Essen. Chronische Schmerzen machen oft auch Ärzte ratlos, sagt die Essener Selbsthilfegruppe. Da heiße es schon mal: „Stellen Sie sich nicht so an.“

Sie leiden monate- und jahrelang, ziehen von einer Arztpraxis zur nächsten und finden oft keine Hilfe. „Alle Schmerzpatienten kennen das Problem, von Ärzten nicht ernst genommen zu werden“, sagt Beate Schneider, Vorsitzende der Essener Selbsthilfegruppe „Chronische Schmerzen“. In der Gruppe erleben sie Akzeptanz, tauschen sich über ihre Erkrankung aus – und darüber, was Linderung bringen kann.

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„Die Schmerzen können auch wir nicht auflösen, aber es hilft, darüber reden zu können“, sagt die 58-jährige Schneider. Sie selbst bekam vor zwei Jahren von einem Therapeuten den Tipp, in die Selbsthilfe zu gehen. Beate Schneider hat Fibromyalgie, ein Krankheitsbild, das mit schweren Muskelschmerzen, Müdigkeit und Schlafstörungen einhergeht. Andere Teilnehmer haben Polyneuropathie, anhaltende Rückenschmerzen oder Erschöpfungssyndrome.

Schmerzpatienten werde gesagt: „Stellen Sie sich nicht so an“

In der Gruppe gehe es jedoch nicht um einzelne Erkrankungen, sondern um die Gemeinsamkeit der chronischen Schmerzen. Oft gehen die mit Begleiterscheinungen wie Konzentrationsproblemen, innerer Unruhe oder Herzrasen einher. Beim Arzt fehle häufig der Blick auf alle Symptome und ihr Zusammenspiel, sagt Beate Schneider. Typisch sei, dass ein Patient mit dauerhaftem Rückenschmerz vom Hausarzt zum Orthopäden überwiesen werde, der dann Tabletten verschreibe oder eine Spritze gebe. Betroffenen mit chronischem Schmerz helfe das eher nicht. Gleiches gelte für den gut gemeinten Rat, mal Sport zu treiben.

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Wenn nichts hilft, müssten sich Schmerzpatienten schon mal sagen lassen: „Stellen Sie sich nicht so an, so schlimm kann das ja nicht sein.“ Ein Mediziner habe ihr mal ehrlich gesagt: „Wir können hier für Ihre Schmerzerkrankung nichts tun.“ Ursachenforschung und Therapie seien eben meist langwierig, die Wartelisten der Schmerztherapeuten lang. Und auch die nähmen sich nicht immer die Zeit, ein individuelles Therapiekonzept zu entwickeln. Mancher Patient gehe über Jahre immer wieder voller Hoffnung zu einem neuen Arzt, um enttäuscht festzustellen, dass der sich die Unterlagen nicht gründlich ansehe, nicht zuhöre.

„Wir wünschten uns von den Ärzten eine ganzheitliche Betrachtung“, sagt Beate Schneider. Über Mediziner und Therapeuten, die so arbeiten, über hilfreiche Übungen und Medikamente tauschen sich die Gruppenmitglieder aus. Wobei es sehr verschieden sein könne, was jedem einzelnen hilft.

Arbeit, Freunde, Partnerschaft: Es bricht alles weg – nur der Schmerz bleibt

Was indes alle eint, ist die Erfahrung, auch im privaten Umfeld auf Unverständnis zu treffen. Irgendwann erschöpfe sich das Mitgefühl für den dauerkranken Freund, Partner, Kollegen. „Der Freundeskreis bricht in der Regel auseinander, weil man an so vielen Dingen nicht mehr teilnehmen kann.“ Wenn man den ganzen Sommer lang jede Radtour abgesagt habe, werde man am Ende halt nicht mehr gefragt. „Und wenn die anderen Spaß haben wollen, möchte man nicht vom eigenen Leid erzählen. Da ist eine große Scham.“

Die Essener Selbsthilfegruppe chronische Schmerzen biete den Teilnehmern eine Möglichkeit zum Austausch, sagt die Vorsitzende Beate Schneider.
Die Essener Selbsthilfegruppe chronische Schmerzen biete den Teilnehmern eine Möglichkeit zum Austausch, sagt die Vorsitzende Beate Schneider. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Auch für die Partnerschaft sei es belastend, wenn der eine alles machen müsse, weil der andere mit einfachsten Haushaltsaufgaben überfordert sei. „Es kann schon zu viel sein, einzukaufen oder die Spülmaschine auszuräumen.“ Bleibe vieles unerledigt, sorge das wiederum für Stress, der die Schmerzen verschlimmere. „Dann hadert man mit sich, merkt nicht, wie man in eine Abwärtsspirale gerät“, schildert Beate Schneider. „Viele werden darüber depressiv.“

Wer unter chronischen Schmerzen leide, dazu mit Erschöpfung, verringerter Merk- und Konzentrationsfähigkeit kämpfe und immer wieder ganz ausfalle, dürfe auch am Arbeitsplatz nicht auf Verständnis von Vorgesetzten und Kollegen rechnen. „Viele Betroffene können gar nicht mehr arbeiten.“ Mit einem Akutschmerz könne man umgehen, weil man Aussicht auf Heilung und Schmerzfreiheit habe. Anders bei Chronikern: „Es bricht alles weg, nur der Schmerz bleibt.“

Chronischer Schmerz: Austausch für Betroffene

Die Selbsthilfegruppe Chronische Schmerzen in Essen trifft sich an jedem zweiten Montag im Monat von 18 bis 20 Uhr. Das nächste Treffen ist also am Montag, 10. Februar. Anmeldung und weitere Infos gibt es per Mail an: schmerzpatient-essen@online.de

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen tauschen sich über ihre Erfahrungen aus, verbessern so die Akzeptanz der Schmerzerkrankung und empfinden wieder mehr Lebensqualität. Zu den monatlichen Treffen gehört eine meditative Entspannungsübung.

Ein wichtiger Schritt sei, zu akzeptieren, dass man mit dem Schmerz klarkommen muss. Das heiße keineswegs Resignation. Vielmehr gehe es darum, eine Balance zwischen Entspannung, Bewegung und Beschäftigung zu finden; etwa mit leichten Übungen, Spazierengehen, Radfahren. „Es wäre grundverkehrt, gar nichts mehr zu machen.“

Schmerzkliniken haben meist lange Wartezeiten

Als gute Anlaufstelle für Patienten mit chronischem Schmerz empfiehlt Beate Schneider Schmerzkliniken, die auch ambulante Angebote machten und für jeden Patienten ein Behandlungsschema entwickelten, mit Anwendungen, Psychotherapie und anderen Elementen. „Neurologen und Psychologen überweisen an Schmerzkliniken.“ Allerdings hätten die Kliniken lange Wartezeiten. „Das zermürbt.“

In der Selbsthilfegruppe schauen die Teilnehmer gemeinsam, was die Lebensqualität verbessern und bei der Stressbewältigung helfen kann. „Es stärkt schon, dass man nicht allein ist mit dem Schmerz.“