Gelsenkirchen. Jede Nacht ist anders, aber immer sind echte Notfälle in der Minderheit. Wir haben die Notfallmediziner in Gelsenkirchen Ückendorf begleitet.

Es ist 19 Uhr. In der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Marienhospitals in Ückendorf ist es relativ ruhig. Nur sechs Menschen sitzen im Wartebereich. Sie alle machen auf den ersten Blick keinen Besorgnis erregenden Eindruck. Hinter dem Anmeldebereich mit dem großen, geöffneten Glasfenster wird allerdings bereits ein echter Notfall versorgt. Ein etwa 60-Jähriger wurde mit dringendem Verdacht auf Herzinfarkt eingeliefert. Das EKG erhärtet den Verdacht, nach 20 Minuten liegt auch das Ergebnis der Blutuntersuchung vor. Auch dieses weist auf einen erlittenen Herzinfarkt hin.

Binnen 30 Minuten von der Anlieferung bis zum Herzkatheterlabor

Schon während des Diagnose- und Aufklärungsgesprächs wird das Herzkatheterlabor vorbereitet. Der Kardiologe in der Notaufnahme ruft den Kollegen von der Klinik für Kardiologie im Haus, Oberarzt Constantin Witt, dazu. Um 19.35 Uhr liegt der Patient im Herzkatheterlabor, um 20.10 Uhr ist der Katheter eingeführt. Constantin Witt arbeitet bereits daran, das verstopfte Herzkranzgefäß durchlässig zu bekommen. Zwei Stents werden eingesetzt, um das Gefäß offenzuhalten. Kurz nach 21 Uhr kann der Patient bereits auf die Station verlegt werden. Vorher hat er noch Blutverdünner bekommen, um den Durchfluss zu erleichtern und eventuell noch vorhandene Blockaden aufzulösen.

Notaufnahme im Marienhospital in Gelsenkirchen am 12.08.2024
Klinik-Notaufnahme und die Notfallpraxis, die eigentlich als Anlaufstelle für weniger dramatische Notfälle gedacht ist, an die sich Patienten nach Praxisschluss wenden können, werden von Patienten oft verwechselt. Die Notfallpraxis ist lediglich bis 21 Uhr geöffnet. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

An der Notaufnahme hat sich unterdessen eine Patientin gemeldet, die berichtet, sie sei am Vortag auf einer Treppe gestürzt und befürchte nun, sich dabei auch Brüche und/oder innere Verletzungen zugezogen zu haben. Beim Arzt war sie damit bislang nicht. Warum sie erst am nächsten Tag und auch dann nicht zu Praxiszeiten zu einem niedergelassenen Mediziner gegangen ist, wird erst gar nicht gefragt. „Wir sind hier für einige Ückendorfer einfach die Hausarztpraxis“, kommentiert eine Mitarbeiterin die Nachfrage der Redakteurin.

„Für einige Ückendorfer sind wir einfach die Hausarztpraxis“

Der Leiter der ZNA, Sascha Ostrowski, schaltet sich ein. „Es gibt aber auch viele Patienten, die das Prinzip Hausarzt gar nicht kennen. In Syrien etwa gibt es nur niedergelassene Fachärzte, keine Hausärzte. Und es gibt auch keine Krankenversicherung. Die Behandlungen in den staatlichen Krankenhäusern ist umsonst und es ist völlig üblich, dass die Menschen bei Beschwerden direkt in die Klinik gehen.“ Die gestürzte Dame betrifft das allerdings mit Sicherheit nicht. Aber auch in solchen Fällen gelte: „Wir sehen uns jeden Patienten erst einmal an, prüfen, ob es einen Handlungsbedarf gibt. Wir weisen niemanden ab“, erklärt Ostrowski.

Notaufnahme im Marienhospital in Gelsenkirchen am 12.08.2024
Fach-Krankenpfleger Muhanad Khalas hat eine umfangreiche Zusatzqulifikatoin für die Ersteinschätzung von Patienten in der Notaufnahme absolviert. Dazu gehört deutlich mehr als Fiebermessen. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

Allerdings kann es vorkommen, dass Patienten bei der Triage, also der Auswahl nach Dringlichkeit der Beschwerden, in die Notfallambulanz weitergeleitet werden, sofern diese noch geöffnet ist. Deren Räumlichkeiten liegen mittlerweile direkt im hinteren Bereich der Notaufnahme. Aus gutem Grund, weil früher stets auch alle Patienten mit leichten Beschwerden direkt in die Notaufnahme kamen, von der aus sie dann weitergeleitet werden. Die Notfallambulanz ist die Anlaufstelle für Patienten mit Beschwerden, die eigentlich einen ambulanten Behandlungsbedarf haben, der aber erst nach Ende der normalen Praxiszeiten entstanden ist und keinen Aufschub auf den nächsten Tag erlaubt. Die Notfallambulanz – erreichbar über Telefon 116117 – ist allerdings nur bis 21 Uhr geöffnet. Auch hier gibt es mangels Personal Probleme, die Ambulanz abends so lange zu besetzen, wie früher üblich.

Patienten belagern die Notaufnahme des Marienhospitals in Gelsenkirchen

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    Die Notaufnahme hingegen ist 24 Stunden am Tag, sieben Tagen die Woche besetzt, und das sehr personalintensiv. Zwei Chirurgen, zwei Intensivmediziner, ein Urologe, ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt, bei Bedarf werden Anästhesie und Gynäkologie aus den Stationen heraus bedient. Hinzu kommen auch nachts mindestens zwei Pflegekräfte, das ärztliche Personal ist je 24 Stunden vor Ort. Nach Krankenhausplan soll die HNO-Abteilung aus dem Stadtsüden abwandern. Für die Notaufnahme könnte das weniger Patienten bedeuten: Zahlreiche Opfer von körperlichen Auseinandersetzungen landen hier mit gebrochener Nase oder von Schlägen geschundenem Gehörgang.

    Notaufnahme im Marienhospital in Gelsenkirchen am 12.08.2024
    Im Herzkatheterlabor liegt ebenso wie in der Notaufnahme im Marienhospital alles für einen Notfall parat. Binnen weniger als einer Stunde kann der Herzkatheter gelegt werden. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

    In dieser Nacht herrscht relativ wenig Betrieb. Was die Nacht bringt, weiß man hier nie. „Tagsüber kommen viele mit Einweisungen vom niedergelassenen Arzt. Nachts beginnt der Betrieb je nach Jahreszeit früher (im Winter) beziehungsweise im Sommer später, wenn es dunkel ist“ erklärt Ostrowski. Heute ist noch ein Vater unter den abendlichen Patienten; seine Patellasehne ist gerissen. Er hatte an dem heißen Tag mit seinem Sohn am Planschbecken gespielt und war unglücklich ausgerutscht: ein echter Notfall. Ebenso wie der Patient mit den Nierenkoliken, der erst gegen Mitternacht kommt und die ältere Dame mit der Lungenentzündung.

    „Aber dramatische Notfälle machen nur etwa fünf Prozent unserer Patienten hier aus“, erklärt Sascha Ostrowski. In dieser Nachtschicht wird es noch einen weiteren geben. Morgens um 5.45 Uhr kommt ein weiterer Patient mit einem Herzinfarkt. Zwischenzeitlich gab es noch einige Fälle mit akutem Blutdruckabfall, für das Team Teil des Alltagsgeschäfts. Todesfälle gebe es in der ZNA eher selten, das Team könne damit jedoch im Zweifel auch umgehen. „Aber wenn es um ein Kind geht, ist das anders. Daran kann man sich nicht gewöhnen“, räumt der Leiter ein. Dann gebe es im Nachgang auch psychologische Unterstützung von den unternehmenseigenen Experten in Erle.

    Notaufnahme im Marienhospital in Gelsenkirchen am 12.08.2024
    Die Notaufnahme ist der Wunsch-Arbeitsort von Sascha Ostrowski. An der strukturierten Optimierung der Abteilung arbeitet er selbst tatkräftig mit; Schulungen und ein Handbuch hat er bereits entwickelt. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

    Konzepte für eine sichere, strukturierte Arbeit in der Notaufnahme erarbeitet

    Ostrowski liegt die Notaufnahme besonders am Herzen. Eigentlich ist er Facharzt für Chirurgie, hat aber früh seine Leidenschaft für diesen Teil der Medizin entdeckt. „Ich mag die detektivische Arbeit beim Finden der richtigen Diagnose. Und ich wünsche mir, dass das Berufsbild des Facharztes für Notfallmedizin bei uns eingeführt wird.“ Für die Optimierung der Diagnostik ist er selbst schon aktiv geworden, hat mit anderen Experten aus der Republik Konzepte geschrieben, die durch klare Checklisten und feste, standardisierte Abläufe mehr Sicherheit geben. In den Aufnahmeräumen hängen großformatige Checklisten für verschiedenste Arten von Notfällen. Auf der Warteliste für seinen Schulungskurs für Notfallmediziner stehen 2000 Ärzte und Pflegekräfte.