Gelsenkirchen. Hilfen zur Erziehung: Die Kosten steigen und steigen in Gelsenkirchen. Das liegt allerdings nicht nur an wachsender Not armer Familien.

Sie sind mit ursprünglich knapp 68,2 Millionen Euro ohnehin eine der größten Positionen im Sozialhaushalt der Stadt Gelsenkirchen. Aber jetzt musste die Verwaltung bei den Hilfen zur Erziehung erneut einen deutlichen Mehrbedarf feststellen: Knapp 3,8 Millionen Euro mehr als ursprünglich anvisiert fielen 2024 für die Unterstützung an, die das Jugendamt bei Erziehungsfragen, Konflikten oder Problemen in der Familie leistet.

Erstaunlich: Im Vergleich zu den überplanmäßigen Kosten der vergangenen Jahre sind die 3,8 Millionen sogar noch eine kleine Summe. Es gehört mittlerweile dazu, dass die Stadt in einem Haushaltsjahr bei den Kosten für Erziehungshilfen noch mal mächtig etwas drauflegen muss. 2023 waren es sogar knapp 11,5 Millionen Euro, die zusätzlich bereitgestellt werden mussten, um etwa die Hausbesuche zu finanzieren, die Fachkräfte beim „Allgemeinen Soziale Dienst“ (ASD) bei überforderten Familien antreten.

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Auch insgesamt betrachtet kann man bei Erziehungshilfen – so wie bei vielen Sozialkosten in Gelsenkirchen – nur von einer Kostenexplosion sprechen: 2019 fielen noch knapp 39,1 Mio. Euro an, mittlerweile ist man bei über 70 Mio. angekommen. „Alarmierend“ findet das auch die Stadt und spricht von „erheblichen, finanziellen Belastungen, die rapide zunehmen.“

Stadt Gelsenkirchen spricht von einer zunehmenden „Kultur der Wachsamkeit“

Die Ursachen dafür? Zum einen sind da logischerweise die gestiegenen Fallzahlen – nicht nur sind immer mehr, häufig arme und bildungsferne Familien aufs Jugendamt angewiesen, auch die Hemmschwelle sinkt, eher beim Jugendamt vorzusprechen bzw. dort Missstände zu melden. Bei der Stadt nennt man das „eine Kultur der Wachsamkeit“ und erkennt einen „geschärften Blick der Öffentlichkeit für Kindeswohlgefährdungen“.

Im Ergebnis steigt auch die Zahl der „intensivpädagogischen Einzelfälle“, die besonders zeit- und kostenintensiv sind. Die wachsenden Personalaufwendungen tragen ihr Übriges zu den gestiegenen Gesamtkosten bei.

Rund 2400 Kinder und Jugendliche werden vom Jugendamt unterstützt

Derzeit (Stand von Mitte Dezember 2024) laufen 1780 Fälle der Hilfen zur Erziehung in Gelsenkirchen. Davon sind 2361 Kinder und Jugendliche betroffen – das sind quasi so viele unter 18-Jährige wie in Gelsenkirchen-Altstadt leben. Im Bereich der Familienhilfen werden mitunter mehrere Kinder in einer Hilfe erfasst. Hinzu kommen weitere 427 Hilfen im Bereich der Integrationshilfen an Schulen. Diese werden ebenfalls durch das Jugendamt initiiert und begleitet.

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Wie herausfordernd es für das Jugendamt Gelsenkirchen ist, all diesen jungen Menschen und Familien gerecht zu werden, konnte zuletzt die gesamte Republik in der ARD-Story „Jugendämter in Not – Kinder in Gefahr?“ mitansehen. Gelsenkirchen war Dreh- und Angelpunkt in dem Film, bei dem eine Mitarbeiterin des Jugendamtes Gelsenkirchen in ihrem Arbeitsalltag begleitet wurde – letztendlich bis zur Erschöpfung in Form einer Überlastungsanzeige.

Stadt: Im Vergleich sind die Kosten für die Erziehungshilfen gar nicht so hoch

Fast überraschend ist da folgende Feststellung der Verwaltung: „Im Vergleich mit anderen mittelgroßen Städten in NRW (darunter Krefeld, Mönchengladbach, Hamm und Herne) fällt die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung und deren durchschnittlichen Kosten auf die Verteilung der in der Stadt lebenden Kinder und Jugendlichen sogar vergleichsweise gering aus“, heißt es. Das habe man im Städtevergleich feststellen können.

Den jährlichen Anstieg der Kosten versuche man dennoch zu verlangsamen. So wolle man etwa das „vielfältige und vergleichsweise große Angebot“ bei der offenen Kinder- und Jugendarbeit in Gelsenkirchen erhalten, um Hilfen zur Erziehung zu vermeiden. Dass sich auch das in Zeiten von mangelndem Fachpersonal als schwierig erweist, zeigte sich zuletzt in Schaffrath beim Jugendzentrum Nottkampstraße, das seit Mai 2024 geschlossen ist – weil seit dem Weggang eines Sozialpädagogen bislang kein qualifizierter Ersatz gefunden werden konnte.

Jugendamt Gelsenkirchen soll wirtschaftlicher arbeiten

Weiteres will die Stadt mit einer „Fachstelle zur Entgeldberechnung“ erreichen, die den Aufwand im Jugendamt und bei den freien Trägern unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit mehr im Blick haben soll.

So soll die Extremsteigerung bei den Erziehungshilfen nicht als Automatismus hingenommen werden. Allerdings betont man hier seitens der Stadt, so wie auch bei vielen anderen wachsenden Pflichtaufgaben für die Kommune, dass man Gelsenkirchen nicht alleine lassen dürfe. „Bund und Länder müssen sich verstärkt bei der Förderung von Kindern, Jugendlichen und Familien engagieren und auch alternative Handlungskonzepte der Jugendämter zulassen“, fordert man im Hans-Sachs-Haus.