Gelsenkirchen. Sie wollen „keine Umerziehung durch den Islam“: SPD, CDU und FDP lehnen Gelder für eine Gemeinde ab. Ist das Diskriminierung oder berechtigt?
Wird ein islamischer Kulturverein haltlos diffamiert oder werden die demokratischen Grundwerte verteidigt? Erneut sorgt eine Entscheidung, einem Moschee-Verein in Gelsenkirchen keine Gelder aus den Bezirksforen zu gestatten, für hitzige Debatten in Gelsenkirchen. Während die Fraktionen von SPD, CDU und FDP in der Bezirksvertretung-Mitte betonen, sie legten „keinen Wert darauf, durch den Islam umerzogen zu werden“, sieht die Wähler-Initiative NRW (WIN) eine „ausgeprägte Islamfeindlichkeit“.
Die Bezirksforen sind eine Gelsenkirchener Besonderheit. Sie geben Vereinen oder Nachbarschaftsinitiativen jedes Jahr die Möglichkeit, Gelder für verschiedene Anliegen zu bekommen. Abgesegnet werden müssen die Anträge am Ende jedoch noch von den Bezirksverordneten, den Lokalpolitikern aus den fünf Stadtbezirken Gelsenkirchens. Im Bezirk Mitte haben diese jetzt mehrheitlich entschieden, dass das Tuğra-Kulturzentrum weiterhin als einziger Verein leer ausgehen soll. Der islamische Verein hatte schon 2023 versucht, 3900 Euro zu bekommen, um sein Jugendlokal um eine Sound- und Snackbar zu erweitern. Dieses Mal ging es um 1400 Euro für die Erneuerung von Sitzbänken.
Kein Geld für Muslime in Gelsenkirchen: Kritik an Dachverband IGMG
Das Kulturzentrum gehört der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) an. Kontroversen aufgrund der Zugehörigkeit zu diesem umstrittenen Dachverband gab es bereits 2022/2023, als die Hicret-Moschee (ebenfalls IGMG) im Norden Gelsenkirchens keine Mittel erhalten sollte. Bezirksvertreter aus dem Norden gaben sich damals zunächst zurückhaltend, weil die „Millî Görüş“-Bewegung im Verfassungsschutz aufgeführt ist.
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Auf WAZ-Nachfrage betonte der Verfassungsschutz jedoch damals, bei den Orts- und Landesverbänden der IGMG seien „aktuell keine relevanten Extremismusbezüge“ feststellbar. Experten wie Haci Halil Uslucan, Professor für Moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen, erläuterten zudem, die IGMG-Gemeinden würden vielmehr ein Eigenleben führen – eine pauschalisierende Beurteilung auf Basis des Dachverbands sei schwer möglich.
Mittlerweile führen Hicret-Moschee und Lokalpolitik größtenteils ein freundliches Verhältnis – man hat sich kennengelernt, man macht sich keine Vorwürfe mehr. In der Bezirksfraktion-Mitte ist das anders.
Harte Kritik: Gelsenkirchener Moscheeverein will sich erst einmal nicht äußern
Hier hatten SPD, CDU und FDP nun in einem gemeinsamen Antrag gefordert, dass vergangene und aktuelle Anträge des Tuğra-Kulturzentrums abzulehnen seien. Auch die AfD stimmte dafür. Begründet wird diese Haltung vor allem, indem auf die Millî-Görüş-Bewegung Bezug genommen wird. Diese wolle die westliche durch eine „islamische, gerechte Ordnung“ ersetzen. Auffällig sei die strikte Geschlechtertrennung bei der IGMG. Der Dachverband erkläre die Verhüllung von Frauen zur Pflicht. Ohne Kontext steht in der Begründung zudem der Satz: „Salafistische Geistliche haben sich ausdrücklich gegen die als Unzuchtverbrechen gebrandmarkte Homosexualität positioniert.“
Vertreter des Kulturzentrums schauten in der vergangenen Bezirksvertretung-Mitte, wo der Antrag behandelt wurde, von der Zuschauertribüne aus zu und wirkten geschockt. Öffentlich äußern wollte man sich hingegen niemand. Man müsse die Situation erst einmal intern klären, hieß es auf WAZ-Nachfrage.
Grüne: „Das ist mir aufgestoßen“
„Ich finde es schwierig, dass wir diesen Fall herausgreifen“, sagte Patrick Jedamzik von den Grünen zu dem Antrag von SPD, CDU und FDP. Auch bei vielen anderen Vereinen, die Mittel auf den Bezirksforen beantragen, sei nicht klar, welche Ideologie und Einstellung dort verbreitet werde. Dennoch könne er Bedenken mit Blick auf das Tuğra-Kulturzentrum als IGMG-Verein nachvollziehen, schwer vorstellbar sei es, wie unter diesem Millî-Görüş-Dachverband agiert werde. In Hassel bei der HIcret-Moschee habe sich jedoch gezeigt, dass es helfen könne, sich kennenzulernen.
Recherchen der Grünen hätten zudem gezeigt, dass es keine verfassungsrechtlichen Bedenken oder polizeilichen Warnhinweise mit Blick auf die Gelsenkirchener Gemeinde gebe. Als „zu harsch“ erlebte Jedamzik die Aussage, sich nicht im Islam umerziehen lassen zu wollen. „Das ist mir aufgestoßen.“ Wie auch die WIN machte er zudem darauf aufmerksam, dass die Frauen des Tuğra-Kulturzentrums den Antrag für die Mittel gestellt hatten. Das müsse bei der Kritik zum Geschlechterbild des Vereins mitberücksichtigt werden. Abschließend haben sich die Grünen bei der Abstimmung enthalten.
Öffentliche Unterstützung hingegen bekommt der Verein von der WIN-Fraktion. In einer wütenden Pressemitteilung betont die Wähler-Initiative, dass die Haltung der Gemeinde ohne Belege und Quellen mit einer islamistischen Ideologie und dem Salafismus gleichgesetzt werde. Sätze wie, man lege „keinen Wert darauf, durch den Islam umerzogen zu werden“ kenne man üblicherweise von der AfD. Bedauerlich sei, dass man die Zeit seit der ersten Ablehnung im Jahr 2023 nicht genutzt hätte, um das Tuğra-Kulturzentrum besser kennenzulernen und sich eine persönliche Meinung von dem Verein zu bilden – so wie es in Hassel bei der Hicret-Moschee passiert war. Dabei gehöre das Kulturzentrum sogar zu den wenigen Islam-Vereinen in Gelsenkirchen, die jedes Jahr zum Tag der offenen Moschee einladen.
WIN: Ausgrenzung von Muslimen zeigt sich immer offener
Der Verfassungsschutz spielte damals bei der IGMG-Moschee im Norden eine große Rolle in der Debatte. In ihrem Antrag zum Tuğra-Verein stellen SPD, CDU und FDP jedoch fest, dass die Weltanschauung des Vereins nicht ihre sei – unabhängig von einer verfassungsrechtlichen Überprüfung. Der WIN ist das besonders ein Dorn im Auge: „Die Antragsteller setzen sich über staatliche Kontrollinstanzen und Ihre Bedeutung hinweg“, sie hätten kein Recht, dafür nur ihre eigene Weltanschauung zur Grundlage zu nehmen.
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Zusammengenommen sei der Antrag von SPD, CDU und FDP „herablassend und diffamierend“, er zeige, dass die Islamfeindlichkeit in der Politik ausgeprägt sei. „Erfolgte die strukturelle Ausgrenzung von Muslimen und der damit verbundene Rassismus bisher eher verdeckt, so zeigt er sich in Form dieses Antrages und ähnlicher Vorgänge immer mehr sehr offen“, stellt die WIN aus ihrer Sicht fest.
Die WAZ wollte von SPD, CDU und FDP zudem wissen, warum man in den vergangenen Monaten nicht versucht habe, sich selbst ein Bild von dem Kulturzentrum zu machen. Lothar Urban, Bezirksfraktionsvorsitzender der SPD, betonte schon während der Sitzung, man habe wechselseitig keinen Kontakt gehabt, könne dies jedoch in der Zukunft verbessern. Auf Nachfrage ergänzt er: „Man ist nicht auf uns zugekommen, obwohl bekannt war, dass wir wahrscheinlich den Antrag ablehnen würden.“ Es habe keine Mitteilung seitens der Gemeinde gegeben, ob Kontakt erwünscht sei.
Warum man den Verein nicht zu anderen Anlässen versucht habe, kennenzulernen, beispielsweise im Rahmen von Gemeindefesten oder am Tag der offenen Moschee? Urban sagt hierzu: „Vor vielen Jahren habe ich die Hagia Sophia Moschee in Istanbul besichtigt, als ich mit einer Jugendgruppe der Falken vor Ort war. Danach hatte ich noch keinen neuen Bedarf, das zu tun.“
FDP: Dürfen uns dann nicht wundern, wenn die Gesellschaft nach rechts abdriftet
Ehrenamtlichen Politikern sei es aus Zeitgründen nicht möglich, jede Institution zu besuchen, ergänzt Hans-Joachim Roth, Vertreter der FDP in der Bezirksvertretung-Mitte. Seitens des Tuğra-Kulturzentrums habe es keinen eigenen Versuch gegeben, mit den Liberalen ins Gespräch zu kommen. Darüber hinaus gebe es einen einstimmigen Fraktionsbeschluss der FDP, politische und religiöse Vereine bei den Bezirksforen grundsätzlich nicht mehr zu unterstützen.
Geschlechtertrennung wird insofern in vielen muslimischen Gemeinden praktiziert, als dass Frauen und Männer in getrennten Bereichen beten. Hält man also die Mittelvergabe an Moschee-Vereine aufgrund dessen grundsätzlich für kritisch? Roth sagt hierzu: „Es geht hier nicht um Geschlechtertrennung. Hier geht es eher - ganz im Sinne des deutsch-syrischen Politologen Bassam Tibi - um einen ,Wertekonsens als Hausordnung‘.“ Der Bezirksverordnete meint: „Wenn jegliches Unbehagen an den patriarchalen Auswüchsen einer Kultur als Rassismus bezeichnet wird und der gesunde Menschenverstand schon als rechts gilt, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Gesellschaft nach rechts abdriftet.“
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