Essen. Nach dem Tod ihres Mannes fand eine Essenerin Trost bei Menschen, die Ähnliches erlebt haben. Bis heute hält sie an einem Ritual fest.
Manchmal ist es ein bestimmtes Lied im Radio, dann eine plötzliche Erinnerung, und schließlich der Todestag: Momente, in denen alles wieder hochkommt. Bärbel Bugdoll hat ihren Mann verloren. Mit 17 haben sie sich kennengelernt, er war ihre große Liebe: „Es gab uns nur zusammen, Erich und Bärbel, wir haben alles gemeinsam gemacht“, sagt sie. Bis er an Krebs erkrankte. Was folgte, war ein zermürbendes Auf und Ab: „Rein ins Krankenhaus, raus aus dem Krankenhaus“, dann die palliative Begleitung bis zum Schluss. Drei Tage sei er noch im Hospiz gewesen, „und dann ging es doch plötzlich ganz schnell“.
Auch Agnes Ratajczaks Partner starb an Krebs. Die gelernte Krankenschwester pflegte ihn zu Hause, eineinhalb Jahre lang, bis zu seinem Tod. „Er wollte zu Hause sterben, das war ihm wichtig und mir auch.“
Essener Trauergruppe trifft sich zu Spaziergängen in der Gruga
Bärbel Bugdoll und Agnes Ratajczak sind zwei gegensätzliche Charaktere – das wird schnell klar, wenn man ihnen eine Weile zuhört: angefangen bei ihrem Blick auf Ehe und Partnerschaft, bis hin zu ihrer Einstellung zum Tod. Sie widersprechen einander, diskutieren hitzig über selbstbestimmtes Sterben, und haben doch Ähnliches durchgemacht und auf dieselbe Weise Trost gesucht und gefunden: in einer Trauergruppe.
Hier kommen Menschen zusammen, um gemeinsam ihren Verlust zu bewältigen. Menschen, die sich unter normalen Umständen vielleicht nicht viel zu sagen hätten, aber nun eine Erfahrung teilen, die sie tief miteinander verbindet.
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Brigitta Hillebrand leitet die Trauergruppe des ambulanten Hospizdienstes am Alfried Krupp Krankenhaus Rüttenscheid. Seit 30 Jahren begleitet die Sozialpädagogin trauernde Menschen, früher beruflich, heute ehrenamtlich. Der Umgang mit dem Tod habe sich in all den Jahren allerdings kaum verändert, sagt sie: „Unsere Gesellschaft negiert das Abschiednehmen völlig.“ Trauer brauche Zeit, mitunter sehr viel, und die müsse man sich bewusst nehmen. „Trauerarbeit ist Körperarbeit“, sie sei anstrengend, da sei es kaum verwunderlich, wenn ein trauernder Mensch sich oft hinlegen und ausruhen müsse. Stattdessen sei die Erwartung verbreitet, dass es doch irgendwann auch mal „gut sein“ müsse, dass man eben nach vorne blicken, für die eigene Gesundheit dankbar sein solle.
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Zudem sei es vielen Menschen schlicht unangenehm, mit der Trauer anderer konfrontiert zu werden. Sie wüssten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Das haben auch Bärbel Bugdoll und Agnes Ratajczak erlebt: Bis zur Beerdigung habe sie noch „funktioniert“, erzählt Bärbel Bugdoll. Danach hätten sich alle eine Weile „rührend gekümmert“, doch das sei bald weniger geworden – während ihre Trauer blieb. Bekannte und Nachbarn seien ihr ausgewichen, manche hätten gar die Straßenseite gewechselt, wenn sie ihr begegneten. Nicht aus bösem Willen, davon ist Bärbel Bugdoll überzeugt, sondern wohl aus Sorge, nicht die richtigen Worte zu finden. Dabei gehe es um die gar nicht: Mehr als das „herzliche Beileid“ oder andere Floskeln würden ihr Umarmungen und Körperkontakt helfen – das würden im Übrigen viele aus der Gruppe schildern.
Teil der Trauerarbeit in der Essener Gruppe sind intensive Gespräche
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Etwa ein Jahr lang dauert die gemeinsame Trauerarbeit in den von Brigitta Hillebrand geführten Gruppen. Einmal monatlich treffen sich die Teilnehmerinnen und wandern im Kreislauf der Jahreszeiten durch die „Trauerberge“, die, so erklärt Hillebrand, kommen und gehen, und im Laufe der Zeit flacher werden. Das Wandern ist übrigens wörtlich zu verstehen, denn zweistündige Spaziergänge im Grugapark sind fester Bestandteil des Konzepts; außer während der Wintermonate, wenn es zu kalt ist oder das Wetter zu schlecht. Zudem sei es wichtig, die Sinne anzusprechen, sagt Hillebrand, weshalb sie ihren Teilnehmerinnen immer etwas zum Anfassen mitgebe. Bärbel Bugdoll hat einiges davon zu Hause aufbewahrt: zum Beispiel die Wollfäden, mit denen sie einander gezeigt haben, wie verbunden sie sind, duftenden Lavendel, ein Puzzleteil.
Bei den Treffen sprechen die Frauen über ihre persönliche Situation, ihre Gedanken und Gefühle – und manchmal wird auch nur geschwiegen. Brigitta Hillebrand achtet darauf, dass die Zeit auf die eine oder andere Weise sinnvoll genutzt wird: „Wer lieber über Backrezepte sprechen will, muss damit bis zur Pause warten“, sagt sie.
Neue Trauergruppe ab Januar
Das ambulante Hospizteam am Alfried-Krupp-Krankenhaus Rüttenscheid bietet mehrere Gruppen für Trauernde an: Einmal monatlich (samstags) trifft sich die junge Trauergruppe, die für Menschen im Alter von etwa 18 bis 35 Jahren gedacht ist. Die Männer-Trauergruppe trifft sich einmal im Monat (donnerstags) zu einem Stammtisch und organisiert zusätzlich gemeinsame Unternehmungen. Trauerwanderungen durch die Gruga finden mittwochs statt. Die drei Gruppen stehen grundsätzlich allen offen, eine vorherige Anmeldung beim Hospizdienst ist jedoch erforderlich. Auch Einzelgespräche werden angeboten.
Ab Januar 2025 gibt es eine neue geschlossene Trauergruppe für Frauen, die sich einmal monatlich (mittwochs) trifft. Noch sind freie Plätze vorhanden; auch hier erfolgt der Kontakt zunächst über den Hospizdienst.
Ein neues Angebot für Hinterbliebene, das keine geführte Trauerbewältigung beinhaltet, sondern dazu gedacht ist, der Einsamkeit etwas entgegenzusetzen, ist ein Kreativkreis, der sich an jedem zweiten Sonntag im Monat trifft.
Anmeldung und weitere Informationen: hospizdienst@krupp-krankenhaus.de oder 0201 434 2513
Bärbel Bugdoll und Agnes Ratajczak schmunzeln bei diesen Worten. Gerade weil sie sie dazu zwinge, sich den unangenehmen Themen zu stellen, sei die Trauerarbeit mit Brigitta Hillebrand zwar „hart“, sagen sie, doch eben auch sehr hilfreich. „Alle in der Gruppe sind ja in einem Loch, aus dem sie herauswollen“, erklärt Bärbel Bugdoll.
Drei Jahre liegt der Tod ihres Mannes nun zurück. Die Rentnerin hat sich Stück für Stück ein neues, ein Single-Leben aufgebaut. Keine leichte Aufgabe, so lange wie sie verheiratet gewesen sei. „Ich versuche, Dinge weiterzuführen, die mir auch vorher Spaß gemacht haben“, erzählt sie. „Ich bin sogar schon mit einer Bekannten verreist.“ Doch obwohl sie heute vieles allein schaffe und auch genießen könne, werde die Trauer bleiben: „Sie verschwindet nicht mehr, sie verändert sich nur.“ Deshalb wolle sie sich auch in diesem Jahr wieder einen Moment Zeit für ein Ritual nehmen, das sie aus der Trauergruppe kennt: eine Wunderkerze anzünden, in den Himmel halten und an den Verstorbenen denken. „Das werde ich jedes Jahr um diese Zeit tun“, sagt sie mit Tränen in den Augen: „Solange ich lebe, solange ich kann.“
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