Gelsenkirchen. „Keine Fahrradstadt“: Trotz einzelner Fortschritte bleibt Radfahren in dieser Stadt eine Herausforderung, die teils lebensgefährlich ist.

„Gelsenkirchen ist sehr Auto-dominiert, da hat sich wenig geändert“ – stellt die Gelsenkirchenerin Maja Tölke nüchtern fest. Tölke muss es wissen, sie ist die Vorsitzende der hiesigen Abteilung des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Sie nutzt ihr Fahrrad regelmäßig, natürlich, und kennt sich aus, vor allem im Süden der Stadt. Hier ist besonders eine Kreuzung ihres Erachtens nach ein absoluter Gefahrenpunkt: dort, wo Florastraße und Hohenzollernstraße aufeinander treffen. Diese Kreuzung, sie zeigt beispielhaft, wie es um das Fahrradklima in Gelsenkirchen bestellt ist.

Für Radfahrer besteht Lebensgefahr an dieser Gelsenkirchener Kreuzung

„Gelsenkirchen ist keine Fahrradstadt“, findet auch Ulrich Krauß, zweiter Vorsitzender des ADFC. Mit den Jahren hätten sie beobachtet, dass es zwar durchaus einige Maßnahmen gegeben habe, dabei aber habe es sich immer wieder nur um Einzelmaßnahmen gehandelt. Das „große Ganze im Blick“, das vermisst Ulrich Krauß, wie er sagt. Ein Beispiel dafür: Es fehle weiterhin an einer „guten Radwegverbindung zwischen den Stadtteilen“ – gut auch im Sinne von: ausgebaut, ohne größere Gefahrenstellen, durchgehend von einem Punkt zum anderen, so Krauß.

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„Gelsenkirchen muss nicht alles neu erfinden“, sagt Maja Tölke. In NRW, in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern (immer wieder fiel im Gespräch mit der WAZ das Beispiel der dänischen Hauptstadt Kopenhagen) gebe es viele gute Beispiele für den Ausbau und den Unterhalt von Radinfrastruktur. „In Gelsenkirchen ist nicht alles schlecht“, räumt ADFC-Mitglied Wolfram Schneider aber gleichsam ein. Trotzdem wünschen sich die drei Radfahrer Tölke, Krauß und Schneider „mehr Engagement, mehr Mut, einen Blick über den eigenen Tellerrand hinaus.“ Der Eindruck der vielfahrenden Radfahrer: Das Umsetzen von Maßnahmen, das laufe in Gelsenkirchen mitunter eben schlechter als in anderen Städten.

Zurück zur Kreuzung Florastraße/Hohenzollernstraße: Hier gibt es sogenannte Aufstellflächen, wo sich die Radfahrer vor der Ampel sammeln können. „Dort kann ich nicht nach links auf die Hohenzollernstraße abbiegen, ohne mich in Lebensgefahr zu bringen“, sagt Maja Tölke. Das habe sie schon oft erlebt: Dass sie plötzlich mitten auf der Kreuzung steht, mitten zwischen den Autos und ohne Möglichkeit, die Kreuzung schnell und ohne Gefahr hinter sich zu lassen.

Günter Jahn, Maja Tölke, Wolfram Schneider und Ulrich Krauß vom Gelsenkirchener  ADFC: „Gelsenkirchen muss nicht alles neu erfinden.“
Günter Jahn, Maja Tölke, Wolfram Schneider und Ulrich Krauß vom Gelsenkirchener ADFC: „Gelsenkirchen muss nicht alles neu erfinden.“ © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

„Wir sind die Eichhörnchen, die sich mühsam ernähren“, nutzt Maja Tölke wie zum Vergleich das geflügelte Wort. Die drei ADFC-Mitglieder wünschen sich, dass alle Menschen aufs Fahrrad steigen können, das Rad als echte Alternative zum Auto gesehen wird und eben die Bedingungen stimmen.

Dazu passt auch: Der teils verheerende Zustand von Gelsenkirchens Straßen, der gemeinhin gerne im Winter – aufgrund der Witterungsbedingungen – ganz offensichtlich wird. Bereits im Februar dieses Jahres hatte die WAZ schon einmal mit dem ADFC über die Situation für Radfahrer gesprochen, damals sagte Maja Tölke: „Viele Straßen in Gelsenkirchen sind in schlechtem Zustand. Davon sind auch alle Radfahrenden betroffen.“

Schlaglöcher und fehlender Sicherheitsabstand: „Problem sind nicht die tatsächlichen Unfälle“

Die Schwierigkeit: Weil es viel zu selten es eine eigene Fahrradinfrastruktur gebe, müssten die Radfahrer häufig auf die Straße ausweichen. „Die Schlaglöcher sind eine Gefahr, weil Stürze drohen. Und viele Radfahrende sind tatsächlich schon mal deshalb gestürzt“, berichtete Tölke. Ein weiterer Punkt, den die ADFC-Vorsitzende angeführt hatte: der fehlende Sicherheitsabstand von 1,5 Metern, wenn Autofahrer überholen. Er ist seit 2020 in der Straßenverkehrsordnung vorgeschrieben, kann bei Nichteinhalten sogar ein Bußgeld (30 Euro) nach sich ziehen.

Dass eben dieser Sicherheitsabstand selten eingehalten werde, ist Ulrich Krauß‘ Beobachtung. Maja Tölke hat diese positive Erfahrung gemacht: „Es fühlt sich extrem gut an“, wenn ein Autofahrer auch mal langsamer hinter ihr herfahre, nicht um jeden Preis drängelt, um vorbeizukommen, „das macht mir keinen Stress.“ Wolfram Schneider fasst es allgemein zusammen: „Das Problem beim Radfahren ist die Gefährdung, nicht die tatsächlichen Unfälle.“

Mit Blick nach vorn verweisen Tölke, Krauß und Schneider auch auf das Zukunftsprogramm Radverkehr, hier ruhen ihre Hoffnungen. Ende 2021 an den Start gegangen, will das Programm 44 Projekte bündeln, die bis 2026 das Leben von Radfahrern leichter machen sollten. Einige Maßnahmen sind bereits umgesetzt, so etwa Gelsenkirchens erste und einzige Fahrradzone einzurichten. Wie zufrieden die Gelsenkirchener Radfahrer in ihrer Heimatstadt wirklich sind, wird der ADFC-Fahrradklima-Test zeigen. Die Befragung zur Fahrradfreundlichkeit läuft noch bis zum Ende November – im Frühjahr 2025 sollen dann konkrete Ergebnisse vorliegen. Beim letzten Fahrradklima-Test – er findet alle zwei Jahre statt – hatte Gelsenkirchen erneut eine schlechte Note bekommen: mit der Gesamtnote 4,3 landete die Emscherstadt unter den letzten fünf Städten ihrer Größe (Platz 22 von 26).