Gelsenkirchen. Ein neues Gesetz soll der Organisierten Kriminalität den Geldhahn zudrehen. Denn ihre Einnahmen sind gigantisch.

Schockierende Einblicke in die Welt der Organisierten Kriminalität präsentierten Journalist und Mafia-Kenner Sandro Mattioli und Sebastian Fiedler, ehemals Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter und bei ihrer Stippvisite in Gelsenkirchen. Demnach überspannt ein riesiges kriminelles Netzwerk den Kontinent, an dem satte Milliardengewinne in dreistelliger Höhe kleben bleiben.

Fiedler kritisierte zudem die von der FDP geführten Bundesministerien für Justiz und für Finanzen, denen ein von mehreren Rechtsexperten ausgearbeiteter Gesetzentwurf zur besseren Bekämpfung von Geldwäsche und Organisierter Kriminalität bereits seit langer Zeit vorliege. Der heutige kriminalpolitischer Sprecher für die SPD im Bundestag attestierte den Behörden politische Verzögerungstaktik.

Organisierte Kriminalität in Deutschland: Jährlich werden 100 Milliarden Euro erwirtschaftet und gewaschen

Gut „100 Milliarden Euro erwirtschaften und waschen die international aktiven Kriminellen“ Fiedler zufolge jährlich in Deutschland. Europol, das Europäische Polizeiamt, beobachte dabei mehr als 800 kriminelle Netzwerke mit rund 25.000 Mitgliedern. „Ein weltweit agierender Konzern, Clan-Kriminelle kommen dagegen wie ein guter Mittelständler daher.“ Die drei Größten Einnahmefelder: Drogenhandel, Produkt- und Markenpiraterie (Markenfälschungen) sowie Umweltkriminalität - Letzteres sei nach Behördenangaben der „zweitgrößte CO2-Treiber“ (z.B. durch illegale Abholzungen).

Wie geschmiert die Geldmaschine der Kriminellen trotz beachtlicher Ermittlungserfolge läuft, machte Fiedler am Beispiel der „aktuellen Kokainschwemme“ klar. 2023 seien in Deutschland 40 Tonnen entdeckt und sichergestellt worden, dazu noch jüngst 120 Tonnen in Antwerpen. „Hat sich dadurch der Marktpreis in irgendeiner Weise geändert“, fragte der Politiker in die Runde, und lieferte die Antwort gleich selbst hinterher: „Nein.“

Von den Milliardengewinnen sehen die hiesigen Behörden und (Finanz-)Ämter aber „nur ein Prozent“. Grund: 90 Prozent Kriminellen nehmen aktiv am öffentlichen Geschäftsleben teil, führen ein Doppelleben, waschen ihr Geld selbst und werden so vom Radar der Behörden nicht erfasst. Transparency International beziffert den Anteil solcher Gelder bei Immobilienkäufen auf 30 Prozent. Explodierende Immobilienpreise und hohe Mieten in deutschen Großstädten beförderten dieses einträgliche Geschäft zusätzlich noch, denn so lasse sich „möglichst viel schmutziges Geld auf einmal in Betongold verwandeln“.

Talk-Runde zu Organisierter Kriminalität und Geldwäsche im Gelsenkirchener Wissenschaftspark - mit dabei: Sebastian Watermeier, Markus Töns, Sebastian Fiedler (alle SPD) und Sandro Mattioli.
Talk-Runde zu Organisierter Kriminalität und Geldwäsche im Gelsenkirchener Wissenschaftspark - mit dabei: Sebastian Watermeier, Markus Töns, Sebastian Fiedler (alle SPD) und Sandro Mattioli. © Nikos Kimerlis

„Wir haben es mit einem sehr gevievten Gegner zu tun, der weitestgehend im Verborgenen operiert, ohne Namen und ohne Gesichter“, ergänzt Mattioli. Deutschland sei wegen wirtschaftlich und politisch stabiler Strukturen so attraktiv für die Mafia und die Organisierte Kriminalität. Was auch an der Möglichkeit hoher Barzahlungen liege und an mangelnder Verfolgung. „In Italien gibt es die Beweislastumkehr, in Deutschland gibt es nur die Beweislasterleichterung, was in die richtige Richtung geht, aber längst nicht ausreicht“ (Anm. der Red.: Man muss im Zweifel nachweisen, woher das Geld für ein Haus oder teures Auto kommt).

In diese Stoßrichtung zielt der Gesetzesentwurf ab, den Sebastian Fiedler in der Talkrunde im Wissenschaftspark zur Sprache brachte. Ausgearbeitet haben den 16-seitigen Entwurf drei Rechtsprofessoren. Dem Kriminalhauptkommissar zufolge haben die bisherigen Rechtsstrategien zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität und Geldwäsche versagt, weil es der Staat „nicht geschafft hat, die personelle Situation der Kriminalbehörden entscheidend zu verbessern“.

Gesetzesvorschlag: Neue Bundesbehörde soll verschleierte Eigentumsverhältnisse und Geldflüsse aufdecken

Kern des Gesetzesentwurfes ist Fiedler zufolge die Befugnis des Staates, über eine zentrale Behörde auf Bundesebene schon bei bloßem Verdachtsfällen eingreifen zu können. Und zwar bereits unterhalb der Schwelle eines strafrechtlichen Anfangsverdachts, der verfolgt wird. Verschleierte weil kompliziert verschachtelte Eigentumsverhältnisse und unklare Einkünfte sollen so schneller und effektiver aufgedeckt werden. Beispielsweise die in der Praxis nicht selten anzutreffenden GmbHs, die Eigentümer von Immobilien sind und die selbst über mehrere Stufen hinweg von einer Gesellschaft (etwa auf den British Virgin Islands/komplette Steuerfreiheit) gehalten werden, deren Inhaber im Unklaren bleiben.

Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums bestätigte die „vorgesehene Errichtung einer Bundesoberbehörde“ und teilte auf Anfrage zum Vorwurf der Verzögerung mit: „Es geht um einen Entwurf für ein Vermögensverschleierungsbekämpfungsgesetz, das auch den Entwurf für ein Vermögensermittlungsgesetz enthält.“ Das Bundesjustizministerium (BMJ) unterstütze das Bundesfinanzministerium (BMF) „bei der Überarbeitung des Referentenentwurfs“ und in den Gesprächen im Zusammenhang mit der Schaffung eines Vermögensermittlungsgesetzes. „Derzeit finden konstruktive Gespräche zwischen BMF und BMJ statt, um eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Entwurfs zu erreichen.“ Augenscheinlich sind Abstimmungsbedarf und Meinungsverschiedenheiten größer. Der Referentenentwurf wurde bereits vor zwei Jahren in der „Kriminalpolitische Zeitschrift“ veröffentlicht.

Sandro Mattioli und Sebastian Fiedler waren auf Einladung des SPD-Bundestagsabgeordneten Markus Töns nach Gelsenkirchen in den Wissenschaftspark gekommen. Gut 40 Besucher hörten den Talk-Gästen zu.

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