Essen. Mary Turner aus Altenessen moderiert montags einen Bingo-Abend in der Bar „GentleM“. Das Publikum ist jung – und kommt vor allem wegen ihr.

An einem Montagabend ist in der Essener Innenstadt für gewöhnlich nicht mehr viel los. Vereinzelt laufen noch Menschen durch die Straßen. Die Läden haben geschlossen – und das Nachtleben spielt sich zum großen Teil ohnehin nicht in der Innenstadt, sondern in Rüttenscheid ab. Doch eine Kneipe ist vollständig in rosafarbenes Licht getaucht: das „GentleM“. Die Bar lädt jeden Montag zum „Dragqueen-Bingo“ ein.

Vor dem Eingang steht ein großes Zelt, in dem Biertischgarnituren aufgestellt sind. An einem der Tische sitzt sie: Dragqueen Mary Turner – ein Künstlername. Ihren richtigen Namen verrät sie nicht: „Privates und Beruf möchte ich einfach trennen“, sagt sie. Den Künstlernamen hat sie sich allerdings nicht selbst ausgesucht. „Das machen Dragqueens nicht. Der wurde mir gegeben.“ Es ist eine Anspielung auf die Sängerinnen Mariah Carey und Tina Turner. Die Altenessenerin moderiert das Bingo dreimal im Monat. Am vierten Montag im Monat übernimmt eine Dragqueen vom Projekt Herzenslust. Die Einnahmen des Spiels gehen dann nicht an die Bar, sondern vollständig an die Aidshilfe.

Über drei Stunden dauert die Verwandlung in eine Dragqueen

In der Innenstadt findet jeden Montag im
Jeden Montag kommen Gäste zum Bingo-Spiel. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Mary Turner hat sich wie immer viel Mühe gemacht, um als Dragqueen im GentleM zu erscheinen. Auch den Rest der Woche arbeitet sie in ihrer Rolle hinter der Theke. Über drei Stunden Vorbereitung brauche sie, bis alles perfekt ist, erklärt sie. Haare, Wimpern und Fingernägel müssen sitzen. Ihre Kleidung fällt auf: Silber-funkelndes Oberteil und Hose, große Ohrringe und ein üppiger schwarzer Mantel.

Wenn sie in die Bar fährt, dann nur mit dem Auto: „Ich wohne im Essener Norden. Da kann man als Dragqueen nicht so einfach Bahn fahren.“ In ihrer rechten Hand hält sie eine Zigarette: „Hat jemand ein Feuerzeug für mich?“ Ein Gast gibt ihr, wonach sie gefragt hat. „Ich klaue gerne Feuerzeuge“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. „Zuhause habe ich schon über 80 Feuerzeuge in einer Schublade gesammelt.“ Im GentleM nehme ihr das aber keiner übel.

Um viertel vor zehn ist es dann so weit: Das Dragqueen-Bingo beginnt. Mary Turner steht auf der Bühne und erklärt die Regeln: „Die ersten beiden Runden spielen wir Reihe und dann Bingo!“ Es wurden verschiedene Preise vorbereitet: Süßigkeiten für eine richtige Reihe und größere Preise für ein Bingo. Die Gewinner können selbst entscheiden, ob sie lieber einen Dildo, Alkohol oder ein Deodorant mit nach Hause nehmen möchten. Eine Bingokarte kostet einen Euro.

Die ersten Zahlen werden genannt und die Bingokarten werden ausgefüllt. „Und die nächste Zahl ist – 66!“ Jetzt wird es kurz hektisch. Innerhalb von Zehntelsekunden schauen alle auf den Bildschirm, um auch wirklich sicher zu gehen. Dann rufen fast alle der 25 Gäste laut „Schnaps!“ Es ist einer der Sonderregeln beim Dragqueen-Bingo: Wer am schnellsten reagiert, bekommt bei einer Schnapszahl einen Schnaps aufs Haus. Der Sieger geht nach vorne und holt sich zuerst einen Schnaps, danach einen Kuss auf die Wange von der Dragqueen ab. Nach vielen weiteren verkündeten Zahlen ist es dann so weit: „Bingo!“ An diesem Abend wird das Ganze noch zweimal wiederholt.

Bingo am Montagabend hat in der Essener Bar Tradition

In der Innenstadt findet jeden Montag im
Sextoys, Gutscheine und Drinks gibt es beim Bingo-Abend zu gewinnen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Die Gäste im GentleM sind jung. Keine Spur vom eigentlichen Bingo-Image als „Alte-Leute-Hobby“. Der Gründer der Bar hatte das Spiel eingeführt, erzählt Betreiber Sebastian Sazon. Er selbst habe das Ganze weitergeführt, als er die Bar vor 15 Jahren übernommen hat. „Natürlich gibt es an anderen Abenden mehr Umsatz, aber für einen Montag ist das hier schon ziemlich gut.“

Neben dem Bingo ist dem Essener aber eine Sache besonders wichtig: „Das GentleM soll ein Safe-Place für alle sein, die hier hinkommen.“ Immer wieder würden Gäste sagen, wie wichtig ihnen die Bar sei. Besonders während der Corona-Pandemie sei das auch zu spüren gewesen. „Als wir zugemacht haben, haben viele Gäste geweint. Vom Geld her hat hier immer alles gepasst, aber die Leute hatten echt eine schwierige Zeit.“ Dafür sei die Freude aber umso größer gewesen, als die Kneipe wieder aufmachen konnte.

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Einer der Gäste ist Lukas aus Bielefeld. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen. Er komme, seitdem er 18 Jahre alt ist, regelmäßig in die Bar. Auch seinen 22. Geburtstag wollte er hier verbringen. Bingo und Bar, das passe für ihn gut zusammen: „Ich spiele heute zum ersten Mal mit. Das Besondere ist für mich aber gar nicht das Bingo an sich, sondern Mary. Die ist einfach toll!“

Dennis Heeb spielt ebenfalls mit. Er hat sich direkt zwei Karten gekauft – das mache er immer so. Heeb ist Stammkunde und kommt seit 15 Jahren regelmäßig her. „Für mich hat das Bingo hier vor allem durch Mary diesen besonderen Touch“, sagt der Katernberger. Bei den letzten Spielen habe er immer wieder mal etwas gewonnen. „Letzte Woche konnte ich ein Bingo holen und habe ein Saunatuch gewonnen. Das ist so groß – da hätte ich mich auch dreimal einwickeln können“ Auch heute ist das Ziel klar: „Natürlich gewinnen!“

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