Gelsenkirchen. Wende bei Haus Leithe: Für 490.000 Euro steht das Denkmal-Rittergut nun zum Verkauf. Die Stadt Gelsenkirchen kann sich keinen Reim darauf machen.

„Gelsenkirchen: Denkmal-Rittergut sucht kreative Verwandlung!“: So wird Haus Leithe, der ehemalige Adelssitz am Junkerweg, jetzt auf dem Online-Immobilienportal Immowelt.de beworben. Der Kaufpreis: 490.000 Euro, für zirka 1668 Quadratmeter auf einem „großzügigen Grundstück“ von 4625 Quadratmetern. Als „historisches Juwel mit eigener Wikipedia-Eintragung und zahlreichen Artikeln“, als „geschichtsträchtiges Rittergut aus dem Jahr 1565“ wird Haus Leithe bezeichnet – und damit gelockt, dass die Genehmigung für zehn Wohneinheiten und Außenstellplätzen bereits vorliegt. „Nutzen Sie diese einzigartige Gelegenheit, ,Haus Leithe‘ zu revitalisieren und in eine zeitgemäße Wohnoase zu verwandeln“, heißt es. Ein historisches Erbe warte darauf, „von visionären Gestaltern neu interpretiert zu werden“.

Die Stadt wurde nach Aussage ihres Sprecher Martin Schulmann ziemlich überrascht von der Anzeige. Erst Mitte April teilte Eigentümer Jörg Zahn aus Dortmund mit, dass er „auf einen Gesprächstermin mit Vertretern der Stadt“ warte. Zustande gekommen ist ein Termin offensichtlich noch nicht. Und der geplante Verkauf sei von Zahn weder angekündigt noch angesprochen worden, heißt es aus dem Hans-Sachs-Haus. „Das hat nichts damit zu tun, was wir mit ihm besprochen haben“, so Schulmann. Man könne sich keinen Reim auf die Anzeige machen.

Verkauf von Haus Leithe im Jahr 2012: Passus im Kaufvertrag wirft Fragen auf

Zahn, der einst angetreten war, um hochwertige Eigentumswohnungen und Reihenhäuser denkmalgerecht in das Ensemble einzubauen, äußerte sich zu der Verwunderung der Stadt auf telefonische Anfrage der WAZ nicht. Aktuell beschäftigte ihn vielmehr, dass auf dem Grundstück wieder zig Altreifen abgelagert worden sein, sagte er lediglich. Er werde das Gelände nun neu sichern lassen. Über die Jahre seien „viele Tausend Euro“ in Sicherungsmaßnahmen und Überwachung des Rittergutes gesteckt worden, hatte Zahn in einem anderen Zusammenhang schon einmal mitgeteilt.

Makler Christian Dey betonte, man könne nicht für Herrn Zahn sprechen, jedoch stehe einem Eigentümer natürlich frei, was er mit seinem Eigentum mache.

1914 kam das Haus Leithe in den Besitz der Stadt Gelsenkirchen. 1986 wurde es in die Denkmalliste eingetragen. 2012 verkaufte es die Stadttochter GGW dann.
1914 kam das Haus Leithe in den Besitz der Stadt Gelsenkirchen. 1986 wurde es in die Denkmalliste eingetragen. 2012 verkaufte es die Stadttochter GGW dann. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Der WAZ liegt der notariell beglaubigte Kaufvertrag für Haus Leithe vor, den die Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft (GGW) im Jahr 2012 mit Zahn geschlossen hatte. Damals kaufte Zahn das Herrenhaus, die Toranlage mit Wirtschaftsgebäude und die große Scheune für gerade einmal 200.000 Euro. In dem Vertrag heißt es unter anderem, der Käufer verpflichte sich, bis zum 31. Dezember 2015 vereinbarte bauliche Maßnahmen auf dem Gelände durchzuführen.

Um welche Maßnahmen es sich hier ganz konkret handelt, ist der WAZ nicht bekannt. Passiert ist auf dem historischen Gelände seit dem Verkauf aber bekanntermaßen wenig, auch weil Zahns Planungsentwürfe fürs Wohnen im alten Adelssitz nicht mit denen der Bauordnung und des Denkmalschutzes kompatibel waren. Ob der Eigentümer deswegen Konsequenzen zu fürchten hat, der Vertrag gar als hinfällig betrachtet werden könnte? Unwahrscheinlich. Der Passus im Vertrag habe eher den Charakter einer Absichtserklärung, heißt es aus gut unterrichteten Kreisen. Im Januar 2024 hatte das städtische Rechtsamt öffentlich mitgeteilt, dass auch eine Enteignung nicht möglich sei.

FDP Gelsenkirchen: „Hier wird Stadtgeschichte zum Spekulationsobjekt“

Erzürnt über den Verfall des Denkmals ist man seit langer Zeit quer durch die Fraktionen der örtlichen Politik. Jetzt ist es die FDP Gelsenkirchen, die noch einmal offizielle Antworten von der Stadt verlangt. „Gab es bei dem recht günstigen Kaufpreis von Seiten der GGW Auflagen zur zeitlichen Bauausführung?“, fragt jetzt der stadtplanungspolitischer Sprecher der Fraktion, Ralf Robert Hundt. „Und kann die Stadt eventuell Regressansprüche geltend machen? Wird sie jetzt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen?“

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Insgesamt kann sich Hundt nur ärgern, wenn Haus Leithe das Thema ist. „Es ist eine Schande“, sagte der Liberale zu den neuesten Entwicklungen. Für ihn begann die Leidensgeschichte Leithe mit dem Verkauf durch die GGW im Jahr 2012. Was Hundt irritiert: „Trotz des weiteren Verfalls setzt der jetzige Besitzer für die geschichtsträchtige Ruine einen Kaufpreis an, der mehr als doppelt so hoch ist wie der Preis, den die GGW damals bekommen hat.“

„Hier wird Stadtgeschichte zum Spekulationsobjekt“, sagt auch die FDP-Bezirksverordnete Isabell Scharfenstein. Sie könne die Wut der Bürgerinnen und Bürger im Stadtsüden über den schleichenden Verfall sehr gut nachvollziehen. Man wolle sich für den Wunsch der örtlichen Bürgerinitiative einsetzen, aus dem alten Gemäuer ein Museum für Stadtgeschichte zu machen. Ein entsprechender Antrag der FDP war bei den Haushaltsverhandlungen 2022 gescheitert, nun soll die Bürgerinitiative auf Antrag der Liberalen in der nächsten Bezirksvertretung Süd sprechen dürfen.