Gelsenkirchen. Am Marienhospital Gelsenkirchen wurde jetzt erstmals ein neues Herzschrittmacher-Modell eingesetzt. Das sind die Vorteile.
Er ist unscheinbar, noch kleiner und leichter als eine AAA-Batterie, aber kann langfristig Leben retten: Gemeint ist ein neuer Typ Herzschrittmacher, den Privat-Dozent Dr. Axel Kloppe jetzt als erster Kardiologe in der Region einem Patienten eingesetzt hat. Das Gerät ist aber nicht nur unfassbar klein, sondern hat noch zwei weitere Besonderheiten und Vorteile.
Über die Leiste geht es in Herz – Weniger Infektionen
Ein wesentlicher Faktor: Er kommt ganz ohne Kabel aus. Eine große Operation, bei der die Kontaktdrähte des Herzschrittmachers im Oberkörper fixiert werden müssen, entfällt damit. Der 3,5 cm kurze Zylinder aus Titan, der ganze zwei Gramm leicht ist, kann zudem über einen Zugang in der Leiste platziert werden. Bei den herkömmlichen Herzschrittmachern werden die Kabel beziehungsweise Elektroden durch die Herzklappen zu den Herzkammern geführt und dort befestigt. Der Schrittmacher selbst wird dabei in einer Art Hauttasche eingesetzt, unterhalb des Schlüsselbeins.
Der kabellose, neue Typus wird direkt in eine Herzkammer geführt, per minimalinvasivem Eingriff in der Leiste. Dann wird er fixiert und kann laut Hersteller „AVEIR“ bis zu 17 Jahre seinen Dienst tun. Der AVEIR VR ist zwar nicht der erste kabellose Schrittmacher, der in Deutschland zum Einsatz kommt – auch Dr. Kloppe hat diese in Ückendorf bereits eingesetzt – aber es ist der modernste. Dennoch ist er nicht für alle Fälle geeignet, in denen das Herz Unterstützung via Herzschrittmacher benötigt.
Nicht für alle Herzrhythmusstörungen geeignet
Das liegt zum einen an der Art der vorliegenden Herzrhythmusstörung. Es gibt Störungen, bei denen bedarf es einer ständigen Unterstützung in beiden Herzkammern. Auch hierfür gibt es zwar theoretisch bereits entsprechende, kabellose Geräte, bei denen je ein Zylinder (zwei verschiedene Typen) in zwei Herzkammern platziert wird. Diese befinden sich jedoch noch in einer sehr frühen Phase und sind bislang in der EU noch nicht zugelassen.
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„Es gibt immer häufiger Komplikationen wegen gebrochener Kabel oder Infektionen bei der alten Schrittmacher-Generation. Zum Beispiel bei Dialyse-Patienten, die regelmäßig an externe Systeme angeschlossen sind, kann es schnell dazu kommen. An den Silikonteilen sind Bakterien einfach nicht entfernbar“, erklärt Kloppe. „Und wenn die alten Geräte samt Kabeln aufwendig entfernt worden sind, ist es schwierig, neue mit Kabeln und den damit verbundenen Anschlüssen einzusetzen“, erklärt Kloppe.
MRT-Untersuchungen sind kein Problem mehr
Am Marienhospital werden laut Kloppe solch komplexe Entfernungen bei Patienten aus der ganzen Region durchgeführt. In diesen Fällen erleichtere die kabellose Variante die neue Versorgung mit einem Schrittmacher sehr.
Magnetresonanztherapien (MRT) sind für den AVEIR VR kein Problem, das gilt jedoch mittlerweile für fast alle modernen Schrittmacher-Typen. Wie bei neuen Technologien verbreitet, liegt der Preis der kabellosen Variante allerdings deutlich höher, und zwar um das 15-fache der mit Sonden arbeitenden Typen.
Deutliche längere, aber nicht endlose Batteriehaltbarkeit
Alte wie neue Geräte machen sich bemerkbar, wenn die Batterien sich dem Ende ihrer Kraft zuneigen. Überprüft wird ihre Funktion ohnehin regelmäßig in wachsenden Abständen. Ein weiterer Unterschied der neuen zur alten Generation ist allerdings die deutlich längere Laufzeit von laut Hersteller bis zu 17 Jahren gegenüber je nach Unterstützungsbedarf fünf bis zehn Jahren bislang. Dass es in absehbarer Zeit von außen ladbare Batterien, also Akkus, für Herzschrittmacher geben wird, die einen Austausch der Geräte überflüssig machen, glaubt der Herz-Experte Kloppe nicht.
Alte Geräte mit Elektroden entfernen
Am Gelsenkirchener Marienhospital werden in der kardiologischen Klinik nach eigenen Angaben Devices mit allen weltweit verfügbaren Geräten implantiert. Das umfasst Herzschrittmacher ebenso wie Defibrillatoren verschiedenster Art und Eventrecorder. Neben diesem Schwerpunkt gehören interventionelle (minimalinvasive) Untersuchungen und Eingriffe wie der Einsatz von Herzklappen, Stents, Mitra-Clips im Herzkatheterlabor und Elektrophysiologie – Diagnostik und Therapie von Herzrhythmusstörungen – zum Angebot.
Die Kardiologie zählt neben der Orthopädie zu den meist umkämpften Fachbereichen in der Stadt. Die (unterschiedlichen) Klinikreformen von Land und Bund drängen auf Spezialisierung der Einrichtungen statt Mehrfachangeboten in räumlicher Nähe. In Gelsenkirchen gibt es drei kardiologische Klinikangebote. Im Bergmannsheil Buer liegt ein Schwerpunkt der Kardiologie auf der konservativen Intensivmedizin inklusive Elektrophysiologie. Am Evangelischen Klinikum ist 2019 mit Teilen des ehemaligen Teams des Marienhospitals eine Kardiologie aufgebaut worden, die minimalinvasive Eingriffe und Elektrophysiologie anbietet.