Essen./Gelsenkirchen. Ihr Kind hatte das Jugendamt ihr weggenommen. Laut Anklage wollte sie deshalb ein fremdes Kind rauben. Jetzt steht sie vor Gericht.
Ihre eigene Tochter hatte das Jugendamt ihr weggenommen. Da soll die 35 Jahre alte Gelsenkirchenerin am 10. August vergangenen Jahres mit einem großen Messer versucht haben, vor einer Kita in der nördlichen City ihrer Stadt ein fremdes Kind zu rauben. Vor Gericht weist sie die Vorwürfe zurück.
Laut Anklage leidet die Deutsche an psychischen Störungen, verursacht mutmaßlich durch jahrelangen Konsum von Cannabis seit der Pubertät. Im Gefängnis hat sie auch schon gesessen. Dort brachte sie im Sommer 2020 ihre Tochter zur Welt.
Jugendamt nimmt ihre Tochter weg
Die psychischen Störungen und der Drogenkonsum sind wohl auch der Grund, dass das Jugendamt ihr das Kind wegnahm. Es wächst seitdem beim Bruder der Angeklagten auf.
Die Anklage deutet an, dass sie seitdem in fremden Kindern ihr eigenes erkenne. So soll es auch am 10. August um die Mittagszeit gewesen sein. Optisch hätte sie einen Unterschied allerdings erkennen müssen.
Verwechslung nicht möglich
Denn was sie vielleicht als ihre eigene, gerade 13 Monate alte Tochter angesehen haben könnte, war tatsächlich ein Junge, 23 Monate alt und Sohn syrischer Migranten. Seine Augen waren auch nicht blau wie die ihrer Tochter, sondern braun.
Laut Anklage zückte sie ein Messer mit 20 Zentimeter langer Klinge und bedrohte damit die Eltern des Jungen. Dessen Vater nahm den Sohn sofort auf den Arm und lief weg. Die Angeklagte soll ihm nachgesetzt haben. Doch er rettete sich in ein Frisörgeschäft und brachte den Sohn und sich selbst in Sicherheit. Kurz danach kam die Polizei und nahm die 35-Jährige fest.
Eltern des kleinen Jungen vernommen
Die VII. Strafkammer, vor der die Angeklagte sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und versuchter Entziehung Minderjähriger verantworten muss, vernimmt am Montag auch die Eltern des kleinen Jungen.
Wie sehr die beiden die Attacke aus heiterem Himmel getroffen haben muss, das ist vor allem der 26 Jahre alten Mutter anzumerken. Sie durchlebt im Gerichtssaal erneut die Todesangst, die sie um ihren Sohn durchlitten hat. "Ihnen geht es nicht gut?", fragt Richterin Karin Maiberg die Frau, als sie mit ihrem Mann in den Saal tritt. Der 28-Jährige beantwortet die Frage: "Seitdem sie die Frau hier gesehen hat."
Angeklagte sitzt in U-Haft
Zuerst wird der Mann gehört, die 26-Jährige muss deshalb nach draußen. Ob das ok sei, fragt die Richterin. Die Mutter nickt: "Solange sie hier drinnen bleibt." Offenbar weiß sie nicht, dass die Angeklagte seit der Tat in Untersuchungshaft sitzt und den Saal deshalb nicht spontan verlassen kann.
Die 35-jährige Gelsenkirchenerin hatte die Anklagevorwürfe zuvor zurückgewiesen. An diesem Tag habe sie das Messer aus der Küche mitgenommen, um ihren Briefkasten aufzubrechen: "Ich hatte den Briefkastenschlüssel verloren."
Angeklagte: "Ich wollte nur helfen"
Sie sei dann auf die Straße gegangen, wo ihr ein Pärchen mit Kind in der Nähe der Kita aufgefallen sei. Die Erwachsenen hätten offenbar Streit gehabt. Sie will ihre Hilfe angeboten, aber keine Antwort bekommen haben.
Plötzlich habe der Mann das Kind ergriffen und sei über die Straße gelaufen. Sie habe gedacht, da sei etwas nicht in Ordnung und sei hinterher. Der Mann sei in das Frisörgeschäft gelaufen. Sie habe sich davor gestellt und gerufen, ob denn niemand die Polizei gerufen habe.
Cannabis seit dem 14. Lebensjahr
Ob sie noch genaue Erinnerung habe, fragt die Richterin. "So na ja", antwortet die Angeklagte. Seit ihrem 14. Lebensjahr konsumiert sie Cannabis. Sie meint, weil sie einmal mit Haschisch rückfällig geworden sei, habe ihr Bruder das Jugendamt informiert.
Die Richterin fragt, ob es nicht auch die Hebamme gewesen sein könne. Die habe nämlich dem Jugendamt laut Akte gesagt, die Angeklagte nähme "zum Frühstück Amphetamine und Kokain". Fünf weitere Prozesstage sind geplant.