Gelsenkirchen. Angst? Die kennt er nicht. Wenn es dunkel ist, wacht Martin mit seinem Hund über die Zoom Erlebniswelt Gelsenkirchen. Was er dann erlebt.

Wenn andere sich längst auf dem Sofa niedergelassen haben, tritt Martin Althaus seinen Dienst an. Mit „Frau Tom“, seinem Mischlingshund („irgendwie ist da auch ein Hütehund drin“), geht er auf Tour durch die Zoom Erlebniswelt. Der 56-Jährige ist Nachtwächter im Zoo. Die ganze Nacht hindurch streift er durch den Park.

Der durchtrainierte Mann mit schulterlangem Haar, Vollbart und natürlicher Autorität steuert als erstes das Verwaltungsgebäude an. Bevor er seinen Rundgang kreuz und quer durch den Zoom startet, prüft er, womit er heute rechnen muss. In einem Buch dokumentieren die Pfleger für ihn, wenn ein Tier krank ist und spezielle Beachtung braucht, wenn irgendwo mit Nachwuchs oder anderem Außergewöhnlichen zu rechnen ist.

Nachtwächter in der Zoom Erlebniswelt: „Nicht berechenbar für Einbrecher“

Es gibt keine feste Strecke, im Gegenteil. „Ich gehe immer unterschiedlich, damit ich nicht berechenbar werde für Einbrecher. Und ich bin sowieso an allen Orten immer mehrfach in der Nacht“, stellt er klar. Heute starten wir am Grimberger Hof, bei den Haustieren und dem Streichelzoo. Es gibt neue Ferkel, und auch eine der Kühe hat vor Kurzem nächtens gekalbt. Ihren „Franzl“ hat Althaus morgens beim letzten Rundgang im Stall entdeckt – und gleich seine Frau angerufen. Die ist nämlich Tierpflegerin hier, und als solche für speziell dieses Revier verantwortlich. Ebenso wie seine Tochter. Eine wahre Zoo-Familie.

Nachtwächter ZOOM Erlebniswelt
Spornschildkröte Helmuth geht es längst wieder gut. Beim nächtlichen Rundgang gönnt sie Nachtwächter Martin ein Kopfnicken. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

„Ich kannte den Zoom schon in -und auswendig, bevor ich hier den Nachtwächter-Job angetreten bin“, erklärt Althaus. „Aber nachts ist es hier am allerschönsten. Wenn man nur die Tiere hört, keine Menschen, die einen zutexten.“

16 Kilometer und mehr läuft er jede Nacht, Fitnessstudios braucht er nicht. Prüfende Blicke in den Shop, alles gut. Türen kontrollieren, und eine Stippvisite bei Helmuth. Die 108 Kilogramm schwere Spornschildkröte hat es in ihrem Gehege schön kuschelig warm. Helmuth war es, der sich vor drei Jahren nicht mehr bewegen konnte. Weil seine Schulter das Gewicht des schweren Panzers nicht mehr tragen konnte. Helmuth bekam eine maßgeschneiderte, aus einem Rollbrett gefertigte Orthese zur Entlastung und Physiotherapie. „Heute ist Helmuth wieder fit. Ne, Helmuth? Dir geht es gut, oder?“, plaudert Althaus mit dem Tier, das immerhin den Kopf hebt; fast, als würde es nicken.

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Im Schlaf sinken die beiden Hulman-Affen stets richtig ineinander, erzählt Martin Althaus. Vor Gästen allerdings geben sie sich weniger intim. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Es geht weiter nach Asien, die Bambusallee entlang. In der großen Halle ist es noch ein bisschen wärmer, noch fällt ein wenig Tageslicht durch die transparente Decke. Die Flughunde erwachen langsam, klettern an den Drähten unter dem Dach entlang, die ersten setzen zu Flugrunden an. Die mageren, zusammengefalteten Winzlinge verwandeln sich mit ausgebreiteten Schwingen in erschreckend große Flugobjekte. Martin – der im Ruhrgebiet fest verwurzelte Kumpel-Typ bleibt lieber beim Du – findet sie faszinierend.

Weiter unten, an der Scheibe des Geheges, kuscheln sich zwei Hulman-Affen aneinander. „Na, ihr Mäusken, kuschelt ihr wieder?“, begrüßt Martin das Pärchen. „Wenn die schlafen, sinken die immer richtig ineinander.“ Hündin „Frau Tom“ mag Affen irgendwie nicht so gern, zeigt erstmal, wer hier die Chefin ist und verbellt die beiden. Sie zucken zwar zusammen, vertreiben lassen sie sich aber nicht. Sie wissen wohl, dass sie hinter der Scheibe sicher sind. Und Tom bekommt einen Rüffel, wird zur Ordnung gerufen vom Herrchen. Im hinteren Bereich liegt ein Orang-Utan tiefenentspannt und alle Viere von sich gestreckt auf dem Rücken.

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„Herrlich“, findet Martin die Ruhe auf dem Drachenspielplatz, wo tagsüber zig Kinder laustark toben. Über den Spielplatz geht es weiter nach Afrika. Der Boden wird hier rot wie die Erde in Afrika, doch im Abendlicht ist das jetzt kaum noch erkennbar. Martin schlägt mit Tom immer wieder rechts und links Haken, um in bestimmten Ecken nach dem Rechten zu sehen. „Es gibt Stellen, da kommt mancher nachts auf die Idee, die Zaun-Karte zu nehmen, also über den Zaun einzusteigen. Da zeig‘ ich mich dann gern mal öfter, um zu demonstrieren: Mit mir hier nicht!“

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Die Tüpfelhyänen begrüßt Martin Althaus liebevoll mit „meine Mäuse“. Sein Respekt vor den Damen ist dennoch extrem groß. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Hat er manchmal Angst, nachts allein unterwegs im riesigen Zoom? „Nein! Angst ist ein ganz schlechter Begleiter. Respekt, ja. Man weiß ja nie, was passiert. Ich kann mich schon behaupten, das muss man auch. Wenn aus dem Gebüsch plötzlich einer auf mich zuspringt, dann weiß ich, was zu tun ist“, versichert Martin und es klingt sehr überzeugend.

Nachtwächter im Zoo Gelsenkirchen ist besonders begeistert von den Hyänen

Bei den Hyänen wird er dann regelrecht euphorisch. „Na, meine Mäuse?! Wie geht es euch, meine Hübschen?“, schwärmt er. Hündin „Frau Tom“ glaubt schon wieder, Oberhand zu haben. Was die beiden Hyänen-Damen nicht einmal mit der Wimper zucken lässt. „Gegen sie hätte er keine Chance, wir auch nicht“, warnt Martin. Der Mann ist sichtlich fasziniert von den beiden fast zierlichen Kampfmaschinen mit der monströsen Beißkraft. Sie lauern ruhig, ob sich nicht doch eine Gelegenheit ergibt für ein unerwartetes Nachtmahl.

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Unterwegs mit dem Nachtwächter: So sieht es nachts in der Zoom Erlebniswelt aus. Im Bild die „Pavian-City“. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Am Giraffenhaus sind alle noch wach und kommen neugierig an die Scheibe, um zu schauen, wer zu Besuch kommt. Auch für Aya, den Giraffenbullen Hans und den Nachwuchs hat Martin ein paar nette Worte. Entschuldigt sich bei Aya, dass er keine Banane für sie dabei hat. Allerdings geht er ohnehin auch sonst nicht ins Gehege. „Wenn ich sehe, dass ein Tier verletzt ist oder es einen anderen Zwischenfall gibt, habe ich mehrere Notrufnummern. Und muss dann eben entscheiden: Schlage ich Alarm, rufe ich jemanden an oder kann das warten bis morgen früh?“ Notfälle sind zum Glück eher selten. Polizei und Feuerwehr rufen musste er allerdings schon mal, als Feueralarm am Grimberger Hof ausgelöst wurde. Ein Großaufgebot rückte an, zum Glück aber entpuppte es sich als Fehlalarm. „Wenn es möglich ist, dass Ställe brennen, dann kannst du nicht warten. Dann musst du handeln!“

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Martin Althaus mit Hündin „Frau Tom“ unterwegs im Tropenhaus. Die beiden kennen hier jeden Busch. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Wir sind mittlerweile in Richtung Alaska unterwegs vorbei an Pavian-City, wo es fast gespenstisch ruhig ist. Das Wasser um die Insel ist spiegelglatt. Alaska erreichen wir durch die Hintertür, Martin ist auch jetzt extra zickzack gelaufen, hat zwischendurch Zaunbereiche inspiziert. Die Pinguine schrecken auf, als wir vorbeikommen, rotten sich blitzschnell empört zusammen, als wollten sie fragen: Wer stört?

Ein paar hundert Meter weiter aalen sich normalerweise die Seelöwen auf den Felsen. Heute ist keiner zu sehen. Auf dem weiteren Weg zu den Eisbären aber ist ihr Brüllen unüberhörbar. Über dem Tunnel, der unter dem Wasser her zu den Eisbären führt, ist das Wasser so still und glatt, dass jede Kontur am Rand trotz Dunkelheit erkennbar ist. Martin bleibt andächtig bewundernd stehen. Die Nacht im Zoom: Sie fasziniert ihn noch immer, jeden Tag: „Ok, im Januar bei Minus-Graden mit nassem A..., da ist man ein bisschen weniger begeistert. Aber sonst ist es einfach cool. Perfekt.“

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„Wer stört?!“ scheinen die aufgeschreckten Pinguine beim nächtlichen Besuch zu fragen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

An der letzten Station unserer Runde, es ist mittlerweile stockdunkel, dösen Eisbärin Lara und auch Bill auf der anderen Seite längst. Antonio, die kleinwüchsige, hochbetagte Eisbärdame ist sicherheitshalber nachts drinnen untergebracht – damit sie nicht im Schlaf ins Wasser fällt. Martin bringt uns noch schnell zum Auto zurück, bevor er seine nächste Runde antritt, „Frau Tom“ darf sich ein paar Minuten ausruhen. Und Martin? „Im Büro sitzen, das wäre ja echt nichts für mich“.