Essen. Essener Schulen demonstrieren gegen Hetze und Hass - rund 1500 Leute gehen mit. Was den Kindern und Jugendlichen am meisten Angst macht.
Für Oskar (7) ist es die erste Demo in seinem Leben. Er trägt eine blaue Winterjacke und ein Stück Pappkarton: „böse Menschen“ hat er drauf gepinselt und mit einem dicken roten Kreuz durchgestrichen. Für Moritz (14) ist es eine weitere Demo, bei der er mitläuft. Er trägt einen schwarzen Kapuzensweater und eine rot-schwarze Fahne über die Schulter, auf der „Antifaschistische Aktion“ steht.
Oskar besucht die Klasse 2a der Dürerschule in Borbeck, Moritz die 8b des Grashof-Gymnasiums in Bredeney. Die Jungs sind am Samstagmittag (15.2.) zwei von ungefähr 1500 Menschen, die gemeinsam durch die Essener City ziehen. „Schule bleibt bunt“: Das soll bekräftigt werden, dafür demonstrieren Essener Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Zwischen Oskars putzigem Plakat und Moritz‘ Antifa-Flagge ist viel Raum. Zwischen diesen Polen spielt sich die Veranstaltung ab. Ganze Familien sind dabei: Babys hängen im Tragetuch, ein Hund trägt ein „Nazis auffressen“-Schild, eine grauhaarige Frau wird im Rollstuhl geschoben.
Schul-Demo mit 1500 Teilnehmern in Essen: Das sind die Fotos
Essener Grashof-Gymnasium hat die Demo organisiert
Organisiert und angemeldet wurde die Demo von der SV des Grashof-Gymnasiums. Sie hatte bereits im vergangenen Jahr unter diesem Motto zur Großkundgebung aufgerufen. Im März 2024 war von rund 3000 Teilnehmenden die Rede. Für ebenso viele war die Kundgebung auch jetzt wieder angemeldet. Etwa 1500 machten dann tatsächlich mit, nach übereinstimmenden Angaben der Polizei, die mit zahlreichen Kräften vor Ort war, und der Organisatoren. Im Vorjahr ging es explizit „für Demokratie und Menschenrechte“ auf die Straße, diesmal „für ein vielfältiges und diskriminierungsfreies Lernen und Leben“.

Eigentlich sei keine zweite Demo geplant gewesen, erklärt Julienne (17), Schülervertreterin vom Grashof, später am Rande der Schlusskundgebung auf dem Hirschlandplatz. „Doch als sich die Regierung aufgelöst hat und man gemerkt hat, dass Extremismus wieder große Macht bekommt, haben wir es sofort in die Wege geleitet.“ Der Termin sei bewusst vor die Bundestagswahl gezogen worden, ergänzt die Oberstufenschülerin. Sie selber dürfe diesmal noch nicht wählen, viele, die auf dem Platz stehen, auch nicht. „Aber das heißt nicht, dass wir keine Stimme haben!“, ruft Julienne ins Mikro. „Wir dürfen nicht schweigen, wenn Hetze und Hass wieder mehr Raum bekommen.“
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„Schule bleibt bunt“: Auch Essener Grundschulen laufen mit
Eingeladen, aufgerufen waren alle Essener Schulen. Die Dürerschule, die der siebenjährige Oskar besucht, war mit einer starken Gruppe vertreten. „Auf dem Lehrplan steht Demokratie“, sagt Lehrerin Annika Strackbein, „und wo kann man das besser lernen als auf einer Demo?“ Rund 230 Kinder besuchen die Borbecker Schule, 20 verschiedene Sprachen würden gesprochen, ergänzt Schulleiterin Andrea Witzmann. Doch beispielsweise auch die Theodor-Heuss-Schule, evangelische Grundschule in Bergerhausen, hat etliche Kinder und Erwachsene mobilisiert: „40 sind wir bestimmt schon“, schätzt eine Lehrerin am Sammelpunkt vor dem Aalto-Theater.

Gegen 11.15 Uhr geht es dort los in Richtung Innenstadt, durch die Bahnhofsunterführung, über die Hachestraße. Regenbogenflaggen werden mitgeführt, Megaphone, Lastenfahrräder. Emma und Jo, Achtklässler vom Gymnasium Stoppenberg, halten ihr Schild in die kalte Luft: „Müll trennen, aber nicht Menschen“. Auch Patrick (17), der dieselbe Schule besucht, ist Teil der marschierenden Menge, zugleich gönnt er sich einen Soloauftritt, indem er sich laut über die Demo beschwert: „Ich laufe nicht aus Überzeugung mit“, sagt der Schüler, nach eigener Aussage FDP-Mitglied. Nein, er sei dabei, um mit seiner Sowi-Lehrerin zu diskutieren. Die Lehrerin lacht. Für Menschenrechte und Demokratie würde er mitlaufen, erklärt Patrick, aber nicht hinter einer Antifa-Fahne. „Solche Demos spalten die Gesellschaft noch mehr“, meint der 17-Jährige. „Und die ganzen kleinen Kinder verstehen doch gar nicht, worum es geht.“
Geflüchteter Schüler aus der Ukraine spricht über seine Angst
Bei der Kundgebung auf dem Hirschlandplatz bekommt, wie im Vorjahr, ein Repräsentant der Stadt Essen das Wort. Diesmal ist es Schuldezernent Muchtar Al Ghusain, der den OB vertritt und von einem „Moment großer Freude“ spricht, das Engagement so vieler Schülerinnen und Schüler für Demokratie und Vielfalt zu sehen. „Mein eigener Name hört sich auch nicht so richtig nach Ruhrgebiet an“, ergänzt Al Ghusain. „Trotzdem bin ich Essener und fühle mich wohl hier.“
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Vladislav (16), aus der Ukraine geflüchteter Grashof-Schüler, liest sein Statement vom Handy ab. Er hat es vorbereitet und übersetzt, hundertprozentig sicher ist sein Deutsch noch nicht. Über Polen sei er 2022 mit seiner Mutter nach Essen gekommen, berichtet der Schüler. Dass nun einige fordern, alle Geflüchteten müssten raus aus Deutschland, sei doch „sehr radikal“. Es mache ihm Angst. Darum demonstriert er heute mit. Über „Schule bleibt bunt“ geht auch Vladislavs Anliegen weit hinaus.
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