Gelsenkirchen. Vor Gericht muss sich eine mutmaßliche IS-Terrorzelle verantworten. Zwei der Männer lebten in Gelsenkirchen. Das war der Plan B der Behörden.
Die Zerschlagung einer siebenköpfigen mutmaßlich islamistischen Terrorzelle in NRW, bei der auch zwei Männer in Gelsenkirchen festgenommen worden waren, hatte vor einem Jahr für Schlagzeilen gesorgt. Die Männer sollen den Überfall Russlands auf die Ukraine genutzt haben, um als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland zu gelangen. In den Fokus der deutschen Behörden sei die Gruppe nach Hinweisen ausländischer Geheimdienste geraten, offiziell bestätigt ist das bisher aber nicht. Seit Anfang August müssen sich die Männer deshalb in Düsseldorf vor dem Oberlandesgericht verantworten.
Bei den beiden in Gelsenkirchen festgenommenen tadschikischen Staatsangehörigen handelt es sich um Mukhammadshujo A. und Nuriddin K., die nach WAZ-Informationen zunächst für kurze Zeit in der Flüchtlingsunterkunft in der Emscher-Lippe-Halle in Erle untergebracht waren und anschließend Wohnungen in der Stadt beziehen konnten.
Besonders auffällig sind sie in Gelsenkirchen offenbar nicht gewesen, wie aus gut informierten Kreisen zu hören ist. Ob die Emscherstadt mit ihren vielen Großereignissen in der Veltins Arena für die Männer ein mögliches Anschlagsziel gewesen ist, kann keiner sagen. Denn obwohl die Männer laut Anklage mögliche Tatorte ausgekundschaftet haben sollen, um in Deutschland und andernorts in Westeuropa Attentate zu verüben, konkret wurden die Pläne nicht.
Auch interessant

Dennoch ging und geht nach Überzeugung der Ermittler von den Mitgliedern des IS-Ablegers „Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK)“ eine reelle Gefahr aus. Deshalb gingen die Beamten nach WAZ-Informationen zweigleisig vor: Sollte es zu einer Anklage und einem Prozess gegen die Verdächtigen nicht reichen, sollten sie zumindest das Land verlassen müssen. Die Abschiebung – zumindest der beiden in Gelsenkirchen festgenommenen Männer – sei schon vorbereitet gewesen. Dafür sei die Stadtverwaltung bzw. das Ausländeramt frühzeitig von den Sicherheitsbehörden einbezogen worden.
Immer wieder auf Informationen ausländischer Geheimdienste angewiesen
In Sicherheitskreisen ist man froh, dass die Behörden früh- und rechtzeitig informiert wurden und Ermittlungen in die Wege geleitet werden konnten, wie ein Mitarbeiter im Gespräch mit dieser Redaktion berichtet. Andererseits bleibe die Ernüchterung, dass Deutschland immer wieder auf geheimdienstliche Informationen aus dem Ausland angewiesen sei, weil die Befugnisse der hiesigen Behörden unzureichend seien. Ein Thema, das auch die amtierende Bundesregierung sowie vorherige immer wieder beschäftigt.

„Kriminelle und Terroristen machen nicht an Grenzen halt. Deshalb ist der Austausch von Informationen gang und gäbe. Der Gelsenkirchener Fall macht aber auch deutlich: Wir müssen unser Schutzschild stärken“, erklärt Bundesjustizminister und Gelsenkirchener Marco Buschmann (FDP) auf WAZ-Nachfrage. Doch gerade auch Buschmanns Partei wehrt sich gegen aus ihrer Sicht zu weitgehende Überwachungskompetenzen des Staates, etwa was eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung angeht. „Wir werden die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates stärken und gleichzeitig seine Prinzipien achten. Denn klar ist auch: Niemand möchte in einem Überwachungsstaat leben – sondern in einem Staat, der für Sicherheit und Freiheit sorgt“, so Buschmann.
Auch interessant
Dringenden Handlungsbedarf sieht aber auch der FDP-Politiker: „Unsere Ermittler brauchen das Handwerkszeug, um Terroristen konsequent zu verfolgen. Deshalb werbe ich für das Quick-Freeze-Instrument“, sagt Buschmann. Anders als bei der Vorratsdatenspeicherung, bei der Daten auf Vorrat und flächendeckend für eine bestimmte Zeit gespeichert werden, erfolgt beim Quick-Freeze-Verfahren die Datensicherung nur im Verdachtsfall und für einen konkreten Zeitraum.
Der Ansatz entstand als Reaktion auf die Diskussionen um die Vorratsdatenspeicherung, die in Deutschland und anderen europäischen Ländern rechtlich umstritten ist. Das Quick-Freeze-Verfahren soll einen Mittelweg bieten, um einerseits die Privatsphäre der Bürger zu schützen und andererseits den Strafverfolgungsbehörden bei konkreten Verdachtsmomenten schnellen Zugriff auf relevante Daten zu ermöglichen.
Der Vorschlag des Bundesjustizministeriums liegt auf dem Tisch, werde aber im Dauerzwist der Ampelregierung derzeit blockiert, solange die FDP im Gegenzug nicht ihrerseits den Koalitionspartnern „einen Wunsch erfüllt“, heißt es.