Gelsenkirchen. Marc outete sich als transsexuell, wurde gemobbt, kam alleine nicht klar. Jetzt erzählt er seine Geschichte – und will auch anderen Mut machen.

Wie fühlt man sich, wenn man mit 14 Jahren erkennt, dass man im falschen Körper geboren wurde. Wenn man in der Schule gemobbt wird? Wenn man keine Unterstützung erfährt? „Verloren“, sagt Marc. Der heute 20-Jährige hat eine schwere Zeit durchlebt, geprägt von Drogen, Depressionen und einem Leben ohne festen Wohnsitz. Dabei wollte er immer nur etwas Normalität und Akzeptanz in seinem Leben. Jetzt spricht Marc über seine Geschichte und erzählt, wie ihm die Katholische Jugendsozialarbeit Gelsenkirchen (KJS) geholfen hat: „Ich bin auf dem richtigen Weg.“

Gemobbt, weil Marc transsexuell ist: „Lehrer haben nur zugeschaut“

Als Jugendlicher outete sich Marc in der Schule einer Nachbarstadt als transsexuell. Seine Mitschülerinnen und Mitschüler hätten mit Mobbing und Ausgrenzung reagiert. Besonders belastend empfand er, dass die Lehrer nicht eingegriffen hätten. „Sie haben einfach nur zugeschaut“, erinnert er sich. Als die Situation für ihn unerträglich wurde, blieb er dem Unterricht fern. „Dann habe ich erstmal lange nichts gemacht.“

Dann wechselte Marc die Schule und holte die neunte Klasse nach, doch weiter ging es zunächst nicht. „Ich habe immer mehr gekifft“, gesteht er. Schwere Depressionen und der Konsum von Cannabis führten schließlich dazu, dass er nicht mehr zum Unterricht ging, von der Schule flog und in eine betreute Wohngruppe kam. Weil er weiter zum Joint griff, konnte er aber auch dort nicht bleiben.

„Ein Entzug und eine Suchttherapie haben mir dann geholfen, wieder klarzukommen“, sagt der 20-Jährige. Doch seine Wohnsituation blieb problematisch. Ein Zusammenleben mit seiner Mutter führte zu ständigen Konflikten. „Sie hat mich dann irgendwann rausgeschmissen, nachdem ich volljährig war“, erzählt er. Er kam bei Freunden unter. „Aber ich hatte keine Perspektive.“ Dann traf er auf Karin Schäfer von der KJS.

Leiterin vom Gelsenkirchener „JustBEst“-Programm: „Es ist hart, wenn niemand an einen glaubt“

Karin Schäfer ist Projektleiterin von „JustBEst“ in Gelsenkirchen. Das Programm, das gemeinsam von der Stadt Gelsenkirchen und der KJS durchgeführt wird, unterstützt sogenannte „Care Leaver“, die aus der intensiven Begleitung durch das Jugendamt entlassen wurden. Ziel ist es, ihre Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und ihnen den Weg in ein selbstständiges Leben zu erleichtern. Junge Erwachsene, die von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind, sollen in stabile Wohnverhältnisse gebracht und sozialpädagogisch begleitet werden.

Karin Schäfer weiß, wie schwierig es für junge Menschen ist, die einen schweren Start im Leben hatten. „Es ist hart, wenn niemand an einen glaubt.“

Karin Schäfer, Projektleiterin von „JustBEst“, weiß, wie schwierig es für entkoppelte Jugendliche ist, wieder ins Leben zurückzufinden.
Karin Schäfer, Projektleiterin von „JustBEst“, weiß, wie schwierig es für entkoppelte Jugendliche ist, wieder ins Leben zurückzufinden. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Das Programm ist so konzipiert, dass die Jugendlichen zunächst zwei Wochen in einer Notschlafstelle untergebracht werden. In dieser Phase wird der sozialrechtliche Status geklärt, individuelle Beratung angeboten sowie ein geregelter Tagesablauf geschaffen. Im nächsten Schritt sollen die jungen Erwachsenen auf das eigenständige Wohnen vorbereitet werden, zum Beispiel durch ein Trainingswohnen. „Das wird individuell abgestimmt“, sagt die Projektleiterin und betont: „Wir lassen hier niemanden allein, erwarten aber im Gegenzug, dass sich alle an unsere Richtlinien halten.“ Das heißt: Die Teilnehmer dürfen keine Drogen nehmen, keinen Alkohol trinken und keine Waffen tragen. Auch auf Pünktlichkeit wird großen Wert gelegt.

Laut Karin Schäfer ist die Wohnungssuche besonders herausfordernd: „Der Wohnungsmarkt ist ohnehin schon sehr angespannt. Viele Vermieter wollen jungen Menschen keine Chance mehr geben, da sie schlechte Erfahrungen gemacht haben.“ Sie betont: „Wir lassen die Jugendlichen mit ihren Aufgaben nicht allein, auch wenn sie nicht mehr bei uns wohnen.“

„Marc brauchte nur einen Schubs in die richtige Richtung“

Marc wurde im Februar in die Notschlafstelle aufgenommen. Das war zunächst nicht leicht für ihn, denn auch hier bekam er transfeindliche Äußerungen seines Mitbewohners zu hören. „Außerdem zog mich die Trennung von meiner Freundin weiter runter.“

Weil er mehrmals zu spät gekommen sei, flog er aus der Wohngruppe. Er ging nicht zum Termin mit dem Jobcenter und bekam kein Geld mehr. „Das war der Moment, in dem ich selbst gemerkt habe, ich will was ändern, ich muss es jetzt schaffen“, sagt Marc. In die Notunterkunft durfte er wieder einziehen. In der Arbeitsmaßnahme „Kreisel“ arbeitet er seitdem achteinhalb Stunden pro Tag, unter anderem im Garten- und Landschaftsbau, in der Holzwerkstatt oder er hilft dabei, Tiny-Häuser für Obdachlose zu bauen.

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Auch bei der Wohnungssuche bewegt sich etwas. Marc hat bald seinen zweiten Besichtigungstermin und hofft, dass es diesmal klappt. Für seine Zukunft wünscht sich der 20-Jährige, selbstständig zu werden, sein Leben zu ordnen und arbeiten zu gehen. „Einfach ein bisschen Normalität im Leben.“ Abschließend sagt er: „Mir geht’s endlich wieder gut. Ich bin wieder glücklich.“ Und auch Karin Schäfer ist stolz auf Marc. „Er brauchte einfach nur einen Schubs in die richtige Richtung und Menschen, die ihn bei seinem Weg unterstützen.“