Gelsenkirchen. Der Linke Sören Pellmann wundert sich, dass so viele Abgeordnete aus Gelsenkirchen kommen. Für die Region komme zu wenig dabei herum.

Etwas überrascht war Sören Pellmann, der Vorsitzende der Linken-Gruppe im Bundestag, schon, als er am Rande seines Besuches in Gelsenkirchen erfuhr, dass die Emscherstadt mit gleich vier Bundestagsabgeordneten, davon sogar dreien in der Regierungskoalition, vertreten ist. Dass nicht nur der direkt gewählte SPD-Mann Markus Töns, sondern auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, ihren Wahlkreis in Gelsenkirchen haben, sei ihm so gar nicht bewusst gewesen. „Die Ampel weiß also, was die Problemlagen hier sind und wie die Leute hier ticken“, stellte Pellmann fest. „Dass man dann sehenden Auges darauf nicht reagiert, ist mindestens fahrlässig.“

Kritik von Linken-MdB: Mangelnde Lobby für Gelsenkirchen im Bund?

Pellmann ist Mitte September unter dem Motto „Der springende Punkt: Unser Land muss sozial werden“ auf Tour in NRW. Seine nach der Wagenknecht-Abspaltung bedrohte Partei will im bevölkerungsreichsten Bundesland für einige ihrer aktuellen Kernforderungen werben – etwa ein kostenloses Mittagessen in allen Schulen oder den Verzicht auf weitere Krankenhausschließungen.

Videos und Bilder aus Gelsenkirchen finden Sie auch auf unserem Instagram-Kanal GEtaggt. Oder abonnieren Sie uns kostenlos auf Whatsapp und besuchen Sie die WAZ Gelsenkirchen auf Facebook.

Auf die offenbar mangelnde Lobby für Gelsenkirchen kommt er zu sprechen, als wir den jüngsten Brandbrief des Gelsenkirchener SPD-Abgeordneten Markus Töns zum Interview-Thema machen. Dieser hatte sich vor einigen Wochen „verwundert und enttäuscht“ darüber gezeigt, dass seine eigene Regierung bei Vergaben und Förderprogrammen „nur in den Osten“ blicke. „Während die Städte in Ostdeutschland die Ränder ihrer Radwege inzwischen vergolden, müssen sich die Revierstädte strecken, um überhaupt Radwege bauen zu können“, meinte Töns unter anderem.

Was sagt jemand wie Pellmann dazu, der nicht nur aus dem Osten kommt, sondern sogar als einer von drei Linken-Abgeordneten ein Direktmandat in Leipzig geholt hat?

Chef der Linken im Bundestag behauptet: Ampel hat für Gelsenkirchen wenig erreicht

Sich so polemisch zu äußern wie Töns, das sei in der Politik durchaus legitim. „Aber wenn man an den Hebeln der Macht und Entscheidungskanälen sitzt, dann kann, dann muss man anders für seine Region agieren und wirken. Das habe ich aber in dieser Regierung und auch zuvor unter anderen Mehrheitsverhältnissen wie bei der Großen Koalition, in der Bundespolitik nicht gesehen“, kritisierte Pellmann. Es sei schon enttäuschend, dass trotz der starken Repräsentanz des Wahlkreises in der Ampel „so wenig bis gar nichts“ für Gelsenkirchen und die Region herumgekommen sei.

Sören Pellmann, Vorsitzender der Bundestags-Linken in Gelsenkirchen, mit Robert Sadowsky von den Gelsenkirchener Linken.
Sören Pellmann, Vorsitzender der Bundestags-Linken in Gelsenkirchen, mit Robert Sadowsky von den Gelsenkirchener Linken. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Naturgemäß sehen das die hiesigen Ampel-Politiker anders. Buschmann preist im Wahlkreis gern sein Gesetz zur Missbrauchsbekämpfung bei der Ersteigerung von Schrottimmobilien an. Und wenn darüber gesprochen wird, welche Erfolge für Gelsenkirchen in den vergangenen Jahren erzielt wurden, dann verweist die SPD gerne auf die vom Bund unterstütze „Zukunftspartnerschaft Wohnen“ zur Beseitigung von Schrotthäusern sowie auf den „Gelsenkirchener Appell“. Letzterer sorgte der sozialdemokratischen Leseart nach für den entscheidenden Druck, um den sozialen Arbeitsmarkt zu etablieren und zu festigen. So können Stellen für Arbeitslose anfangs zu 100 Prozent vom deutschen Staat finanziert werden.

Auch interessant

Pellmann jedoch macht darauf aufmerksam, dass im nächsten Bundeshaushalt wieder bei genau diesem Instrumenten gekürzt werden soll. Die sogenannten 16i-Maßnahmen seien zwar in der Tat teuer und nur für einen überschaubaren Kreis an schwer zu vermittelnden Arbeitslosen relevant. Aber ihr Ziel würden die Maßnahmen oft erreichen. „Das Programm hätte weiterentwickelt werden müssen. Eine Kürzung dagegen ist das falsche Signal.“

Thyssenkrupp-Krise: Auch in Gelsenkirchen „herrscht Bedrohungslage“

Gekommen war Pellmann eigentlich vor allem nach Gelsenkirchen, um über Industriepolitik zu sprechen. Während sich Spitzenpolitik, Wirtschaft und Arbeitnehmervertreter in Duisburg zum Stahl-Gipfel getroffen haben, um die Krise von Thyssenkrupp zu beraten, hat sich Pellmann jedoch mit dem Betriebsrat von Thyssenkrupp Electrical Steel in Schalke verabredet. Warum statt Duisburg hier in Schalke, wo man als weltmarktführender Produzent des kornorientierte Elektrobandes, einem wichtigen Produkt für die Energiewende, noch guten Gewinn macht? „Weil hier in Gelsenkirchen auch eine Bedrohungslage herrscht“, sagte Pellmann. Wenn es bei Thyssenkrupp Steel in Duisburg zu Einschränkungen kommt, sei das schließlich auch gefährlich für die Tochter an der Emscher. „Und man ist gut beraten, die Warnsignale frühzeit ernstzunehmen.“