mechanismen von Judenhass und dessen Geschichte zu erinnern, werde dabei aktuell wieder zunehmend wichtig, betont Jakob Matthiessen. „Denn der Antisemitismus taucht leider gerade in letzter Zeit in Deutschland, Europa und in vielfältiger Weise in der ganzen Welt wieder auf.“ Auch angesichts des seit einem Jahr tobenden Konflikts in und um Israel.

Jakob Matthiessen
Der in Hattingen aufgewachsene Jakob Matthiessen liest im Rahmen der Woche „Hattingen hat Haltung“ aus seinem Historienroman „Tod oder Taufe“. © JM | jm

Für eine Lesung aus seinem Buch im Rahmen der Woche „Hattingen hat Haltung“ kehrt der 59-Jährige aus Dänemark dabei am ersten November-Wochenende einmal mehr in seine Heimatstadt zurück, in der bis heute seine Eltern leben. Am ersten November-Wochenende werde er zudem ein Stufentreffen seines Gymnasiums Holthausen besuchen. Und wenn er an seiner ehemaligen Schule und weiteren Schulen in Hattingen demnächst auch einmal über die ersten organisierten Angriffe auf Jüdinnen und Juden im Jahre 1096 sprechen könnte, äußert er einen Herzenswunsch, „dann würde mich dies sehr freuen. Ein Interesse meinerseits ist auf jeden Fall da“.

Gedenk- und Aktionswoche „Hattingen hat Haltung“

Zum bereits sechsten Mal findet in diesem Jahr die „Gedenk- und Aktionswoche Hattingen hat Haltung“ statt, die Besuchenden wieder Denkanstöße, Möglichkeiten des Austausches und des Erkenntnisgewinns geben will für ein Zusammenleben in Toleranz und Demokratie.

Die Lesung von Jakob Matthiessen aus seinem historischen Roman „Tod oder Taufe – Die Kreuzfahrer am Rhein“ am Samstag, 9. November, ist dabei Teil der Gedenkwoche. Beginn ist um 17 Uhr im Großen Sitzungssaal des Rathauses, Rathausplatz 1. Der Eintritt ist frei. Im Anschluss an die Lesung laden Stadt Hattingen, Jugendparlament und Jüdische Gemeinde die Stadtgesellschaft zum gemeinsamen Gedenken an die Reichspogromnacht ein. Treffpunkt ist um 19 Uhr vor dem Rathaus, um gemeinsam mit „Lichtern der Erinnerung“ zum Synagogenplatz zu gehen. Vor Ort erfolgt die Kranzniederlegung für die Hattinger Opfer der Reichspogromnacht 1938. Beide Veranstaltungen werden musikalisch von Berit Wegner begleitet.

Zahlreiche weitere Veranstaltungen gehören zur Aktions- und Gedenkwoche. Das komplette Programm findet sich auf der Seite der Stadt Hattingen.

Hattingen ist seit 2017 anerkannte Partnerschaft für Demokratie und erhält als solche Fördermittel aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“. In diesem Rahmen führt die Stadt mit Unterstützung unterschiedlicher Hattinger Akteurinnen und Akteuren die Gedenk- und Aktionswoche seit 2018 durch. Anlass der ersten Woche war der 80. Jahrestag der „Reichspogromnacht“, mit der das NS-Regime am 9. November 1938 deutschlandweit die massenhafte Vernichtung jüdischen Lebens einleitete.