Essen. 34 Jahre nach dem Tod von Franz Hengsbach ließe sich das Geheimnis einer Vaterschaft lüften. Verwandte stehen längst bereit – unter einer Bedingung.

Ein bisschen Spucke und ein paar Tage Geduld – mehr bräuchte es nicht, um eine der kuriosesten, vor allem für kirchennahe Christen aber auch arg irritierenden Fragen der jüngeren Bistums-Geschichte zu beantworten: Hatte der Essener Gründungsbischof und spätere Kardinal Franz Hengsbach einen Sohn? Seit über einem Jahr ist der anfangs streng geheim gehaltene Verdacht dem Bistum bekannt. Zwei der drei noch lebenden Neffen Hengsbachs signalisieren nun, dass sie durchaus bereit sind, das Geheimnis im Rahmen eines wissenschaftlichen DNA-Abgleichs zu lüften. „Diese Sache muss aus der Welt. Wir wollen Aufklärung – egal, was dabei herauskommt.“

Das Angebot für einen DNA-Abgleich liegt seit Juni vergangenen Jahres auf dem Tisch

Und diese Bereitschaft, so formuliert es einer der Neffen im Gespräch, gibt es nicht erst, seit die mögliche Vaterschaft des 1991 verstorbenen Essener Kirchenmannes im Dezember öffentlich wurde: Schon ein halbes Jahr zuvor habe man dem Bistum – anders als von dort behauptet – unmissverständlich signalisiert, bei der Aufklärung des Falles mithelfen zu wollen, wandte sich für dieses Signal jetzt auch aus eigenem Antrieb an die Redaktion. Dies allerdings unter einer klaren Bedingung: Geklärt werden sollte die Abstammungsfrage auf dem offiziellen juristischen Weg über ein Verfahren beim Familiengericht.

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Ihre DNA für einen Abgleich zur Verfügung stellen? Kein Problem, signalisieren die Neffen Hengsbachs, allerdings bestehen sie auf einem ordentlichen Verfahren über das Familiengericht: Dem Bistum nehmen sie ein Bemühen um Objektivität nicht ab.
Ihre DNA für einen Abgleich zur Verfügung stellen? Kein Problem, signalisieren die Neffen Hengsbachs, allerdings bestehen sie auf einem ordentlichen Verfahren über das Familiengericht: Dem Bistum nehmen sie ein Bemühen um Objektivität nicht ab. © imago/Christian Ohde | imago stock

Derlei Fälle gibt es dort zuhauf, weiß Claudia Schlarb, Pressedezernentin am Essener Amtsgericht: Oft geht es dabei um Unterhaltsansprüche bei ungeklärten Vaterschaften, wobei im Vorfeld selbstredend geprüft werde, ob die mutmaßliche Elternschaft „schlüssig vorgebracht“ wurde. Und das scheint der entscheidende Hemmschuh für jenen Mann um die 60, der so gerne wüsste, ob der einstige Kardinal Hengsbach sein Vater ist. Denn im Rahmen des – übrigens nicht-öffentlichen – Verfahrens müsste er zumindest vor Gericht seine bislang gewahrte Anonymität aufgeben.

„Wir glauben nicht daran, dass das Bistum offen mit der Bekanntgabe des Ergebnisses umgeht“

Das aber will er nicht – und die Neffen Hengsbachs wiederum sind „nicht bereit, das zu machen für jemanden, der am Ende nicht sagt, wer er ist“. Daraus spricht nicht nur eine gewisse Skepsis, ob da jemand nur ein vermeintliches Erbe ins Visier nehmen möchte. Es zeigt auch ein tiefes Misstrauen gegenüber der katholischen Kirche und ihren obersten Würdenträgern: „An die Objektivität der Justiz glauben wir. Wir glauben allerdings nicht daran, dass das Bistum offen mit der Bekanntgabe des Ergebnisses umgeht.“

Die Recherche zu einem möglichen Sohn soll auch Bestandteil jener groß angelegten Studie sein, in der die katholische Kirche die Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Franz Hengsbach überprüfen lässt.
Die Recherche zu einem möglichen Sohn soll auch Bestandteil jener groß angelegten Studie sein, in der die katholische Kirche die Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Franz Hengsbach überprüfen lässt. © dpa | Achim Scheidemann

Zur Begründung verweisen die beiden Neffen auf ihre „schlechten Erfahrungen“ beim Umgang des Bistums mit den Missbrauchsvorwürfen gegen Franz Hengsbach, dem vorgeworfen wird, vor Jahrzehnten zwei Frauen sexuelle Gewalt angetan zu haben: Ein „Skandalisierungs-Verfahren“, beklagen seine Nachfahren, eines, das ihren über alle Kirchtürme und Stadtgrenzen hinweg beliebten und regelrecht verehrten Onkel binnen einer Woche ohne echte Beweise öffentlich angeklagt und zum Täter abgestempelt habe: „Unfassbar und menschenunwürdig.“

Mit der Auswahl des Kontaktmanns den Eindruck vermittelt, als ginge es um ein Missbrauchs-Opfer

Die Neffen hingegen formulieren „außerordentliche Zweifel“ an den Vorwürfen, hatten zumindest erwartet, dass man ihnen als nächste Angehörige wenigstens den Kern der Anschuldigungen vorab mitteilt, sie auf diese Art also „vorwarnt“, welches mediale Echo auch ihnen da ins Haus steht. Stattdessen seien sie „völlig im Unklaren gelassen“ und letztlich von Freunden im Urlaub auf die Anschuldigungen daheim hingewiesen worden: „Habt Ihr deutsches Fernsehen? Dann schaut mal…“

In der Adveniat-Krypta des Essener Doms liegt Franz Kardinal Hengsbach begraben. Um das Rätsel des möglichen Sohnes zu lösen, war kurzzeitig sogar eine Exhumierung erörtert worden.
In der Adveniat-Krypta des Essener Doms liegt Franz Kardinal Hengsbach begraben. Um das Rätsel des möglichen Sohnes zu lösen, war kurzzeitig sogar eine Exhumierung erörtert worden. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Auch sonst sei der – früher regelmäßig gepflegte – Kontakt mit der Familie des Kardinals ausgerechnet in diesen heiklen Fragen eher dürftig: Trotz eigener Schreiben an den Bischof müsse man die wesentlichen Informationen über vermeintliche Enthüllungen stets den Medien entnehmen. Und selbst die schriftliche Anfrage nach Schützenhilfe für den möglichen „Abkömmling“ – dass es sich um einen Mann handelt, verschwieg das Bistum anfangs – erfolgte mit dem Briefkopf des Stabsbereichs Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexueller Gewalt. „Wir mussten davon ausgehen, dass der Sohn wohl Abkömmling eines Missbrauchsopfers sein müsse“, sagt einer der Neffen. „Warum wendet sich sonst der Interventionsbeauftragte an uns?“

Vor allem der Gedanke an eine Exhumierung des Leichnams von Franz Hengsbach weckte Misstrauen

Dass dieser Eindruck keineswegs vermittelt werden sollte, hat die Kirche inzwischen klargestellt. Der Kontakt läuft dennoch weiter über den Missbrauchs-Beauftragten, und das Verhältnis blieb und bleibt gespannt. Nicht zuletzt, weil das Bistum im Zuge der Recherchen in der Vaterschaftsfrage sogar bei der Essener Stadtspitze anfragte, unter welchen Voraussetzungen der in der Adveniat-Krypta des Essener Münsters begrabene Kardinal womöglich exhumiert werden dürfte. Kommt gar nicht infrage, signalisierte das Rechtsamt bereits vor Monaten – jedenfalls solang mit einer DNA-Probe der Neffen ein deutlich milderes Mittel zur Verfügung steht, um die Frage zu klären.

Bischof Franz-Josef Overbeck (rechts) beendete 25 Jahre nach dem Tod des Kardinals die Tradition regelmäßiger Einladungen für die Angehörigen Hengsbachs ins Bischofshaus. Und Generalvikar Klaus Pfeffer warnte schon 2017 vor einer „Atmosphäre der Angst“, dem Kardinal gegenüber.
Bischof Franz-Josef Overbeck (rechts) beendete 25 Jahre nach dem Tod des Kardinals die Tradition regelmäßiger Einladungen für die Angehörigen Hengsbachs ins Bischofshaus. Und Generalvikar Klaus Pfeffer warnte schon 2017 vor einer „Atmosphäre der Angst“, dem Kardinal gegenüber. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Die Neffen wiederum erkennen in der Überlegung, das Grab zu öffnen, das Bemühen des Bistums, einmal mehr „nach einem Weg unter Vermeidung staatlicher Kontrolle und Aufklärung“ zu suchen. In der Tat sucht die Kirche die Aufarbeitung vor allem durch eine selbst beauftragte und finanzierte groß angelegte Studie: Es würden „alle Informationen sowohl der Unabhängigen Aufarbeitungskommission, als auch den Verantwortlichen des Forschungs- und Aufarbeitungsprojektes zu Kardinal Hengsbach zur Verfügung gestellt“.

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Wer hier auf endgültige Ergebnisse wartet, braucht allerdings Geduld: Die Studie soll voraussichtlich im Herbst 2027 vorliegen. In der Zwischenzeit gibt es abgesehen von möglichen Zwischenberichten keine weiteren Auskünfte für die Medien – „zum Schutz der Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten“, wie Bistums-Sprecher Jens Albers auf Nachfrage mitteilt. 

Die erste und vielleicht einzige Chance für einen echten forensischen Beweis in der Causa Hengsbach

Ob der mögliche Sohn des Kardinals inzwischen ein Verfahren beim Familiengericht angestrengt hat, ist nicht bekannt. Die Neffen jedenfalls sind dazu noch nicht kontaktiert worden. Dabei wäre der damit verbundene DNA-Abgleich – abseits der Vaterschaftsfrage – der erste und wohl auch einzige echte forensische Beweis, dass Kardinal Hengsbach es mit der versprochenen Keuschheit dereinst nicht so genau genommen haben könnte.

Die Neffen, beide um die 70, sähen das eher gelassen, und einer bringt es auf den Punkt: „Ich hätte nichts dagegen, wenn ein Vetter dazukäme.“

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