Hattingen. Prof. André-Michael Beer führt die Klinik für Naturheilkunde von der Modell-Klinik zum Erfolgsmodell. Wem klassische Naturheilverfahren helfen.

Mit Nichts hat Prof. Dr. André-Michael Beer im Jahr 1997 in Hattingen an der Klinik Blankenstein angefangen. Mit fast nichts. Denn da war der Wille, eine Klinik für Naturheilkunde aufzubauen. Die hat sich vom Modellversuch zum Erfolgsmodell gemausert - und kann bei vielen Krankheitsbildern helfen.

Klassische Naturheilverfahren hat Prof. Dr. André-Michael Beer etabliert, der jetzt in den Ruhestand geht. Keine Bioresonanz, kein Ayurveda, keine traditionelle chinesische Medizin. „Die Ausrichtung sollte ganz klar sein, denn die klassischen Naturheilverfahren waren immer schon Bestandteil der Medizin.“ Die Klarheit sei notwendig gewesen, um die Behandlung als Kassenleistung anerkannt zu bekommen. „Inzwischen gibt es sechs Kliniken für Naturheilkunde in Deutschland, die mit den Kassen abrechnen können.“

Professor fordert, „schizophrenes Denken zu beenden“

Etwa 30.000 Patienten hat Beer behandelt, 1300 sind es pro Jahr, dazu kommen ambulante Patienten. Bei Muskel- und Skelett-Erkrankungen, bei Fibromyalgie, bei Polyarthritis, bei Migräne, bei Reizmagen oder -darm helfen die Verfahren. Auch bei entzündlichen Darmerkrankungen. Eine Beobachtungsstudie zu Post-Covid hat Beer mit seinem Team noch kurz vor seinem Ruhestand beendet.

Begründer des Faches Naturheilkunde

Im Jahr 2004 habilitierte André-Michael Beer - über die Wirkung des Naturheilmittels Moor. „Da war ich der erste in Deutschland, der auf dem Gebiet der Naturheilkunde an einer staatlichen Uni habilitiert hat. Ich danke Prof. Dr. Jürgen Krämer für seinen Mut, mich an der Ruhr-Universität Bochum habilitieren zu lassen.“

Mit seiner Habilitation gründete Beer ein neues akademisches Fach - das der Natuheilkunde. Als Professor hielt Beer Vorlesungen, gab Seminare, Studierende kamen zu Praktika in die Klinik.

Seit zehn Jahren beriet er die Krebsärzte der Onkologie, seit fünf Jahren fuhr er drei Mal wöchentlich nach Bochum zur gemeinsamen Visite auf der gynäkologischen Station. „Das ist eine integrative Frauenheilkunde, wie ich sie mir immer gewünscht habe“, erklärt Beer, der ein „Verfechter des Pluralismus in der Medizin“ ist und künftig verschiedene Institutionen zum Thema Naturheilkunde berät.

Team evaluiert in Hattingen Wirksamkeit klassischer Naturheilverfahren

Über Jahre hat der heute 66-Jährige mit seinem Team die klassischen Naturheilverfahren wissenschaftlich evaluiert. „Es war eine Modell-Klinik, sie konnte jederzeit kippen“, beschreibt er die Angst des Teams in den ersten Jahren. „Das Team war hoch motiviert, hat sich anfangs sogar samstags getroffen, um sich über Wickel und Auflagen fortzubilden.“ Die Vorgabe war auch: „Die Klinik darf nicht isoliert sein.“ Auch darum hat er „Med in Hattingen“ gegründet: „Alle Gesundheitsplayer in Hattingen arbeiten da zusammen.“

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Viele Klinken hat Beer geputzt bei niedergelassenen Ärzten. Denn da sei das Misstrauen gewesen, dass „wir alle zu Heilpraktikern schicken“. Schließlich absolvierte Beer vor dem Medizinstudium mit der späteren Ausrichtung Gynäkologie eine Heilpraktikerausbildung. Heute ist die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten sehr gut.

Professor André-Michael Beer: „Naturheilverfahren gehörten schon immer zur Medizin“

Beers Motivation: die Integration der naturheilkundlichen Verfahren in die Schulmedizin und damit das „Beenden des schizophrenen Denkens“. „Die Verfahren gehörten schon immer zur Medizin. Aber als die Pharmakologie stärker wurde, glaubte man, diese Verfahren nicht mehr zu brauchen. Doch mit einer Tablette ist es oft nicht getan. Gerade chronisch Erkrankte sind froh über die Naturheilverfahren.“ Eine naturheilkundliche Komplexbehandlung für chronisch Kranke hat er darum mit dem Team in den Jahren entwickelt und gezeigt, dass sie einer Spritzentherapie bei Schmerzen „nicht unterlegen“ ist.

Dr. Birke Müller aus seinem Team übernimmt die kommissarische Leitung der Klinik mit 50 Betten, die inzwischen eine Wartezeit von einem halben Jahr von Menschen aus ganz Deutschland verzeichnet.