Hattingen. Seit 2021 werden im Ennepe-Ruhr-Kreis mit Hattingen mehr Fälle von Kindesmissbrauch aufgedeckt. Abschreckung wirkt kaum, aber jeder kann helfen.

In der Statistik der Polizei im Ennepe-Ruhr-Kreis sind es nur Zahlen: 44, 44, 45. Hinter den Zahlen verbergen sich 133 sexuell missbrauchte Kinder und Jugendliche in den vergangenen drei Jahren - allein im Ennepe-Ruhr-Kreis. Und dabei ist Witten als größte Stadt des Kreises gar nicht einberechnet. Seit Jahren stagniert die Zahl auf hohem Niveau. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher sein. Die Polizei erklärt, was hinter den nüchternen Zahlen steckt, warum sie so hoch sind und was passiert, wie jeder helfen kann.

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Im Jahr 2021 stieg die Zahl der Missbrauchsfälle sprunghaft an - von 24 Fällen im Vorjahr auf 44. Bei diesem hohen Stand ist es geblieben, 2023 war es sogar noch ein Kind mehr. Und das sind nur die Fälle, die der Polizei bekannt sind. So erklärt sie den Anstieg dann auch mit verstärkten Kontrollen, die es seit drei Jahren gibt. Entsprechend werden mehr Fälle sichtbar. Eine abschreckende Wirkung hat das auf Täter aber offenbar nicht.

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Jedes Jahr knapp 45 Fälle - dabei ist alles: sexueller Missbrauch von Kleinkindern bis zum Jugendlichen. In einigen Fällen geht es um Einzeltaten, aber auch wiederholter Missbrauch wurde aktenkundig. Wobei jeder von der Polizei aufgeführte Fall in der Tat einem Kind entspricht, das Opfer wurde. Nicht enthalten sind in dieser Auflistung übrigens Fälle, in denen Kinderpornografie besessen oder geteilt wurde. Sie werden extra gezählt (156 in 2023).

„Täter sind nahezu ausschließlich männlich.“

Tim Sendler
Polizeisprecher

Häufiger als das Opfer selbst erstatten Freunde, Jugendämter, aber auch Angehörige und Lehrer Anzeige bei der Polizei. „Tatsächlich geschehen die Sachverhalte häufig im sozialen Nahraum, wobei in erster Linie der Nachbar, der Bekannte und auch Familienangehörige eine Rolle spielen. Die Täter sind nahezu ausschließlich männlich“, erklärt Polizeisprecher Tim Sendler.

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Deshalb ist Aufmerksamkeit des Umfeldes auch besonders wichtig. „Anzeichen für das Vorliegen eines Missbrauchs sind in erster Linie Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern. Leider treten die genauso auch aufgrund anderer Ursachen auf“, sagt der Polizeisprecher. Sollte man jedoch begründbar einen Verdacht haben, rät er dringend davon ab, selbst zu „ermitteln“. Stattdessen solle man sich unmittelbar an die Polizei wenden.

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Kontrollen schrecken Täter kaum ab, weiß die Polizei. Sie führen aber dazu, dass mehr Fälle entdeckt werden. © DPA Images | Nicolas Armer

Tatsächlich schrecken die Ermittlungserfolge der Polizei durch verstärkte Kontrollen Täter nicht ab. „Die Täter agieren stark triebgesteuert. Abschreckung ist auch in anderen Deliktsbereichen immer nur bedingt zur Verhinderung von Kriminalität geeignet“, weiß Sendler. Die Polizei geht von einer hohen Dunkelziffer an Fällen aus: „Es ist durchaus anzunehmen, dass das Phänomen insgesamt eine noch viel größere Dimension beherbergt, als wir bislang wahrhaben wollten, und die verstärkte Aufmerksamkeit lediglich zur weiteren Aufhellung des Dunkelfeldes führt.“

Prävention in Sportvereinen

Der Kreissportbund Ennepe-Ruhr (KSB) und seine Sportjugend unterstützen die Kampagne „Prävention und Intervention sexualisierter & interpersoneller Gewalt im Sport“ des Landessportbundes NRW. Der KSB will Fachschaften, Vereine, Trainer und Übungsleiter für das Thema sexualisierte Gewalt im Sport besonders sensibilisieren und eine gewaltfreie Atmosphäre in den Vereinen etablieren.

Als Fachkräfte unterstützen Alena Feldmann als Regionalkoordinatorin und Sarah Quirbach als fachliche Unterstützung die Vereine. „Wir wissen aus Studien, dass sich betroffene Kinder an bis zu sieben Erwachsenen gewandt haben, bis ihnen endlich Glauben und Gehör geschenkt wurde“, so Sarah Quirbach. Diese Zahl soll sinken. „In diesem Pilotprojekt zeigt sich bereits nach wenigen Monaten der enorme Beratungsbedarf der Vereine“, teilt der KSB mit. Das Schutzkonzept des KSB EN ist seit Anfang Juni auf der Homepage (www.ksb-en.de) einzusehen.

Wird aber ein Fall angezeigt, greifen unverzüglich Mechanismen zum Schutz des Kindes. In allen Fällen wird polizeilich sichergestellt, dass der Täter keinen weiteren Zugriff auf das Opfer hat. „Die Polizei hat alle rechtlichen Möglichkeiten, die in diesem Zusammenhang notwendig sind“, betont der Polizist.

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Das kann eine vorläufige Festnahme des Täters sein. In den Fällen, in denen der Tatverdacht oder die Gründe für eine Inhaftierung nicht ausreichen, werden Tatverdächtige auch schon mal über einen längeren Zeitraum observiert. Parallel wird das Opfer an einen Ort gebracht, den der Täter nicht kennt. Findet der Missbrauch in der Familie statt, wird das Kind unmittelbar in Obhut genommen und an das Jugendamt übergeben. Das kümmert sich um eine geeignete Unterbringung und initiiert auch mittel- und langfristige Opferschutzmaßnahmen.