Gelsenkirchen. Die Marina Graf Bismarck gilt als Gelsenkirchener Vorzeige-Quartier. Aber aus heutiger Sicht fragt ein Forscher: „Wie konnte man das zulassen?“
Gehobenes Wohnen direkt am Wasser: Als stadtplanerisches Vorzeige-Beispiel gilt das Wohn- und Geschäftsquartier rund um die Marina von Stölting in Gelsenkirchen-Bismarck. Frank Eckardt, Professor für sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar, ist in der Nähe des heutigen Luxus-Viertels aufgewachsen und findet es dort ebenfalls „nett“, trinkt gerne mal einen Kaffee bei Zipper, wenn er zu Besuch in der Heimat ist. „Aber wenn man sich das Viertel unter den Gesichtspunkten der sozialen Integration und Nachhaltigkeit anschaut“, dämpft Eckardt ab, „dann schmeckt der Kaffee nicht mehr besonders gut.“
Stadtforscher: Was hat Gelsenkirchen von der Kaufkraft in Graf Bismarck?
Wo in Gelsenkirchen zukünftig attraktiver Wohnraum geschaffen werden kann, ist immer wieder ein prominentes Thema in der Lokalpolitik. Große Gestaltungsflächen wie am Buerschen Waldbogen oder eben in Graf Bismarck sucht man dafür in der Stadt mittlerweile vergeblich. Gutachter sehen längst vor allem im Rückbau, in der Umnutzung ehemaliger Betriebsstandorte oder im umgenutzten Bestand Potenziale für qualitativ hochwertige Wohnbebauung.
Verbunden ist mit solchen Projekten dann oft die Hoffnung, eine Klientel mit stärkerer Kaufkraft nach Gelsenkirchen zu locken. Eckardt zweifelt, dass diese Rechnung in Bismarck aufgegangen ist. Auf die Frage nach den „städtebaulichen Sünden“ in Gelsenkirchen nennt der Forscher das Hafenquartier als Beispiel.
Ein Irrglaube sei es, dass die dortigen Anwohner massenhaft in die Buersche Innenstadt, die Altstadt oder Gelsenkirchens Nebenzentren strömen würden, um dort ihr Geld auszugeben. Aber auch vor Ort schlage sich kaum nieder, dass die Eigentümer mehr Geld für den Konsum zur Verfügung haben. „Es gibt im Hafenquartier nicht viel mehr als zwei Restaurants, ein Café und eine Eisdiele – also wenig Angebote, die von einer höheren Kaufkraft profitieren könnten“, kritisiert Eckardt. Inwieweit die lokale Ökonomie von einem wohlhabenderen Wohnquartier wirklich profitieren könne, müsse stadtplanerisch mitgedacht werden.
Aber auch aus sozialen Aspekten findet Eckardt das Quartier nicht überzeugend. „Es existiert hier einfach keine soziale Durchmischung, im Gegenteil“, sagt der Professor. Die Anwohner seien dort unter sich. „Wir haben dort eine Insel mit Menschen, die sich solche Wohnanlagen leisten können.“ Alles andere als erstrebenswert sei das deswegen, weil es insbesondere für die Entwicklung von Kindern wichtig sei, mit Gleichaltrigen zu spielen, die andere Spiel- und Lebensgewohnheiten haben.
Hafenquartier Bismarck: Auch aus ökologischen Gesichtspunkten eine Sünde?
Hätte man also auch Sozialwohnungsbau am Hafen errichten müssen? Eckardt meint: „Auch das wäre nicht die Lösung.“ Grundsätzlich sei ein fester Sozialwohnungsanteil dann problematisch, wenn die direkte Umgebung eher an dem Lebensstil der oberen Einkommensschichten ausgerichtet sei. „Was sollten denn Menschen, die Bürgergeld bekommen oder wenig verdienen, an so einem Ort wie am Hafen Graf Bismarck machen?“ Es mache kein Sinn, bedürftige Menschen einfach dort anzusiedeln, wo es mittelschichtgeprägt sei und wenig kostenlose und günstige Freizeitangebote zu finden seien.
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Darüber hinaus sei das Viertel auch aus ökologischen Gesichtspunkten problematisch. „Obwohl wir bereits so viel graue Masse in der Stadt haben, wurde hier wieder enorm viel Rohstoff und Energie für Neubau verbraucht“, sagt der Thüringer Hochschullehrer. Aus der Wissenschaft hört man immer wieder die Warnung, sich bei den ambitionierten Wohnungsbauzielen in Deutschland mehr auf Bestandserhalt und Wiederverwertbarkeit von Baustoffen zu besinnen, statt klassischen Neubau anzustreben. Eckardt schlägt in die gleiche Kerbe. „Obwohl in Gelsenkirchen sehr viel leersteht, werden weiter neue Einfamilienhäuser in die Stadtteile hineingebaut. Aus heutiger Sicht ist absolut zu kritisieren, dass in Zeiten des Rohstoffmangels so viel neu gebaut wird, obwohl so viel rückzubauen wäre.“
Schrotthaus-Bestand und Neubau - das passt nicht zusammen, meint Forscher Eckardt
In Gelsenkirchen gebe es so viel „schöne Häuser mit tollen Fassaden“, die „vor sich hin gammeln“, aber auch für den gehobenen Mittelstand hätten genutzt werden können. Schrottimmobilien zuzulassen, aber gleichzeitig neu zubauen – das sei eine düstere Stadtentwicklung. Das Hafenquartier sei hierfür ein Negativ-Beispiel - „enorm groß, enorm luxuriös“, aber „entkoppelt vom Rest der Stadt“ und „nicht nachhaltig.“ Eckardt wundert sich aus heutiger Sicht: „Wie konnte man so etwas eigentlich zulassen?“
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