Gelsenkirchen. Barbara Blenkers von Arzt Mobil Gelsenkirchen behandelt Bedürftige und Suchtkranke. Meist begegnen ihr Schmerz und Elend – so geht sie damit um.

Barbara Blenkers brauchte drei Anläufe, um sich auf den Job zu bewerben, über den sie heute sagt: „Er erfüllt mich sehr.“ Sie habe sich gefragt: „Möchte ich das, will ich das, kann ich einen Umgang mit solchen Menschen aushalten?“ Dass sie es kann, zeigt sie seit nunmehr zwei Jahren. Denn seitdem ist Barbara Blenkers angestellte Ärztin bei dem Verein „Arzt Mobil Gelsenkirchen“, dem Verein, der sich mit einem multiprofessionellen Team um die kümmert, die am Rande der Gesellschaft leben: um wohnungslose und/oder suchtkranke Menschen.

Ärztin für Obdachlose: „Versuche alle Menschen würdevoll und auf Augenhöhe zu behandeln“

„Ich versuche, alle Menschen würdevoll und auf Augenhöhe zu behandeln“, sagt die 59-Jährige, die, bevor sie auf die Straße kam, in einer Praxis für Orthopädie tätig war. Wir treffen sie auf dem Parkplatz am Wilhelm-Sternemann-Haus in der Altstadt, immer wieder donnerstags macht Barbara Blenkers hier mit ihrem Arzt-Mobil Station. Sie ist heute alleine unterwegs, ihr Kollege und Krankenpfleger Rafet Alijevic hat frei.

Es ist Mittagszeit, im „Löffel“ gibt es eine warme Mahlzeit für die, die sonst selten etwas Richtiges zu essen bekommen. Ganz bewusst ist der Standort der fahrenden Arztpraxis gewählt: Barbara Blenkers trifft hier die Menschen an, die ihre Hilfe brauchen. Ganz wichtig ist dabei der Zeitpunkt: Blenkers muss sich vor der eigentlichen Essensausgabe eingerichtet, im besten Falle auch schon Patienten behandelt haben. „Denn danach sind unsere Klientinnen und Klienten meist sehr schnell wieder weg“, ist ihre Erfahrung.

Die Schlange vor dem Arzt-Mobil wird länger, die Bedürftigkeit nimmt zu

In der Regel startet die Ärztin ihren Arbeitstag gegen 10 Uhr an der Caubstraße. Dort, wo der Verein Arzt Mobil seinen Sitz hat, mit den Beratungs- und Büroräumen und der drogentherapeutischen Ambulanz, hinter der städtischen Notschlafstelle für Männer, den sie in der Szene nur den „Caub-Bunker“ nennen. Blenkers kontrolliert ihr Fahrzeug, bereitet vor, legt nach, was fehlt: Verbandsmaterial, Spritzen, Nadeln, es ist eine kleine Hausarzt-Praxis auf Rädern, die sie regelmäßig durch Gelsenkirchen steuert. Und in der sie nur die reine Akutbehandlung macht. Bei Bedarf werden die Patientinnen und Patienten in eine weiterführende fachärztliche oder stationäre Versorgung vermittelt.

Im Lauf der Woche ist diese sogenannte „aufsuchende medizinische Hilfe“ an vier festen Standorten jeweils in Buer, Horst und der Altstadt zu finden, das sei wichtig, sagt Blenkers – um den Menschen die Verlässlichkeit zu bieten, die sie sonst in ihrem Leben nicht mehr haben. Mittlerweile, das sagt die Ärztin auch, werde die Schlange vor dem Arzt-Mobil immer ein Stückchen länger. Als die Dattelnerin 2022 anfing, „war es noch nicht so.“ Die Bedürftigkeit, sie nimmt zu.

Hilfe für Obdachlose: „Schmerzen sind ein großes Thema“

Die Menschen, die Barbara Blenkers Hilfe in Anspruch nehmen, haben zahlreiche Beschwerden. Sie seien nach teils jahrelangem Alkohol- und Drogenkonsum deutlich vorgealtert und multi-morbide, haben also gleichzeitig mehrere Krankheiten. Häufig sind Organe oder Zähne massiv geschädigt, einige Klienten haben Abszesse und Thrombosen, andere wurden Opfer von Gewalt, doch es gibt es auch die, deren Füße so wund sind, dass ein Gehen kaum mehr möglich ist. „Schmerzen sind ein ganz großes Thema“, berichtet die 59-Jährige. Ebenfalls ein großes Thema: sogenannte Doppel-Diagnosen. Denn neben den akuten und chronischen Symptomen weisen viele drogenabhängige Menschen mittlerweile auch Depressionen und andere psychische Erkrankungen auf. Das macht es teilweise noch schwieriger, ein passendes Hilfsangebot für die Betroffenen zu finden.

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Als rollende Apotheke will Barbara Blenkers das Arzt-Mobil übrigens nicht verstanden wissen. Gibt sie Schmerzmittel aus, dann immer nur eine oder zwei Tabletten. Zu groß ist die Gefahr – und das hat Barbara Blenkers durchaus schon erlebt – dass ihre Patientinnen und Patienten gleich alle Tabletten einer Packung auf einmal nehmen.

Wie geht das, regelmäßig so viel Elend und so viel Schicksal zu sehen, in dieser anderen Welt? Dass ihre Arbeit sie so erfüllt, führt Barbara Blenkers auch auf ihr berufliches Umfeld zurück: „Ich fühle mich aufgehoben im Team, mir hilft der Austausch mit den Kollegen.“ Sie sagt aber auch: „Man muss das aushalten, nicht helfen zu können.“ Und: „Man wird ein bisschen demütig“, ist eine ihrer Erfahrungen, die sie machte, als sie nach einem harten Arbeitstag an einem kalten Wintertag die Tür ihrer Wohnung hinter sich schließen, sich wieder aufwärmen konnte. Ihre wahrscheinlich wichtigste Haltung: „Mitgefühl zu haben, aber nicht mitzuleiden.“