Gelsenkirchen/Berlin. Ex-Justizminister Buschmann findet klare Worte für den Bruch der Ampelkoalition. Warum der Gelsenkirchener vor brutalen Verteilungskämpfen warnt.
Im politischen Berlin geht es drunter und drüber. Mittendrin sind drei Gelsenkirchener - und einer ganz besonders: Marco Buschmann. Der FDP-Politiker war bis Donnerstagmorgen der einzige Gelsenkirchener im Amt eines Bundesministers. Doch das ist nun Geschichte, ebenso wie das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP.
Nach dem Ende der Ampel-Koalition hat Buschmann Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) offiziell um seine Entlassung gebeten. In einer Erklärung, die der FDP-Politiker am Donnerstag veröffentlichte, schreibt er, dass „die FDP grundlegende Vorschläge gemacht hat, um Deutschland in eine neue Ära von Wachstum, Wohlstand und Innovation zu führen. Diese wurden in der Koalition nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert. Der Ernst der Lage wurde nicht erkannt. Eine wirksame Wirtschaftswende war mit SPD und Grünen nicht umzusetzen. Dabei gilt jetzt mehr denn je: Es geht um unser Land.“
Marco Buschmann (FDP): „Uns droht eine Zeit der Wölfe“
In einer ausführlichen persönlichen Erklärung zeichnet der Gelsenkirchener darüber hinaus ein düsteres Bild der Gesellschaft. Buschmann spricht davon, dass „uns eine Zeit der Wölfe droht, in der zunehmend wieder das Hobbessche Wort vom ‚homo homini lupus‘ gilt“ („der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“, Anm. d. Rdk). Hintergrund ist für Buschmann die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft, die Verrohung der Debattenkultur, hier, aber auch etwa in den USA.
„Nur wer Wohlstand aufbauen und erhalten kann, kann sich auch die Wirkmittel leisten, die zur Verteidigung unseres liberalen Lebensmodells gegen Angriffe von außen nötig sind. Die derzeitige Stagnation unserer Wirtschaft beschleunigt dagegen die Zentrifugalkräfte der Gesellschaft. Sie läuft Gefahr, auf den Pfad einer Nullsummen- oder gar Schrumpf-Logik abzugleiten. Hier drohen brutale Verteilungskämpfe, weil man nur noch etwas gewinnen kann, indem man anderen etwas wegnimmt“, resümiert der Gelsenkirchener.
Trotzdem oder gerade deshalb habe die FDP dem Kanzler eine Kompromisslösung bis zu einer Neuwahl angeboten, unterstreicht Buschmann. „Warum der Bundeskanzler den geordneten Weg zu Neuwahlen ausgeschlagen hat, um sodann selbst die Koalition aufzukündigen und in völlig unklaren Verhältnissen Neuwahlen anzustreben, erschließt sich mir nicht“, so der Ex-Minister, der zugleich betont, dass ihm die Aufgabe als Bundesminister der Justiz viel Freude bereitet habe. „Sie erwuchs aus der ehrenvollen Aufgabe, mich meinen Leitprinzipen Recht und Freiheit mit ganzer Kraft widmen zu können“, so Buschmann.
Irene Mihalic (Grüne): „Christian Lindner hat mit seinem Kahlschlag-Papier weiter Öl ins Feuer gegossen“
Einen gänzlich anderen Blick auf die schwindelerregenden Entwicklungen in der Ampelkoalition hat Irene Mihalic. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen erklärte gegenüber unserer Redaktion: „Statt Verantwortung zu übernehmen, hat die FDP provoziert und blockiert, wo sie nur konnte. Immer wieder hat sie zentrale sozial-, klima- und wirtschaftspolitische Vorhaben grundlos ausgebremst. Zuletzt hat Christian Lindner mit seinem Kahlschlag-Papier weiter Öl ins Feuer gegossen, wahrscheinlich um ein Ende der Koalition zu provozieren. So kann man nicht regieren. Streit um des Streits willen ist mehr als verantwortungslos“, so Irene Mihalic.
„Wir Grüne haben immer wieder und bis zuletzt um den Erhalt der Koalition gekämpft, oft bis an die Schmerzgrenze. Denn wir konnten in den letzten drei Jahren zwar viel erreichen, aber wir müssen noch mehr für den Klimaschutz, den sozialen Zusammenhalt, die wirtschaftliche Entwicklung und unsere Sicherheit tun, damit es den Menschen in unserem Land gut geht“, blickt Mihalic auf drei vergleichsweise qualvolle Regierungsjahre für alle drei beteiligten Parteien zurück.
Markus Töns (SPD): „Niemand aus den Reihen der FDP hat dem Einhalt geboten“
Dass die Verhältnisse zwischen den (ehemaligen) Koalitionspartnern nun endgültig zerrüttet sind, zeigt auch das Statement von Gelsenkirchens direkt gewähltem Bundestagsabgeordneten Markus Töns. Ähnlich wie Bundeskanzler Olaf Scholz, der in seiner ersten Rede nach dem Koalitionsbruch mit Christian Lindner abrechnete, macht auch Töns erstmals öffentlich seinen Gelsenkirchener Kollegen Marco Buschmann schwere Vorwürfe: „Christian Lindners Verantwortungslosigkeit ist der Grund für das Scheitern der Ampel-Regierung. Mit seinem egoistischen Verhalten hat er die Arbeit der Regierung regelmäßig gefährdet und ihr Ansehen auch international massiv beschädigt. Niemand aus den Reihen der FDP hat dem Einhalt geboten. Auch die anderen liberalen Minister:innen wie Marco Buschmann haben es vorgezogen, an ihren Eigeninteressen festzuhalten, statt kollegial Kompromisse zu finden“, schreibt Töns unserer Redaktion. Mit dieser „Blockade-FDP“ sei es nicht mehr möglich gewesen, weiterzuregieren.
„Das Projekt einer Fortschrittskoalition nach sechzehn Jahren Stillstand durch die Merkel-Regierung ist gescheitert. Die Idee einer neuen progressiven Politik bei weitem nicht“, meint Töns.
Was vorgezogene Neuwahlen für Gelsenkirchen bedeuten
Vorgezogene Neuwahlen im Bund bedeuteten zugleich auch, dass die Kommunalwahl im kommenden Jahr nun definitiv nicht mehr zeitnah mit der Bundestagswahl stattfinden wird. Das könnte auch für den Ausgang der Oberbürgermeisterwahl in Gelsenkirchen von entscheidender Bedeutung sein. Fest steht bisher, dass CDU-Chef Sascha Kurth sowie SPD-Vorsitzender Markus Töns für ein Mandat im Bundestag ins Rennen gehen werden. Und auch Marco Buschmann erklärte am Donnerstagnachmittag, dass er sich für die anstehenden Neuwahlen um ein Mandat bewerben will. Laura Rosen wird für die CDU als Oberbürgermeisterkandidatin antreten, als parteiloser Kandidat hat außerdem bisher der Gelsenkirchener Marius Rupieper seine Bereitschaft für eine Kandidatur erklärt. .
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