Essen. Zwar stagnieren die Aufnahmezahlen im Essener Tierheim, doch die Tiere bleiben länger, so die Leitung: „2024 war unser schlimmstes Jahr“.
Zunächst zwei gute Nachrichten. Nummer eins: Die beiden Perser-Katzen Pasta und Spirelli haben nach fast eineinhalb Jahren im Tierheim endlich ein Zuhause gefunden. Verantwortungsbewusste Leute, sagt Tierheimleiterin Jeanette Gudd, die gut mit der aufwändigen Pflege der beiden Tiere, die unter Erkrankungen und Überzüchtung litten, zurechtkämen. Gute Nachricht, Nummer zwei: Die beiden Meerschweinchen, die in der ersten Januarwoche gebracht wurden, sind bereits vermittelt. „Es war offensichtlich, dass das Weihnachtsgeschenke waren“, so Gudd. Wie reagiert man da? „Das kommt auf die Tagesform an.“ Manchmal könnten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen so etwas nicht einfach hinnehmen. Glücklicherweise sei das im neuen Jahr bislang der einzige Fall mit verschenkten und dann nicht mehr erwünschten Tieren gewesen.
Im vergangenen Jahr hätte eine Familie vor den Sommerferien zwei Kaninchen angeschafft, um die Kinder zu bespaßen, und die Tiere nach den Ferien mit den Worten „das haben wir uns anders vorgestellt“ im Tierheim abgegeben, so Gudd. Überhaupt: 2024 sei kein gutes Jahr gewesen. „Es war unser bisher schlimmstes Jahr.“ Kranke, misshandelte, verstümmelte, wie Abfall weggeworfene Tiere, Tiere aus Qualzuchten und Animal-Hoarding (Tiersammelsucht). „Wir hatten viele extreme Fälle, die uns an die Nieren gegangen sind.“
Dem Essener Tierheim fehlt derzeit ein eigener Tierarzt
Die Krux: Seit August hat das Tierheim keinen eigenen Tierarzt mehr. Die Kooperation mit der Altenessener Tierklinik sei zwar sehr gut, doch ein Arzt oder eine Ärztin direkt vor Ort würde vieles erleichtern, sagt die Leiterin. Denn immer häufiger seien die Tiere schwerkrank. „Mit einer Impfung ist es oft nicht mehr getan.“
Die Zahl der aufgenommenen Tiere sei zwar nicht weiter gestiegen, dafür aber habe sich deren Verweildauer deutlich verlängert. Aktuell beherbergt das Tierheim um die 100 Katzen, etwa 50 Hunde und an die 100 Kleintiere.
Auch interessant
Zwei bis fünf Fundtiere würden sie im Schnitt jede Woche aufnehmen, sagt Gudd: Wellensittiche, Katzen, Kaninchen, Hunde. Ab und zu sind es auch exotische Tiere wie Schlangen. Python Nemo maß bei seiner Ankunft 80 Zentimeter, heute, fünf Jahre später, ist er über zwei Meter lang, und damit nicht gerade leicht vermittelbar: Sein künftiger Besitzer brauche nicht nur Fachwissen, sagt Gudd, sondern auch viel Platz für die riesige Schlange, die aber damit punkten könne, dass sie „futterfest“ sei, also ohne Probleme tote Ratten verspeise.
Viele Fundkatzen müssen im Essener Tierheim bleiben, weil Besitzer sie nicht abholen
Während 90 Prozent der Fundhunde von ihren Besitzern wieder abgeholt würden, betrage diese Quote bei Katzen gerade mal 30 Prozent. „Für manche Leute sind das Einwegartikel: Wenn die weg sind, gibt es eben neue.“
Auch der erste Neuzugang in 2025 war ein Fundtier: Chihuahua-Mix Tippsi wurde am 1. Januar gefunden und ins Tierheim gebracht. Anders als zunächst angenommen, handelte es sich wohl nicht um ein „Silvester-Opfer“, also ein Tier, das durch Raketen oder Böller in Panik geraten und den Besitzern davongelaufen war. Die würden normalerweise recht schnell abgeholt, erklärt Gudd, doch in Tippsis Fall habe sich kein Besitzer gemeldet, weshalb die Finder den Hund nun übernehmen: Glück im Unglück.
- Knöllchen-Rekord: Blitzer lassen Essens Stadtkasse klingeln
- Thomas Stauder über RWE: „Das Stadion ist ein magischer Ort“
- Parkleuchten in Essen: Was Gruga-Besucher 2025 erwartet
- Von Dieter Bohlen bis Till Brönner: Diese Events plant Essen 2025
- Hund Robert hat fast sein ganzes Leben im Tierheim verbracht
Auch bei Kater Pride gingen die Tierheim-Mitarbeiter davon aus, er werde bald wieder abgeholt, doch niemand kam. Seit mittlerweile vier Monaten wartet der schwarzweiße Kater, der seinen Namen nicht umsonst trägt: „Er ist sehr stolz und schmust nur, wenn er das will. Wenn nicht, kann er auch ungemütlich werden“, erzählt Jeanette Gudd.
Hündin Luca trauert, Hund Robert hat fast sein ganzes Leben in Tierheimen verbracht
Auch Hündin Luca, ein Hütehund-Mix und seit September hier, ist kein leichter Fall: Sie liegt zusammengekauert in ihrer Höhle, fletscht die Zähne und kläfft dem Besuch laut entgegen. Sobald Tierpflegerin Lena den Raum betritt, herrscht Ruhe. Luca sei „speziell“, sagt Jeanette Gudd. „Sie sucht sich ihre Menschen aus. Wenn sie jemanden mag, ist sie verschmust und anhänglich, wenn nicht, hat man schlechte Karten.“ Mit ihrer Besitzerin sei sie sehr eng gewesen, doch diese starb und nun trauere die Hündin. Was übrigens viele Hunde und Katzen täten: Manche würden nicht fressen, andere keinen Menschen mehr an sich heranlassen, wieder andere würden heulen oder seien sichtlich verwirrt.
- Die Lokalredaktion Essen ist auch bei WhatsApp! Abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Kanal: direkt zum Channel!
Ein weiteres „Sorgenkind“ ist Robert. Der American-Staffordshire-Terrier-Mix kennt kaum etwas anderes als ein Leben im Tierheim: Erst sei er zwei Jahre in Berlin gewesen, mittlerweile seit sieben Jahren in Essen. Mit dem Alter und durch die Hundeschule sei das quirlige Tier etwas ruhiger geworden, dennoch brauche er hundeerfahrene Besitzer ohne Kinder oder Haustiere: „Er geht gut in einer Gruppe mit, möchte zu Hause aber allein sein“, so Gudd.
Sechs Kaninchen mit Sternengucker-Krankheit wurden im Tierheim geboren
Problemfälle gibt es auch bei den Kleintieren: Sechs „EC-Kaninchen“ kennen ebenfalls nur das Leben im Tierheim; sie sind hier geboren. „EC“ ist die Abkürzung für „Encephalitozoon cuniculi“: Das ist ein Parasit, der das Nervensystem befällt und neurologische Störungen verursachen kann. Umgangssprachlich wird EC auch als „Sternengucker-Krankheit“ bezeichnet, weil ein häufiges, augenfälliges Merkmal eine schiefe Kopfhaltung ist. „Es handelt sich um eine Erkrankung, die ausbrechen kann, aber nicht muss“, betont Jeanette Gudd. Grundsätzlich seien Kleintiere relativ gut zu vermitteln, für manche Arten gebe es sogar Wartelisten – doch die EC-Kaninchen haben es schwerer, da ihre Krankheit potenziell ansteckend für andere Kleintiere ist. Deshalb haben sie im Tierheim einen eigenen Stall. Gleiches gilt auch für zwei Meerschweinchen, bei denen die Krankheit ebenfalls festgestellt wurde.
In einem Raum gegenüber warten drei hübsche Agaporniden auf Vermittlung. So zierlich und niedlich die Vögel sind – wenn sie anfangen, „sich zu unterhalten“, was sie prompt tun, können sie enorm laut werden. „Das unterschätzen leider viele Leute“, so Gudd.
Tierheim muss immer öfter Tiere aufnehmen, deren Besitzer sich nicht mehr kümmern können
Neben den Fundtieren nimmt das Tierheim auch Tiere auf, die von Behörden sichergestellt werden: Die Kleintiere würden meist schnell wieder zur Vermittlung freigegeben, erklärt die Leiterin, doch bei Hunden könne es durchaus länger dauern, bis abschließend geklärt sei, ob ein Besitzer sein Tier wiederbekomme oder nicht.
Immer öfter gebe es zudem Fälle, in denen Tiere in Notobhut genommen werden müssten, etwa weil ihre Besitzer ins Krankenhaus müssen oder sich aus gesundheitlichen oder auch finanziellen Gründen nicht mehr kümmern können. Eine Hündin aus einer solchen Not-Inobhutnahme humpelt durch den Außenbereich ihres Zwingers: Sie brauche eigentlich möglichst bald eine Operation, so Gudd, aber der Besitzer sei nach seinem Krankenhausaufenthalt noch nicht zu erreichen gewesen. Da die Situation nicht lebensbedrohlich sei, könne man das Tier aber auch nicht einfach operieren lassen, sagt Gudd. Für die kleine Hündin heißt es also abwarten, ob ihr Besitzer sich bald wieder um sie kümmern kann – und will.
[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]