Gelsenkirchen. Kurz vor Ferienstart kam die Info für Gelsenkirchens Siebtklässler, die von Bueraner Gymnasien abgeschult werden. In Buer ist kein Platz für sie.
So schlimm war es noch nie: In Gelsenkirchen müssen nach den Sommerferien zwei komplette Extraklassen mit Schülerinnen und Schülern gebildet werden, die von ihren Gymnasien abgehen müssen. Und dabei sind die Sechstklässler, die nach der Erprobungsstufe die Schule verlassen müssen, noch gar nicht eingerechnet. Es handelt sich vielmehr ausschließlich um Siebtklässler.
Und das ist nicht die einzige bittere Pille, die die Kinder und Eltern schlucken müssen. Die beiden Extraklassen, die das Bildungsreferat in letzter Minute einrichten musste, sind beide an Realschulen im Stadtsüden angesiedelt, da im Stadtnorden an der einzigen Realschule, der Mühlenstraße, kein Platz mehr war. Erfahren haben Eltern und Schüler davon erst in der letzten Woche des Schuljahres. Eine komplette Zusatzklasse mit Siebtklässlern ist nun an der Mulvany-Realschule angesiedelt, die zweite an der Lessing-Realschule.
So viele Siebtklässler wie noch nie müssen an Realschulen wiederholen
Zu der späten Information der Betroffenen und der unbefriedigenden Gesamtsituation sei es gekommen, weil in diesem Jahr so viele Siebtklässler wie nie zuvor, vor allem an Realschulen, aber auch an Gymnasien, das Klassenziel nicht erreicht hätten. Und das sei offenbar für die Schulen erst sehr spät absehbar und an die Stadt kommuniziert gewesen, erklärt Bildungsdezernentin Anne Heselhaus. Alle Siebtklässler der drei Bueraner Gymnasien, die ihr Gymnasien verlassen nach Klasse sieben, müssen nun im Stadtsüden zur Schule gehen.
Vor allem bei der Mulvany-Realschule dürfte die Anreise für die in der Regel 13- bis 14-Jährigen Siebtklässler nicht ganz einfach sein mangels Anbindung über den öffentlichen Nahverkehr. Bei der Lessing-Realschule ist die Erreichbarkeit von Buer aus über die Straßenbahn 302 besser. Eine Alternative für die Betroffenen gibt es allerdings nicht. Alle Gelsenkirchener Schulen sind aktuell extrem voll, inklusive der Hauptschulen, erklärt Anne Heselhaus.
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„Unsere Schüler, die die Schule in Richtung Realschule verlassen, müssen alle zur Mulvany-Realschule“, bestätigt Markus Klein, Schulleiter am Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium in Buer auf Nachfrage. Die Information dazu sei sehr kurzfristig gekommen, die wie üblich zum Halbjahr an Stadt und Schulaufsicht kommunizierte Prognose zu Abgängern seiner Schule sei korrekt gewesen.
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Michael Scharnowski, Leiter des Leibniz-Gymnasiums, sieht die hohen Zahlen von Heranwachsenden, die die Klassenziele nicht erreichen und nach Klasse 6 (dem Ende der Erprobungsstufe) oder später die Schule wechseln müssen, zum Teil auch noch als Folge des Lockdowns. „Das war ein Skandal, was den Kindern mit den Schulschließungen angetan wurde. Dass sie keine sozialen Kontakte haben konnten, hat gravierende Folgen. Das wirkt weiter nach“, ist nicht nur er überzeugt. Bei den Abiturprüfungen an seiner Schule habe es zwar viele sehr gute Abschlüsse gegeben. Aber es seien auch ungewöhnlich viele Nachprüfungen notwendig gewesen und mehr junge Erwachsene als in anderen Jahren hätten diese nicht bestanden.
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Dass man in der Corona-Zeit so stark auf Distanzunterricht und Digitalisierung gesetzt habe, ohne darauf vorbereitet zu sein und ohne Handlungskonzept, sei falsch gewesen, klagt er. „Meiner Ansicht nach brauchen wir in Buer aber auch eine weitere Realschule, eine moderne Schule mit einem besonderen Profil“, so Scharnowski. Seine Hoffnung dabei: Dass Eltern von Kindern, die nicht wirklich für das Lernen am Gymnasium geeignet sind, sich für die Realschule entscheiden, statt ein Scheitern am Gymnasium zu riskieren.
Zahl der Schulformwechlser niedriger als im Januar prognostiziert
Cirsten Scharf, Leiterin des Max-Planck-Gymnasiums in Buer, nennt es „grundsätzlich sehr lobenswert, dass trotz der Überfüllung aller Schulen zwei Mehrklassen an Realschulen eingerichtet werden konnten.“ Für die Familien und die betroffenen Kinder aber sei die „Situation sehr unschön, denn erst am letzten Schultag vor den Ferien konnten wir den Familien mitteilen, an welche Schule ihr Kind wechseln kann. Hier gab es nur die Möglichkeit der Mulvany Realschule, ohne Berücksichtigung von Entfernungen und Fahrtzeiten“, was die Eltern und Kinder vor große Herausforderungen stelle. Die im Januar 2024 vom MPG prognostizierten Zahlen habe man zum Schuljahresende sogar mindern können dank umfangreicher individueller Förderangebote, betont Scharf. „Diese sind seit Corona noch viel wichtiger geworden als zuvor.“ Vor allem aber wünscht sie sich eine bessere Sensibilisierung der Eltern für alle Möglichkeiten des Schulsystems in NRW im Sinne ihrer Kinder unter Berücksichtigung der Grundschulempfehlungen, im Sinne eines erfolgreichen Schulbesuches aller Kinder.
Konkrete Zahlen zu Abschulungen nennt die Stadt erst im September im Fachausschuss
Wie viele Abschulungen - Schulformwechsler ist der offizielle Begriff - es insgesamt beim Übergang vom Schuljahr 2023/24 zum Schuljahr 2024/25 gab, ist aktuell vom Schulträger noch nicht zu erfahren. Erst in der nächsten Sitzung des Bildungsausschusses sollen diese Zahlen vorgestellt werden. Nach Informationen der WAZ allerdings sind die Zahlen der Jungen und Mädchen, die ihre Schule verlassen müssen, weil ihre Leistungen nicht für die jeweilige Schulform ausreichten, in diesem Jahr noch höher als in den letzten Jahren. Im vergangenen Jahr etwa waren es 152 Jugendliche „Schulformwechsler“ insgesamt, davon wechselten 94 vom Gymnasium zur Realschule, 58 von der Realschule zur Hauptschule. Im gleichen Schuljahr schafften nur vier Schüler den Wechsel in die Gegenrichtung, von der Haupt- zur Realschule, den das System eigentlich ausdrücklich vorhält.