Hattingen. Für 15 Hattinger Juden beginnt am 28. April 1942 eine Reise ohne Rückkehr: die Deportation nach Zamość. Schreckliche Wahrheiten zum 80. Jahrestag.
Es herrscht schönstes Frühlingswetter am 28. April des Jahres 1942, als Klara (46) und Alfred Markus (47) mit den Kindern Günther (20) und Inge (11) mitten am Tag ihre Reise gen Osten antreten. Von der Alten Gewehrfabrik an der Ruhrstraße gehen sie sowie elf weitere Hattinger Juden voll bepackt zum etwa ein Kilometer entfernten Hattinger Bahnhof, besteigen dort einen Nahverkehrszug nach Dortmund. Zwei Tage verbringen sie im Sammellager namens „Turnhalle Eintracht“, dann geht ihre Fahrt weiter – ins polnische Ghetto Zamość. Es ist eine Reise ohne Rückkehr, deren Jahrestag sich nun zum 80. Mal jährt.
„Der einzige Transport, den kein einziger Verschleppter überlebt hat“
Der sogenannte Zamość-Transport mit den 15 Hattinger Juden, für den die Nazis insgesamt etwa 800 jüdische Frauen und Männer unter 65 Jahren sowie Kinder aus dem gesamtem Regierungsbezirk Arnsberg bestimmen, „war der einzige Transport, den kein einziger Verschleppter überlebt hat“, sagt Stadtarchivar Thomas Weiß. Der damals von den Nazis angeordnete Eintrag „unbekannt verzogen“, der später in die Meldekarten der Hattinger Juden geschrieben wird, er wird so am Ende zur schrecklichen Wahrheit.
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Wie die aus der Ruhrstadt verschleppten Juden gestorben sind, so Weiß, „das wissen wir zwar nicht“. Klar aber sei: In Zamość, einem Durchgangslager mit Platz für etwa drei- bis viertausend Menschen, kamen nahezu täglich Züge mit neuen Verschleppten an. Weiß: „Die meisten von ihnen haben es von dort vermutlich in ein Vernichtungslager gar nicht mehr geschafft.“ Weil sie schon bald nach ihrer Ankunft in Zamość Platz machen mussten für die nächsten dort eintreffenden jüdischen Frauen und Männer. Sie wurden erschossen, erschlagen, kamen irgendwie sonst ums Leben.
Noch versucht, die Hattinger Jüdinnen und Juden in Sicherheit zu wiegen
Vor der Abreise hatte man die Hattinger Jüdinnen und Juden noch versucht, in Sicherheit zu wiegen, ihnen etwa vorgeschlagen, Handwerkszeug und Ausrüstung in den Osten mitzunehmen, die sie für dessen Kultivierung dort nutzen könnten, sagt Stadtarchivar Weiß.
Mit der Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 waren die einstmals wohl geachteten jüdischen Hattinger Mitbürger zunehmend mehr zu Menschen zweiter Klasse degradiert worden, schikaniert und entrechtet. Hierzu zählt auch die angeordnete „Umsiedlung“ aus ihren von den Nazis beschlagnahmten Wohnungen in die abgelegene Alte Gewehrfabrik im Sommer 1941, die nur wenigen Hattinger Juden erspart blieb. Mehr und mehr verschwanden sie nicht zuletzt durch diese Umsiedlung aus dem Stadtbild, einkaufen durften sie nur von 8 bis 13.30 Uhr, sich nach dem 1. September 1941 zudem nur noch mit Judenstern in der Öffentlichkeit zeigen.
Die Deportation der 15 Hattinger Juden am 28. April 1942 nach Zamość indes geschieht in aller Öffentlichkeit und wird zudem amtlich fotografiert. 13 Aufnahmen gibt es im Hattinger Stadtarchiv davon, doch das ganze Ausmaß der dahinterstehenden „perversen Organisation der Nazis“, so Weiß, offenbart sich erst 2009 bei einem Treffen aller Stadtarchivare des Regierungsbezirks Arnsberg.
Ein menschenverachtender, empathieloser Verwaltungsakt wird an dem Zamosc-Transport dabei deutlich, der sich auch an Folgendem offenbart: Die Hattinger Juden durften von ihren Konten zuletzt nur noch das zum Überleben Notwendige abheben, sagt Weiß. Ihre Tickets in den Tod allerdings, so der Stadtarchivar, werden Familie Markus und die übrigen Deportierten vermutlich auch noch selbst bezahlt haben müssen.
>>> Reise ohne Rückkehr
Insgesamt 25 Hattinger Jüdinnen und Juden traten in den Jahren 1942/43 vom Hattinger Bahnhof aus ihre erschütternde „Reise ohne Rückkehr“ an. Niemand dieser Verschleppten sollte den Holocaust überleben:
20. April 1942 Hattingen – Düsseldorf / 22. April 1942 vermutlich auf eigenen Wunsch von Düsseldorf mit Verwandten nach Izbica: Bertha Walter, Sophie Walter (geb. Spatz);
28. April 1942 Hattingen – Dortmund / Abfahrt der unter 65-Jährigen am 30. April 1942 von Dortmund nach Zamość: Meta Blume (geb. Gutmann) Amalie Cahn (geb. Mayer), Karl Cahn, Kurt Kamp, Osiel Landsmann, Erika Landsmann (geb. Herzberg), Alex Löwenstein, Mathilde Löwenstein, Alfred Markus, Günther Markus, Inge Markus, Isidor Markus, Klara Markus (geb. Landau), Bacia Markus (geb. Worzlawsky), Hermann Ostwald;
27. Juli 1942 Hattingen – Dortmund / Abfahrt der über 65-Jährigen am 29. Juli 1942 von Dortmund ins so genannte Altersghetto Theresienstadt: Julius Friedhoff, Johanna Kamp (geb. Kahlenberg), Levi Kamp, Max Markus, Hermann Meyer, Minna Portmann (geb. Kadden), Berta Rosengarten;
21. August 1943 von Gestapo festgenommen – September/Oktober 1943 Deportation nach Auschwitz: Else Dickmann (geb. Markus).
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